Neue Definitionen, neue Spielräume

Der zweite Tag von "New Definitions" war dem Versuch gewidmet, den sozialen, zeitlichen und technischen Raum zu beschreiben, den das Internet aufspannt.

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Von
  • Detlef Borchers

Auf dem Umschlag seines wichtigsten Buches "Der Weg nach vorn" steht Bill Gates auf einer Landstraße, die sich schnurgerade durch eine Wüste zieht. Dort, wo Gates das Internet beschreibt, gibt es keinen sozialen Raum, sondern nur ihn und den Highway durch die Einöde. Der zweite Tag der Konferenz New Definitions (siehe dazu auch Neue Definitionen, alte Probleme) war dem Versuch gewidmet, den sozialen, zeitlichen und technischen Raum zu beschreiben, den das Internet aufspannt.

Neben Bill Gates und seiner Wüstenei blendete man darum in Maastricht Bruce Springsteen ein, der vor einer Ampel lümmelt -- auch so könnte eine Netzmetapher aussehen. Der am Palo Alto Research Center von Xerox forschende Sozialhistoriker Paul Duguid zeigte in seinem bunten Vortrag "The Social Space of Information", warum gerade typische Dot.com-Firmen Probleme mit modernen Büros haben, in denen jeder flexibel mit einem persönlichen Rollwägelchen wandern muss. Lässt man ihnen freie Hand, igeln sich Techniker und Programmierer in Wagenburgen ein, weil ihr Raum auf das Netz hin orientiert ist. Duguid machte auch auf den Rückgang der Telearbeit in den Jahren 1994-99 aufmerksam: Während alle Welt von den Segnungen des boomenden Internet schwärmte, wurden Telearbeitsplätze in den USA abgebaut.

Richard Wiggins beschäftigte sich mit der Frage, warum die meisten Vorhersagen über das Internet überzogen sind. Als Grund nannte Higgins die völlige Unterschätzung der zeitlichen Dimension in der technologischen Entwicklung und den gnadenlosen Hype durch die Medien. "Alle Prognosen treffen ein, nur viel später." So sei der Siegeszug des Intranet bereits 1984 für das nächste oder übernächste Jahr mit dem Sieg des OSI-Protokolls prognostiziert worden. Dass dieses Protokoll nach 15 Jahren Entwicklungsarbeit sang- und klanglos in der Versenkung verschwand (und heute selbst in Fachlexika kaum noch zu finden ist), bezeichnete Tony Rutkowski als die größte Überraschung in der Entwicklung des Netzraumes. Bedingt durch eine Flugsperre für die leitenden Angestellten von Verisign wurde Tony Rutkowski aus den USA per Video zugeschaltet und reflektierte prompt, was "911" für die diese Technik für Veränderungen bringt. "Die Reichen nehmen Video, die Armen E-Mail".

Einen skurrilen Vortrag hielt Christine Maxwell von der Internet Society über den sozialen Raum von IPv6. Für Maxwell eröffnet der neu gestaltete Adressraum die Chance, dass Initiativen von unten und besonders die Dritte Welt besser am Internet partizipieren können. Als Argumente für diese These präsentierte Maxwell jedoch nur technische Details von IPv6. Weitere Vorträge beschäftigten sich mit der Rolle von Gerüchten im Internet und der öffentlichen Wahrnehmung von Politik-Themen durch Internet-Websites.

Etwas aus dem Rahmen fiel eine Präsentation von Bernd Hugenholtz, der an der Universität Amsterdam Internet-Recht lehrt. Er trat unter dem Community-Thema des vorangegangenen Tages an und beschäftigte sich unter "Copyright, Code, Contract und Community" mit dem Problem, ob Public-Domain-Software inklusive Open Source nach den neuen Copyright-Bestimmungen überhaupt noch eine Chance hat. In den noch anstehenden Beratungen und Umsetzungen der europäischen Urheberrechts-Directive sah Hugenholtz eine Chance für eine liberale Position, die "Fair-Use"-Praktiken anerkennt. Juristisch umstritten sei jedoch, ob "Fair-Use-Hacking" und "Fair-Use-Circumvention" gestattet würde.

Die am zweiten Tag nur noch von 80 Personen besuchte Konferenz "New Definitions" zeigte, dass die bunte Mischung aus Ökonomie, Anthropologie und Informatik, die sich unter dem Begriff Infonomics versammelt, noch ganz am Anfang steht. Eine zweite Definitions-Konferenz soll im August 2002 im dänischen Aarhus zeigen, ob sich dieser Querschnitt durch die etablierten Fächer halten kann. (Detlef Borchers) / (jk)