Fingerabdruck rehabilitiert

Ein US-Gericht revidiert seine Vorbehalte gegen den Fingerabdruck als Beweismittel in Strafprozessen.

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Von
  • Richard Sietmann

Anfang des Jahres sorgte die Entscheidung für Aufsehen: Am 7. Januar hatte Richter Louis Pollak vom US District Court for the Eastern District of Pennsylvania, ein früherer Dekan der Yale Law School, in einem Mordprozess per Verfügung festgestellt, dass Fingerabdrücke den strengen Kriterien des US Supreme Court an einen wissenschaftlich gesicherten Sachbeweis nicht genügten.

Für die seit mehr als hundert Jahren zur Identifizierung von Tätern eingesetzten Fingerabdrücke hätte ebenfalls zu gelten, was das US-Verfassungsgericht generell als Anforderung an die wissenschaftliche Evidenz in gerichtlichen Verfahren 1993 präzise formuliert hatte: Die zur Entscheidungsfindung herangezogenen Methoden und Verfahren müssten experimentell überprüfbar, der Begutachtung durch ein Peer Review unterzogen worden, wissenschaftlich allgemein akzeptiert und die Wahrscheinlichkeiten für Fehler oder Irrtümer bekannt sein. Mit diesen Kriterien wollte der Supreme Court der um sich greifenden Scharlatanerie umstrittener wissenschaftlicher Gutachter Einhalt gebieten, deren abstruse Theorien und Außenseitermeinungen von rührigen Anwälten in das Verfahren eingebracht wurden und mit denen sie die hilflosen Gerichte vielfach zwangen, entweder für eine bestimmte Lehrmeinung Partei zu nehmen oder im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten zu entscheiden.

Zur allgemeinen Überraschung von Juristen und Kriminalisten hatte Richter Pollak erkannt, dass auch der längst akzeptierte Fingerabdruckbeweis den höchstrichterlichen Kriterien nicht genügt -- insbesondere, weil die Fehlerrate, mit der sich die Daktyloskopen irren können, wissenschaftlich nie quantifiziert worden war. Zwar beziffern einige Kriminalbiologen die Wahrscheinlichkeit, durch genetische Zufälle identische Fingerabdrücke zweier verschiedener Menschen zu finden, auf unter eins zu 64 Milliarden -- solche theoretischen Abschätzungen sagen statistisch jedoch wenig über die Qualität der Auswertung von Tatortspuren und den Vergleich mit erkennungsdienstlich gewonnenen Merkmalen in der alltäglichen praktischen Polizeiarbeit aus. Deshalb ließ Pollack die Spurensicherungsexperten der Staatsanwaltschaft lediglich als sachverständige Zeugen zu, untersagte ihnen aber vor der Jury jede Aussage darüber, ob die erkennungsdienstlich gewonnenen Fingerabdrücke des Beschuldigten mit den am Tatort aufgenommenen übereinstimmten.

Nach dieser Entscheidung befürchteten Beobachter schon eine Lähmung der Strafjustiz, wenn nun Methodik und Beweiskraft der Daktyloskopie als Pfeiler der alltäglichen Ermittlungsarbeit über alle Instanzen in Zweifel gezogen würden. Doch jetzt blies dasselbe Gericht die forensische Revolution wieder ab: Nachdem die Staatsanwaltschaft Einspruch erhoben hatte, stellte Richter Pollak in einer neuen Verfügung nunmehr klar, dass Fingerabdrücke in dem laufenden Verfahren auch weiterhin eine Rolle spielen -- nur halt nicht als wissenschaftlich unangreifbarer Sachbeweis. Obwohl die Fehlerwahrscheinlichkeit des Verfahrens unbekannt sei, gebe es keine Erkenntnisse darüber, dass sie unakzeptabel hoch sei. Der Vergleich von Fingerabdrücken sei mit der Rekonstruktion eines Verkehrsunfalls durch technische Experten vergleichbar.

So bleibt seine Entscheidung vom Januar ein Warnschuss gegen die weit verbreitete Wissenschaftsgläubigkeit -- den Indizienbeweis im Strafprozess hebt sie nicht aus den Angeln. Aber was und in welchem Umfang als Beweis zu gelten hat, das entscheidet nach wie vor das Gericht, nicht der Experte.

Siehe dazu auch den Telepolis-Artikel zur ursprünglichen Gerichts-Entscheidung: Vergleich von Fingerabdrücken kein wissenschaftliches Verfahren.(Richard Sietmann) / (jk)