Facebook-Blockade wegen Mediengesetz: Was nun, Australien?

Der Konflikt zwischen Regierung und Facebook ist Machtpoker der ersten Kategorie. Wie es weitergehen könnte, hat sich unser Autor Torsten Kleinz überlegt.

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(Bild: Derick Hudson/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Es ist eine der bisher wichtigsten netzpolitischen Nachrichten des Jahres: Kurz bevor das australische Parlament eine Art Linksteuer – in Form eines geplanten Mediengesetzes – für journalistische Inhalte beschließen will, hat Facebook in einer Hauruck-Aktion sämtliche Nachrichten-Inhalte des Landes gesperrt. Was bedeutet dies für Netzpolitik, Medien und das Internet? Wer sitzt am längeren Hebel: Nationalstaaten oder die weltumspannenden Konzerne im Silicon Valley?

Eine wahrscheinliche Lösung: Der Streit könnte sich in wenigen Tagen im Nichts auflösen. Wenn man sich den Gesetzestext des News Media Bargaining Code ansieht, wird schnell klar: Was das australische Parlament noch diese Woche beschließen sollte, ist keine durchdachte Medienreform, kein großer Wurf, der den Medienwandel in neue Bahnen lenkt. Es geht alleine darum, dass Medienunternehmen, die früher von Werbung gut leben konnten, künftig einen größeren Anteil der Werbeeinnahmen von Google und Facebook verlangen können. Neue Medienschaffende oder Startups gehen leer aus: Nur wer über Jahre einen Umsatz von über 150.000 Dollar mit "Kernnachrichten" vorweisen kann, darf sich überhaupt bewerben.

Ob überhaupt jemals auch nur ein Dollar Linksteuer gezahlt werden sollte, erscheint auch unklar. Der vermeintliche Erfolg kam schließlich bereits vorher: Google hat in den vergangenen Wochen mehrere millionenschwere Abkommen geschlossen, in denen es nicht um die Linksteuer, sondern um den Google-eigenen Nachrichten-Dienst "News Showcase" geht. Für den australischen Finanzminister Josh Frydenberg war damit anscheinend das Ziel des Gesetzes bereits erfüllt, zumindest bezeichnet er die Übereinkunft als Erfolg, der auch dank des Parlaments zustande gekommen ist. Ob trotz der Vereinbarungen das Gesetz noch durchgesetzt wird und Google weitere Zahlungen ausstehen, ist derzeit offen. News Showcase läuft unter denselben Bedingungen schon länger in anderen Ländern, Auftakt war Deutschland.

Da nur Google und Facebook laut Mediengesetz wegen ihres enormen Anteils an den Werbeeinnahmen im Internet Gebühren zahlen müssten, bliebe derzeit also ein Sondergesetz alleine für Facebook. Dass der Social-Media-Konzern damit ganz und gar nicht zufrieden ist, zeigte sich nicht nur in der aggressiven Blockade der australischen Verleger und anderer australischer Angebote.

Der australische Facebook-Chef William Easton betont in seinem Statement, dass Google im Gegensatz zum Social-Media-Konzern erst recht die neuen Abgaben zahlen müsse. Schließlich posteten die Verleger aus freien Stücken bei Facebook, während Google die Nachrichten ungefragt crawle. Die Botschaft: Google und Facebook sitzen nicht gemeinsam im selben Boot. Auch Google hatte vor einigen Wochen die Rolle des kompromisslosen Konzerns gespielt und mit seinem Rückzug aus Australien gedroht.

Die Gemengelage lässt Raum für einen Kompromiss: Australien geht es nicht ums Prinzip, sondern nur um Geld. Selbst wenn das Parlament das Gesetz beschließt, kann die Regierung es einfach im Sande verlaufen lassen. Facebook hingegen kann es sich leisten, mehr Geld auszugeben, wenn dadurch ein Präzedenzfall vermieden wird, der andere Regierungen zu ähnlichen Gesetzen verleiten würde.

Frydenberg hat bereits betont, dass er sich in konstruktiven Gesprächen mit Mark Zuckerberg befinde. Von dem jetzigen Punkt der Eskalation zu einem gesichtswahrenden Kompromiss zu kommen, dürfte allerdings schwierig werden. Nicht zuletzt deshalb, weil sich Google bei einem kräftigen politischen Rabatt für Facebook ebenfalls nicht mehr an seine Millionenversprechen gebunden fühlen dürfte.

Obwohl beide Seiten ein existenzielles Interesse an einer Einigung haben, ist ein Zustandekommen nicht garantiert. In seinem Blog-Posting betont Facebook, dass allenfalls vier Prozent der Nachrichten im Newsfeed seiner Nutzer aus redaktionellen Inhalten besteht. Natürlich ist das eine billige Retourkutsche auf die Vorwürfe der Regierung, dass sich der Konzern an Nachrichteninhalten unzulässig bereichere. Wenn sich Nutzer auf Facebook nicht mehr informieren können, ob am nächsten Morgen die Busse fahren oder wie die Impfkampagne vorangeht, schwindet ein gewichtiger Grund, Facebook überhaupt aufzusuchen, die App immer griffbereit auf dem Handy zu haben.

Gleichwohl hat der Konzern ein Ass in der Hinterhand: Facebook ist schon lange nicht mehr alleine facebook.com, sondern hat mit dem Facebook Messenger, WhatsApp und Instagram weitere soziale Netzwerke im Portfolio, auf denen Nutzer weiterhin Nachrichten verbreiten können – und das kostenfrei für Facebook. Wenn Nutzer vom Webportal oder der App abwandern, besteht die große Chance, dass sie weiterhin bei Facebook bleiben. Der Kapitalmarkt sieht laut Forbes den potenziellen Verlust des australischen Geschäfts bisher allenfalls mit Achselzucken: Der Kontinent zählt 25 Millionen Einwohner, also weniger als ein Prozent der aktiven Facebook-Mitglieder.

Für Australien wäre dieses Szenario eine Blamage, für Facebook aber kein eindeutiger Erfolg. Schließlich beruht die Verteidigung des Konzerns in den zunehmend zahlreichen kartellrechtlichen Verfahren, dass Facebook kein Monopolist, sondern nur ein Wettbewerber unter vielen ist. Erweist sich Facebook in Australien als unersetzbar, gibt es den Kartellbehörden in Europa, Amerika und Asien einen schwer widerlegbaren Grund zur Intervention.

Vielleicht kommt es umgekehrt: Facebook mag von vielen Politikern und Behörden reflexhaft genutzt werden – was ist aber, wenn die Informationsdrehscheibe immer irrelevanter wird? Facebook kann garantiert ohne Australien leben, Australien vielleicht aber auch ohne Facebook. So wirbt ABC Australia bereits heute dafür Facebook abzuschreiben und stattdessen die Apps des Senders zu installieren.

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Statt sich darauf zu verlassen, dass Facebook die eingebüßten Werbeeinnahmen freiwillig einzahlt, wären Medien gezwungen, sich wieder mehr um ein Gesamtangebot zu kümmern, Clickbait zurückzufahren und Vertrauen zurückzugewinnen. Dass sich ein Facebook-Konkurrent in Australien ausbreitet und gleichzeitig den alten Verlagen Umsatzbeteiligungen anbieten kann, ist eher unwahrscheinlich. Australien wäre gezwungen, eine echte Medienreform anzugehen, die auch die Rolle der mächtigen Medienkonzerne hinterfragt, den Werbehandel mit Nutzerprofilen nicht mehr als naturgegeben hinnimmt. Nicht aus purem Zufall hat Amazon gerade einen australischen E-Commerce-Anbieter gekauft, der Retargeting-Werbung anbietet, ohne Nutzer quer über Hunderte Websites zu verfolgen. Eine Arbeit für Jahre: Der aktuelle Bericht der Marktregulierer umfasst mehr als 200 Seiten und schafft es gerade einmal einen Bruchteil der wichtigen Fragestellungen zu umreißen.

Es kann aber auch ganz anders kommen. So zeigen Werbetreibende schon heute wenig Interesse das Nachrichtengeschäft zu stützen, wenn sie doch für das gleiche Geld direkt auf E-Commerce-Plattformen oder zwischen TikTok-Videos werben können. Bei aller staatlichen Regulierung kommt es auf die Unternehmen an – sowohl die Verlage, als auch die Werbetreibenden, für welche Inhalte sie stehen wollen, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen wollen. Die heutigen Entscheidungen mögen dabei eine wichtige Zäsur sein, aber für sich genommen ist kein Facebook noch keine Lösung.

(emw)