SchwarmgefĂĽhl
Ob geschäftlich oder privat: Soziale Netze bieten – angemeldeten – Nutzern ein warmes Nest, in dem sie sich mit Gleichgesinnten austauschen können. Und Werbeflächen sollen für Umsatz sorgen. In deutschsprachigen Landen gibt es für fast jeden zwei bis drei solcher Gemeinschaften.
- Ramon Wartala
Mitmachnetze bieten sich für fast alle nur denkbaren Themen an. Büchernarren wie Fußballfans kommen ebenso auf ihre Kosten wie Schüler, Studenten und junge Eltern. Mitmachen in einem der vielen Onlinenetze ist kinderleicht, die Software hat sich nicht zuletzt dank des Web 2.0 zu ausgereiften Produkten entwickeln können. Alles wäre gut, wenn es nicht Identitätsdiebe und Betrüger gäbe – siehe den folgenden Artikel. Ein weiterer Text zeigt, wie Dritte Anwendungen für die sozialen Netze schreiben können.
Mitmachen in mehrerlei Bedeutung konnte man im Internet schon lange. Es kommt darauf an, was man darunter versteht. Ray Tomlinson von Bolt, Beranek und Newman (BBN, die Firma, die den Anfang des Internet als Arpanet entwickelte) hat Ende 1971 die anscheinend erste E-Mail verschickt, in der er vor allem erklärte, warum er das @-Zeichen als Trenner zwischen Benutzer und Host benutzt. Zwar konnten in den Siebzigerjahren kaum Menschen das Internet (das noch kein WWW beinhaltete) nutzen, aber die wenigen, die Zugang zu vernetzten Rechnern hatten, konnten kommunizieren – allerdings asynchron.
Chat bot schon das alte BTX, und was heute Foren sind, hieß seit Ende der Siebzigerjahre Usenet. Wer in den Achtzigerjahren online ging, fand im Usenet jede Menge Newsgruppen vor, in denen Nutzer weltweit die Computerei in allen Spielarten diskutierten, aber sich darüber hinaus über Literatur, Rezepte und dergleichen mehr austauschten. Als 1985 der Whole Earth ’Lectronic Link (WELL) seine Pforten öffnete, begann die Zeit der virtuellen Gemeinschaften, die einer der ersten Nutzer, Howard Rheingold, in den Neunzigerjahren analysierte [g]. Und die WELL-Nutzer organisierten gelegentlich Treffen im RL (real life).
Dank des World Wide Web sehen Foren heute anders aus als „damals“, und dank Breitbandverbindungen gestaltet sich die Kommunikation gelegentlich fast in Echtzeit. Nicht zu vergessen: Das Web 2.0 bietet Entwicklern wie Anwendern unvergleichlich viel mehr als Usenet oder das Web 1.0.
Pflege geschäftlicher Kontakte
Unter dem Namen OpenBC im Jahre 2003 gegründet und seit Mitte 2007 bekannt als Xing, hat sich diese Plattform für geschäftliche Kontakte längst etabliert. Laut FAZ.net vom 22. Juli dieses Jahres (siehe iX-Link) hat Xing derzeit gut sechs Millionen Mitglieder (davon 470 000 monatlich 5,95 € zahlende). Im Unterschied zu einem Forum bietet ein Netz-im-Netz wie Xing die Option, sich selbst vorzustellen, seine berufliche Erfahrung und seine Interessen darzustellen. Der Gemeinschaftsaspekt entsteht durch die bidirektional gespeicherten Kontakte zu anderen Netzmitgliedern, Diskussionsrunden können öffentlich wie gruppenintern gehalten sein. Eine „Community“ muss daraus allerdings nicht entstehen, denn vor allem geht es um Kontaktpflege.
Jenseits der sogenannten Big Player – neben xing.com vor allem facebook.de und myspace.com – hat sich in Deutschland eine beachtliche Zahl sozialer Netze etabliert, die nach jüngsten Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF, siehe [d]) mit Reichweiten über der Millionengrenze glänzen können. Neben alten Bekannten wie studivz.de, schülervz.de und stayfriends.de überspringen Dienste die Millionen-Benutzer-Grenze, die bislang weniger im Licht der Öffentlichkeit standen. Dazu zählen Chat-Portale wie knuddels.de oder lokalisten.de. Nahe an der Millionengrenze schrappen piczo.com, das Freunde-Portal kwick.de und jux.de vorbei. Abseits des Mainstreams existieren ebenfalls eine Reihe gut besuchter Mitmach-Webseiten, die die unterschiedlichsten Zielgruppen bedienen. Da gibt es Netze für spezielle Berufs- und Altersgruppen, Hobbys und Haustiere. Allen gemein ist das Ziel, dass sich viele Mitglieder bei ihnen anmelden und vor allen Dingen lange aktiv bleiben. Denn nur so bleibt die Plattform für neue Nutzer und die werbetreibende Industrie attraktiv.
Viele dieser Netze scheuen bewusst den Aufwand und die Kosten einer AGOF-Messung, deshalb lässt sich auf den ersten Blick nur schwer erkennen, welches wirklich über eine aktive Nutzerschaft verfügt. Erste Anhaltspunkte über die Aktivität einer Community geben Dienste wie Alexa oder Google Trends [e] – siehe Abbildung 1.
Thematisch begrenzte Netze können wesentlich eher den Charakter einer Gemeinschaft haben, weil sie sich um Familie, Autos, Bücher, Musik oder beliebige andere konkrete „Dinge“ drehen. Das Interesse an ihnen bestimmt das Geschehen im Onlinenetz. Ihre Zahl geht allmählich an die 200 (siehe [b, c, f]). Von Konsolidierung kann momentan noch keine Rede sein.
Fazit
Der gemeine deutsche beziehungsweise deutschsprachige Internetnutzer kann auf eine Fülle sozialer Netze zugreifen. Allerorts locken kostenlose Mitgliedschaften den kommunikativen Surfer. Kostenlos aber nur insofern, als Nutzer keinen Mitgliedsbeitrag entrichten müssen. Das neu registrierte Mitglied soll gleich viele eigene Inhalte auf die Plattform stellen. Diese haben die Betreiber schließlich nicht zum Spaß, sondern für viel Geld programmiert, und sie läuft auf Servern, die ihrerseits bezahlt werden wollen. Zahlungskräftige Werbekunden locken die Plattform-Verantwortlichen direkt, über Affiliate-Netze oder Onlinevermarkter auf die eigene Plattform, damit sie zielgruppengerechte Anzeigen platzieren. Das wiederum erfordert viele, viele Nutzer. Nur bei einem anstehenden Umzug der nutzergenerierten Daten – des viel zitierten UGC (User Generated Content) – guckt der gemeine Anwender in die Röhre. Den Abfluss der mühselig erstellten Daten haben viele Betreiber nicht vorgesehen.
Ramon Wartala
ist IT-Leiter beim Hamburger Onlinevermarkter orangemedia.de GmbH und Koautor des 2007 bei Addison-Wesley erschienenen „Webanwendungen mit Ruby on Rails“.