Neue Definitionen, alte Probleme

Infonomics nennt sich ein neuer Zweig der Wissenschaften, der Informatik, Anthropologie und Ă–konomie zusammenbringen will.

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Von
  • Detlef Borchers

Infonomics nennt sich ein neuer Zweig der Wissenschaften, der Informatik, Anthropologie und Ökonomie zusammenbringen will. In dieser Zusammenballung entsteht ein Forschungsgebiet, das neue Definitionen braucht. New Definitions wurde daher die Konferenz getauft, die vom 4. bis 6. November von dem vor einem Jahr an der Universität Maastricht gegründeten Institut für Infonomics veranstaltet wurde. Mitveranstalter war die Internet-Zeitschrift First Monday, die damit ihr 5-jähriges Jubiläum feierte. First Monday ist eine wissenschaftliche Publikation, die sich der Erforschung von Open-Source- und Internet-Problemen verschrieben hat. Seit 1996 erscheint das "Blatt" an jedem ersten Montag im Monat und wird von Surfern in 160 Ländern regelmäßig gelesen, wichtige Artikel, vor allem die zur Ökonomie der Open Source, bringen es auf 70.000 bis 75.000 Downloads.

Entsprechend der thematischen Schnittmenge beider Veranstalter beschäftigte sich die zweitägige Konferenz unter dem Dreisatz Value, Community, Space mit Problemen, wie Werte und Reputationen in Communities geschaffen und getauscht werden können. Etwa 200 Teilnehmer verfolgten die Keynote von Esther Dyson, die sich etwas lustlos mit der notwendigen Reform der ICANN beschäftigte und flugs darauf entschwand. Dyson erwähnte nicht den Versuch von Mike Roberts, die ICANN nach den Ereignissen vom 11. September in eine amerikanisch-patriotische Organisation zu verwandeln. Stattdessen versuchte sie sich an der Frage, ob ICANN eine Frühform globaler Demokratie sei, in der Communities ihre Vorstellungen einbringen.

Auf Dyson folgte der Evangelist Bruce Perens mit einem Überblick über Geschichte und Probleme der Open Source. Dem positiv gestimmten Ausblick auf eine Szene, die trotz Branchenkrise Wachstumsraten von 33 Prozent verbucht, ließ Perens ein paar Bedenken folgen. Bei Steuerprogrammen wie dem US-amerikanischen Turbotax und den von den Medien geforderten DRM-Systemen (Digital Rights Management) werde Open Source kaum Chancen haben. Ebenso sei zweifelhaft, wie sich ein quelloffenes System mit kryptographischen Ansätzen vertrage, bei denen Staaten Hintertüren einbauen möchten. Im Unterschied zu nachfolgenden Rednern bezweifelte Perens, dass Open-Source-Programmierer anders als über die Einstellung in klassischen Firmen (wie Hewlett-Packard, wo Perens beschäftigt ist) bezahlt werden können. "No strings attached" sei eine problematische Illusion.

Gleich drei Redner beschäftigten sich mit dem Bezahlungsmodell von quelloffenen Programmierern, die mit Anerkennung belohnt werden. Der Däne Kasper Edwards stellte diese Anerkennung – die sich laut Edwards vorzüglich in Bewerbungsschreiben und Lebensläufe ummünzen lässt – den Marktinteressen der Firmen gegenüber, die der Bedrohung durch Microsoft entkommen wollen. Der Holländer Wilfred Dolfsma versuchte sich an einer Bestimmung, wie Werte in der quelloffenen Szene als Geschenke verteilt werden, und der Texaner Christopher Kelty verglich die Reputation der Szene mit dem Erwerb von akademischer Reputation. Über mehrere Ecken gedacht, beschäftigte sich der belgische Geld-Theoretiker Leo van Hove mit der Abschaffung des zentralbankgestützten Bargelds, wie es in Singapur 2008 auf der Tagesordnung stehen soll. Erst in der " cashless society" könnten Programmierer für ihre Arbeit an der Open Source richtig bezahlt werden, wie in den Anfängen der Ökonomie: als Tausch Ware gegen Ware.

Die "Betroffenen", die als Maintainer oder Moderatoren in der OS-Szene Projekte vorantreiben, waren vom Veranstalter nicht geladen worden. So musste Howard Rheingold herhalten, das Funktionieren von Communities zu beschreiben. Rheingold beschrieb das Entstehen von Communities auf BBS wie der Well vor der "Ankunft" des Internet und machte sich ĂĽber den "Community-Hype" lustig, der von vielen Dotcoms nach dem Ratschlag von Autoren wie John Hagel (Net Gain) betrieben wurde. Dabei ging Rheingold nicht auf das Scheitern seiner eigenen Firma Electric Minds ein und warnte lieber vor ĂĽberzogenen Erwartungen. "Universal funktionierende Communities kann es per Definition nicht geben, auch nicht in der Welt der Open Source." (Detlef Borchers) / (wst)