Blue Notes
Hobbymusikforscher finden im Web zahlreiche liebevoll gestaltete Sites. Erstaunlich, wie viele Blues- und Jazz-Enthusiasten ihre Passion mit anderen teilen wollen.
- Jürgen Diercks
Man glaubt es kaum, aber es gibt sie noch, die gute Nachricht aus dem Land der immer mehr begrenzten Möglichkeiten: Der amerikanische Kongress hat das Jahr 2003 zum ‘Jahr des Blues’ ausgerufen. Anlass ist der 100-jährige Geburtstag des Genres, das als Grundlage für nahezu alle Spielarten populärer Musik gelten darf.
Reichlich spät scheint das weiße Amerika zu erkennen, welchen nationalen Schatz es bisher vor sich hin hat vegetieren lassen. Nun will man dokumentieren, fördern und weiterentwickeln. Carlos Santana sagte einmal, dass Jazz und Blues Amerikas Geschenk an die Welt seien. Wer möchte da angesichts von McDonalds und George Bush widersprechen. Der amerikanische Durchschnittsbürger teilt diese Einsicht, wenn überhaupt, noch nicht allzu lange. Blues- und Jazz-Musiker galten im eigenen Land wegen ihrer Hautfarbe lange Zeit wenig. Die Rassentrennung hat tiefe Wunden hinterlassen, die längst noch nicht verheilt sind.
Natürlich lässt sich der Beginn einer Musikrichtung nicht auf Jahr und Tag genau festlegen. Der Weg zu den Wurzeln des Blues führt nach Westafrika. Dort erzählten die so genannten Griots die Geschichte ihres Volkes und kommentierten aktuelle Ereignisse mit musikalischer Untermalung. Mit den großen Sklaventransporten erreichte diese Tradition den amerikanischen Kontinent und entwickelte sich dort weiter. Die ehemaligen Sklaven mischten um das Jahr 1900 afrikanische Polyrhythmik mit europäischen Einflüssen. Instrumente wie Banjo, Mundharmonika, Klavier und Gitarre halfen ihnen, die Musik zu schaffen, die man später Blues nannte. Höchst kompetente Beiträge dazu liefern Alan White und Max Haymes.
Woher das Wort ‘Blues’ kommt und was es bedeutet, ist nicht restlos geklärt. Verbürgt ist, dass der Bandleader und Songwriter W. C. Handy (1873-1958) eines Tages im Jahre 1903 auf einem einsamen Bahnhof in Tutwiler, Mississippi, einen Mann erlebte, der ‘die seltsamste Musik spielte, die ich je gehört habe’. Fortan durfte Handy den Titel ‘Father of the Blues’ tragen. Sein Verdienst war, diese Musik zu transkribieren, zu dokumentieren und in den Mainstream zu überführen. Die wichtigsten im Blues vergebenen Preise sind die von der Blues Foundation jährlich ausgelobten Handy-Awards.
Pakt mit dem Teufel
Robert Johnson heißt der wohl bekannteste Ur-Blueser. Der Film Crossroads erzählt seine Geschichte. An der berüchtigten Kreuzung in Clarksdale, Mississippi, verkaufte er seine Seele an den Teufel. Im Gegenzug hatte der dafür zu sorgen, dass Johnson der beste Musiker aller Zeiten wird. Zunächst schien der Deal erfolgreich: Johnson schrieb 29 Songs, allesamt Klassiker, und erfand einen innovativen Gitarrenstil. Leider währte das Glück nicht lang. Er starb 26-jährig, wahrscheinlich mit Strychnin vergiftet, das ihm ein eifersüchtiger Mann - vielleicht auch eine Frau - in seinen Wiskey gemixt hatte.
In den 40er-Jahren wanderten viele Schwarze aus den Südstaaten in den Norden, hauptsächlich nach Chicago, weil die dortigen Großschlachtereien gute Verdienstmöglichkeiten versprachen. Detroits Autofabriken zogen ebenfalls viele Bewohner des bettelarmen Mississippi-Deltas an. Hier landete beispielsweise der Boogie Man John Lee Hooker. Eine umständlich programmierte, dennoch informative Seite widmet sich seinem Lebenswerk.
Der berühmteste Chicago-Blueser ist McKinley Morganfield, Spitzname Muddy Waters. Er elektrifizierte in den späten 40er-Jahren den mitgebrachten Delta-Blues und wurde zu einer Vaterfigur für Fans wie die Rolling Stones und andere Vertreter des frühen britischen Blues. Alle pilgerten nach Chicago, um mit Muddy und anderen Größen zu musizieren. Die weißen Kids adaptierten den Chicago-Blues und entwickelten daraus die Rockmusik. Im Gegenzug verschafften sie den Bluesern im eigenen Land und vor allem in Europa große Popularität. Die Blues-Musiker kamen gern hierher, weil sie ein enthusiastisches Publikum vorfanden. Viele von ihnen gingen nicht in die USA zurück, etwa der New Orleanser Barrelhouse-Pianist Champion Jack Dupree, der bis zu seinem Tode 1992 in Hannover lebte.
Für den guten Überblick über die Chicago-Szene gibt es hier, einen Blues-Rundumschlag macht der Blue Highway.
Wer sich für Bio- und Diskografien zu Musikern und Gruppen aller Stilistiken interessiert, sollte Allmusic konsultieren, auch in der gedruckten Form das Standardwerk. In deutscher Sprache liefert das Online-Angebot der Zeitschrift bluesnews News über den Blues. Und der gedruckte CD-Katalog der Bremer Mail-Order-Company Crosscut ist die wahrscheinlich ergiebigste Fundgrube weltweit. Bluesbytes liefert jeden Monat kostenfreie Reviews von Blues-CDs.
Wenn man vom Blues redet, ist der Jazz nicht weit. Er entstand ebenfalls um die Jahrhundertwende hauptsächlich in New Orleans. In diesem Schmelztiegel mischten sich karibische und europäische Musik, ein gehöriger Schuss Blues kam hinzu. Screamin’ Jay Hawkins bemerkte treffend: ‘jazz is the teacher, blues ist the preacher’. Viele Bluesmusiker, etwa B. B. King oder der Erfinder der elektrischen Blues-Gitarre, T-Bone Walker, hatten immer auch jazzige Titel im Repertoire, Jazz- und Swing Bands reichlich Blues-Stücke. Das änderte sich erst, als der Jazz immer freiere Formen annahm und, nunmehr als kopflastig und elitär verschrien, einen großen Teil seines Publikums verlor.
Gut gemachte Websites, die sich mit der Geschichte des Jazz beschäftigen, findet man zuhauf. Dem Interessierten erschließt sich die Welt des klassischen Jazz und Swing über ein einziges Foto. 57 bekannte Jazzer posierten damals für das Esquire Magazin. Ein Mausklick auf den Musiker enthüllt nicht nur biografische Details.
Das Red Hot Jazz Archive glänzt mit unzähligen bebilderten Infos zu Büchern, Filmen und Interpreten bis zum Jahr 1930. Auch hier sind viele Fotos aus dem goldenen Zeitalter archiviert. Jazz Roots beschäftigt sich mit der Phase von 1895 bis 1920. Edionysus beschreibt die verschiedenen Stile und gibt Kaufempfehlungen zu einschlägigen Werken. Massenweise Wissenswertes, Interviews und CD-Reviews offeriert Allaboutjazz. Ebenso umfangreich präsentiert sich diese Site, die sich zusätzlich den musiktheorethischen Aspekten der Jazz-Improvisation widmet. Und die Big Band and Jazz Hall of Fame liefert biografische Abrisse aller dort bisher Aufgenommenen. An das deutschsprachige Publikum wenden sich die Jazz Pages. (jd)