Digital unsouverän: Deutsche Wirtschaft "zu abhängig von Technologie-Importen"

Besonders bei IT- und Kommunikationshardware, 5G-Mobilfunk und KI sollten Unternehmen mehr in Eigenentwicklungen investieren, fordert der Digitalverband Bitkom.

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(Bild: RUKSUTAKARN studio / Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Silke Hahn
  • mit Material der dpa
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Deutsche Unternehmen, die digitale Leistungen aus dem Ausland beziehen oder selbst exportieren, halten sich für zu stark abhängig von digitalen Importen und wünschen sich europaweit mehr Einsatz für offene digitale Märkte. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, für die der Digitalverband Bitkom über 1100 Unternehmen mit mindestens 20 Mitarbeitern befragt hat. Die Befragten gaben einhellig an, dass Deutschland "mehr digitale Souveränität erlangen" müsse. 94 Prozent finden laut Umfrage, dass Deutschland sich für ein Auftreten der EU auf Augenhöhe mit China und den USA einsetzen solle, und zwei Drittel (64  Prozent) halten die EU dabei für zu passiv.

Allerdings ging es den Teilnehmern der Befragung wohl weniger um ein breitbeiniges Auftreten bei globalen Handelsstreitigkeiten, denn die Ergebnisse verweisen auf handfeste Abhängigkeiten. Eine überwiegende Mehrheit hält ihr Unternehmen für "nur kurzzeitig überlebensfähig", sollten digitale Dienstleistungen oder Technologien aus dem Ausland unvorhergesehen nicht mehr verfügbar sein. 94 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Unternehmen im Kern abhängig sei von digitalen Importen.

Etwa zwei Drittel könnten wohl zwischen einem und zwei Jahren überleben, 13 Prozent etwa sieben bis zwölf Monate, während 9 Prozent angaben, sich ohne digitale Importe höchstens ein halbes Jahr wirtschaftlich über Wasser halten zu können. Die Befragten haben vor dem Hintergrund der Pandemie geantwortet, meint Bitkom-Präsident Achim Berg. Die Digitalwirtschaft lebe vom "Global Sourcing" mit Arbeitsteilung und weltweiter Vernetzung.

Allerdings könnten digitale Technologien "als politisches Druckmittel missbraucht werden". Der Bitkom-Präsident fordert daher Deutschland und die EU auf, ihre Ausgangsposition zu verbessern. "Aus dem zunehmenden Protektionismus der vergangenen Jahre und den Erfahrungen in der Corona-Krise müssen Deutschland und Europa die Konsequenz ziehen, sich aus einer Position der Stärke heraus für offene Digitalmärkte einzusetzen", kommentiert Berg.

Acht von zehn Befragten (81 Prozent) gehen davon aus, dass sich das "digitale Ungleichgewicht" weiter verschärfen werde und dass führende Technologiekonzerne ihre Vormachtstellung weiter ausbauen werden. Die Corona-Situation habe die internationalen Ungleichheiten verstärkt, fanden drei Viertel der Befragten (74 Prozent). Besonders pessimistisch urteilten rund 40 Prozent, die annehmen, dass Deutschland den Vorsprung der anderen nicht mehr aufholen könne.

30 Prozent der Befragten halten die deutsche Wirtschaft für "vollständig importabhängig", die Hälfte (51 Prozent) hält sie für "eher abhängig" – insgesamt 81 Prozent gehen also von manifesten Abhängigkeiten im eigenen Land aus. Im Vergleich dazu nahmen die Befragten den Südostasiatischen Raum als besonders unabhängig wahr: China halten nur 31 Prozent der Studienteilnehmer für eher (24 Prozent) oder vollständig abhängig (7 Prozent). Indien, Japan und die USA schätzen über die Hälfte auch als eher unabhängig ein.

Stichwort "Digitale Souveränität"

(Bild: Wirestock Images/Shutterstock.com)

Beim Thema Partnerschaft denken die Befragten in erster Linie nicht an China und die USA, die beiden liegen bei der Vertrauensfrage etwa gleichauf (39 Prozent vertrauen den USA, 31 Prozent China). Besonders ausgeprägt ist das Misstrauen jedoch gegenüber Russland, dem nur 15 Prozent der Befragten ihr Vertrauen schenken würden. Rund 90 Prozent halten hingegen die EU-Länder für zuverlässige Partner, auch Japan (61 Prozent) und Großbritannien (59 Prozent) haben einen soliden Ruf. Selbst Indien halten die Befragten mit 41 Prozent für vertrauenswürdiger als die USA und China.

Erneut scheinen Erfahrungen zugrunde zu liegen, denn jedes zweite Unternehmen gab an, Risiken durch die Regierungen der jeweiligen Geschäftspartner ausgesetzt zu sein. Würden Partner oder deren Regierungen sie unter Druck setzen, müssten sie nachgeben, beurteilte jeder Dritte die Lage. Erpressbarkeit des eigenen Unternehmens sahen 14 Prozent als reale Gefahr.

Der Bitkom-Präsident fordert Unternehmen auf, nach vorne zu schauen: "Nach vorne gedacht müssen wir Projekte wie die europäische Cloud-Initiative Gaia-X noch entschiedener vorantreiben", sagt er. Besonders kritisch ist nicht nur der Bitkom-Studie zufolge die Abhängigkeit von Importen bei der 5G-Technologie, bei IT- und Kommunikationsgeräten sowie bei KI und Quantencomputing. Bergs Ruf nach "leistungsfähigen internationalen Partnern" fasst in den Blick, dass digitale Souveränität für Deutschland wohl nicht im Alleingang zu verwirklichen ist.

Der Verband macht auf seiner Website weitere Vorschläge für digitale Souveränität. So könnte es zielführend sein, "ausgewählte Forschungs- und Förderschwerpunkte für Schlüsseltechnologien zu definieren" und bei den vorhandenen Stärken wir dem autonomen Fahren, der IT-Sicherheit und Künstlicher Intelligenz in der Medizin anzusetzen. Der Ausbau von Kommunikationsnetzen und mobilen Netzen ist dem Verband zufolge entscheidend. Insbesondere gelte es, in den Feldern der Bildung, Gesundheit, Mobilität und dem Internet der Dinge (IoT) eine führende Position einzunehmen durch datengetriebene Plattformen.

(sih)