18C3: ICANN-Direktor stellt die Sinnfrage

Andy Müller-Maguhn zieht auf dem 18. Chaos Communication Congress in Berlin eine ernüchternde Zwischenbilanz seiner Amtszeit bei der Netzverwaltung ICANN.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 79 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.

Der von den europäischen Surfern im Herbst 2000 in den Vorstand der kalifornischen Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) gewählte Andy Müller-Maguhn hat auf dem 18. Chaos Communication Congress in Berlin eine ernüchternde Zwischenbilanz seiner Amtszeit gezogen. Wie der nach zahlreichen ICANN-Meetings zwischen Los Angeles und Melbourne inzwischen mit bestem amerikanischen Slang Englisch sprechende User-Vertreter gestern ausführte, wird die Netzverwaltung von der Industrielobby genauso ferngesteuert wie vom US-Wirtschaftsministerium. Dass auch die anderen Landesregierungen bei der Regulierung des Namensraums des Internets stärker mitreden wollen, "verschlimmbessert" laut Müller-Maguhn die Lage.

Der große "Single Point of Failure" ist für ihn die Abhängigkeit der ICANN von der amerikanischen Regierung, die der "Stabilität des Namensraums" abträglich sei. Die zum US-Wirtschaftsministerium gehörende National Telecommunication and Information Administration (NTIA) übt nach wie vor die politische Kontrolle über den für die Funktion des Domain-Name-Systems (DNS) zentralen A-Root-Server aus ­und will sie auch in absehbarer Zukunft nicht aufgeben. Für Müller-Maguhn stellt sich damit die Frage, "ob ICANN überhaupt Sinn macht, wenn am Ende doch das Department of Commerce die Entscheidungen fällt."

Konkrete Probleme mit diesem System sieht der europäische ICANN-Direktor bei der Verwaltung der afghanischen Länderdomain .af. Der mit 68 Registrierungen bislang noch wenig genutzte Namensraum der Krisenregion wird von der Londoner Firma NetNames gepflegt. Bislang gibt es dafür keinen gesonderten Server. Den wollten die Briten allerdings mit dem Segen von ICANN einrichten, da die afghanischen Domains regelmäßig mit Denial-of-Service-Attacken (DoS) angegriffen werden und dadurch momentan einer der Hauptrechner der Firma betroffen ist. Nun liegt der Antrag seit Oktober beim US Wirtschaftsministerium -- ­unbearbeitet, wie Müller-Maguhn sagt. Der technische DoS-Angriff werde dadurch administrativ noch fortgesetzt.

Empörend findet der Hacker auch den unverhohlenen Einfluss der Markenrechtslobby auf ICANN. Bereits mit der Erlaubnis, Vertretern von Organisationen wie der Motion Picture Association of America (MPAA) ein Mitspracherecht zu geben, habe die Netzverwaltung den rein technischen Bereich verlassen. Welchen Einfluss die Hüter des geistigen Eigentums auf die nichtkommerzielle Unternehmung bereits habe, hätte sich vor allem auf einem der jüngsten ICANN-Treffen in Montevideo gezeigt. Von etwas über 600 Teilnehmern seien rund 400 Markenrechtsanwälte gewesen. Müller-Maguhn wundert es daher nicht, dass in allen ICANN-Verträgen mit Namensraumvergebern und Domain-Verkäufern Wirtschaftsinteressen Vorrang haben. (Stefan Krempl) / (em)