Provider in Nordrhein-Westfalen erhalten Sperrungsverfügungen

Die rund 80 betroffenen Unternehmen und Hochschulen fühlen sich über den Tisch gezogen und wollen gegen die Anordnung der Bezirksregierung Sturm laufen.

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Die Bezirksregierung Düsseldorf hat jetzt begonnen, die bereits kurz vor Weihnachten angekündigten Sperrungsverfügungen an Internet-Provider in Nordrhein-Westfalen zu versenden. Die ersten Zugangsanbieter haben die "mit Postzustellungsurkunde" überbrachte Anordnung, die heise online vorliegt, bereits auf dem Tisch. Insgesamt wird die Verfügung an rund 80 privatwirtschaftliche und universitäre Provider verschickt. "Das verzögert sich vielleicht noch etwas über die Karnevalstage", sagte eine Sprecherin der Bezirksregierung gegenüber heise online. Bis zum Dienstag würden aber alle den zehnseitigen Brief in Händen halten. Einzelne Hochschulen hatten die Sperrungen Ende Januar bereits wieder aufgehoben, da sie die Rechtssicherheit ohne das Schreiben aus Düsseldorf nicht gewährleistet sahen.

Als Rechtsgrundlage der Sperrungsverfügung dienen die Paragraphen 8 und 18 des Mediendienste-Staatsvertrags (MDStV) der Länder. Dem als Wächter über die Mediendienste-Anbieter des Landes fungierenden Düsseldorfer Regierungspräsidenten Jürgen Büssow geht es um die Filterung von einschlägig bekannten Neonazi-Seiten in den USA, die seiner Einschätzung nach zur Volksverhetzung aufrufen, den Krieg verherrlichen und Kinder und Jugendliche "sittlich schwer gefährden" könnten. Anders als ursprünglich im Vorfeld einer Anhörung Mitte November geplant, geht es "nur" noch um das Webangebot des Holocaust-Leugners und überzeugten Neo-Nazis Gary Lauck sowie den texanischen Service-Provider Stormfront. Für die aufgrund ihres teilweise geschmacklosen Bilderarchivs bekannt gewordene Site rotten.com sowie die bereits seit längerem allgemein nicht mehr aufrufbare rechtsextremistische Seite Front 14 besteht dagegen keine Sperrungsverfügung.

Die Bezirksregierung hält die Sperrungen technisch mit Hilfe des "Ausschlusses von Domains im Domain-Server", der "Verwendung eines Proxy-Servers" sowie dem Übergehen einzelner IP-Adressen im Router für möglich. Sie seien zudem "zumutbar" und "verhältnismäßig", führt die Landesbehörde in der Post an die Provider aus. Um die Wissenschaft nicht zu behindern, hat Büssow eine Befreiung für Hochschulen eingebaut. Sie sind nicht zum Sperren der beiden Websites verpflichtet, wenn deren Einsicht "zum Zwecke der Forschung und Lehre" notwendig ist und der Zugang zeitlich und räumlich begrenzt wird.

Die Sperrungsverfügungen sind seit vergangenem Herbst äußerst umstritten: So hat sich unter Internet- und Medienrechtlern die Auffassung durchgesetzt, dass Zugangsanbieter als reine Übermittler von Daten zu behandeln seien, die den im MDStV sowie vergleichbaren Gesetzen festgeschriebenen Haftungsprinzipien nicht unterliegen. Der Bundesgerichtshof hatte in einem Urteil zu Telefon-Mehrwertdiensten dementsprechend jüngst entschieden, dass Access-Provider für transportierte Inhalte nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Strafanzeige gegen Büssow wegen Datenunterdrückung, Verletzung des Fernmelde- und Postgeheimnisses sowie Eingriffe in die Informationsfreiheit hatte zudem jüngst ein Stuttgarter Zensurgegner gestellt. Der Düsseldorfer Staatsanwalt ermittelt.

Die betroffenen Unternehmen, zu denen bislang nicht die in Bonn sitzende Deutsche Telekom gehört, waren auf die Verfügung zwar vorbereitet, sprechen aber trotzdem von einer "ausgemachten Sauerei." Entgegen aller Mitte Dezember getroffenen Abmachungen hat Büssow der Anordnung nämlich eine Rechtsbehelfsbelehrung angefügt, sodass sich die Provider nun nur innerhalb eines Monats -- statt sonst eines Jahres -- zur Wehr setzen müssen. "Wir fühlen uns über den Tisch gezogen", erklärte Harald Summa, Chef des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco gegenüber heise online. Bis Mittwoch wollen die Provider nun beraten, ob sie gemeinschaftlich oder als Einzelunternehmen gegen die Verfügung klagen werden. "Wir werden die Sache auf jeden Fall so nicht hinnehmen und uns verwaltungsrechtlich zur Wehr setzen", gab Summa als Parole aus. (Stefan Krempl) / (jk)