Webcam-Bilder lernen laufen

Ein fünfköpfiges Team der Mainzer Fachhochschule bastelt Fernsehfilme aus Bildern von Internet-Kameras.

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Von
  • Ingrid Krämer
  • dpa

Jederzeit beobachtet zu werden, ist nicht ihr Ding. Anderen Menschen und Naturgewalten sehen sie dagegen ohne Skrupel zu, rund um die Uhr, rund um die Welt: Ein fünfköpfiges Team der Mainzer Fachhochschule bastelt Fernsehfilme aus Bildern von Internet-Kameras. Der zweite Film ist gerade für das ZDF in Arbeit, der erste lief bereits im März und wurde mittlerweile preisgekrönt.

Als studentisches Projekt am Mainzer FH-Institut für Mediengestaltung und Medientechnologie (img) hatte das Experiment mit den so genannten Webcams im vergangenen Jahr begonnen. Die Aufnahmen tausender Kameras weltweit suchten die jungen Leute mit ihrem Professor Harald Pulch im Internet zusammen. Die Bilder sammelten sie monatelang mit spezieller Software am PC, sortierten die Resultate, klärten Bildrechte, wählten aus, interviewten Webcam-Betreiber und schnitten das Material zu einer eigenen Filmcollage zusammen, gehalten von einem Spannungsbogen mit Motiven, einem Moderator und Musik.

Auch nach monatelanger Vollzeit-Recherche fesseln die Netz-Kameras die jungen, mittlerweile fast alle diplomierten Leute noch. "Mich fasziniert immer wieder, an welchen Orten man Cams finden kann", sagt die frisch gebackene Absolventin Daniela Thiel. Ansichten aus dem Kühlschrank einer schwedischen Familie hat sie mit ihren früheren Kommilitonen bereits verarbeitet, Bilder von Kühen in einer Melkstation und von einer Kölner Straßenkreuzung. Aufnahmen aus der freien Wildbahn Afrikas waren dabei, aus einem Knast in Arizona und vom Strand von Abu Dhabi. Sie waren Teil des ersten Films, für den die Mainzer Truppe auf der Internationalen Funkausstellung den Talentpreis der Multimedia-Auszeichnung "Digiglobe" erhielt.

Der neue Film soll sich auf Sehenswürdigkeiten aus der ganzen Welt konzentrieren. "Bilder mit Postkartenwert" müssten es werden, sagt der junge Designer Uli Kern, "was zur Entspannung". Denn das ZDF will die Bilder vom Dezember an nachts senden, als Pausenfüller in verschieden langen Sequenzen. Vorgesehen sind bisher Aufnahmen aus Hawaii, von der Klagemauer in Jerusalem, dem Panama-Kanal und dem rauchenden Vulkan Popocatepetl in Mexiko.

Qualität und Zahl der Webcams steige ständig, berichten die professionellen Gucker. "In den Monaten, in denen wir dran sind, war es eine regelrechte Explosion", meint Andrea Lang, im Team die einzige verbliebene Studentin. Die älteren Geräte hätten ihre Bilder im Netz nur alle paar Stunden aktualisiert. Mittlerweile aber könnten immer mehr Kameras bewegte Bilder in immer besserer Qualität übertragen. Einige erreichten beinahe Fernseh-Standard.

Für eine Sekunde kann das Team rund 25 Bilder hintereinander schneiden, die im Internet erst nach Minuten oder Stunden aufeinander folgen würden. Genau das mache den künstlerischen Reiz eines Webcam-Films aus, findet Uli Kern: Tag- und Nachtaufnahmen gehen ineinander über, Hochhaus-Schatten und Café-Besucher laufen im Zeitraffer über den Schirm, tauchen auf und sind schon wieder weg. Der Reiz der Kameras im Netz dagegen liege in dem Live-Effekt, unmittelbar sehen zu können, was an einem Tausende Kilometer entfernten Fleck gerade passiert - und manchmal darin, selbst ins Geschehen einzugreifen.

Hin und wieder nämlich lassen sich die Internet-Kameras mit der heimischen Computermaus bedienen: Schwenk nach links, Schwenk nach rechts oder ein Zoom. Ein Chicagoer Labor stellt für solche Spielereien sogar sein Mikroskop bereit. Und bei Börsenmaklern in San Francisco konnten die Mainzer fast Notizen auf gelben Post-it-Zetteln heranzoomen. Diese Observierung aus dem Netz sei für die Leute vor der Cam besonders gewöhnungsbedürftig, berichtet Ex-Student Robin Sander: "Wenn die Kameras 'rumschwenken, hört man so ein leises Surren. Dann weiß man, dass jemand zuschaut." (Ingrid Krämer, dpa) / (anw)