Mathematik und Frieden
Welche Verantwortung Mathematiker für die Weiterentwicklung der Militärmaschinerie haben, diskutierten Wissenschaftler auf einer interdisziplinären Konferenz in Schweden.
"Ich habe ein einfaches System entwickelt, mit dem Nachrichten mittels eines Geheimschlüssels einfach verschlüsselt und wieder entschlüsselt werden können und ich könnte es wohl an die Regierung Seiner Majestät verkaufen, doch habe ich meine Zweifel über die moralische Seite dieser Angelegenheit", schrieb Alan Turing im Jahre 1936 an seine Mutter. An Alan Turing, der sich im Jahre 1933 der Bewegung der Kriegsgegner anschloss, der vor seiner Entschlüsselungsarbeit in Bletchley Park die allgemeine Funktionsweise eines Computers definierte, entzündete sich auf der Konferenz Mathematics and War eine rege Diskussion: "Hat Turing sich wie ein typischer Mathematiker verhalten?", fragte Turing-Biograf Andrew Hodges sein Publikum. An der Entschlüsselung der Enigma-Codes mitzuarbeiten bereitete ihm kein Problem und wird von ihm als "großes intellektuelles Vergnügen" bezeichnet, doch das eigene Schlüsselsystem in der Hand einer Regierung bereitete ihm Unbehagen.
Welche Verantwortung Mathematiker haben können, bildete den zweiten Schwerpunkt der interdisziplinären Konferenz Mathematics and War. Erinnert sei etwa an den amerikanischen Mathematiker Graham Nash, dessen Leben nach der Biografie "A Beautiful Mind" unlängst verfilmt wurde. Nash, der für ein vom Pentagon finanziertes Labor arbeitete, versuchte kurz vor dem Ausbruch seiner Schizophrenie, in die DDR zu ziehen, um zum Ausgleich der Systeme beizutragen. Auf der Konferenz selbst stellte Finn Aaserud, Leiter des Niels Bohr-Archives, die Gedanken des Physikers Bohr vor (sein Bruder Harald Bohr war ein bekannter Mathematiker), den Bau der Atombombe systemübergreifend von Briten, Amerikanern und Russen durchführen zu lassen und sie am Ende einer übernationalen Weltpolizei zu übergeben. Der Vorschlag, den Bohr später in einem "Open Letter to the United Nations" aufgreifen sollte, wurde von Roosevelt vorsichtig, von Churchill wütend abgelehnt.
Ein Fazit der ersten Konferenz zu einem scheinbar selbstverständlichen Thema: Die Explosion der Mathematik im zweiten Weltkrieg, die Anwendung mathematischer Verfahren, etwa bei aerodynamischen Berechnungen, trugen entscheidend dazu bei, dass der Computer sich so schnell durchsetzen konnte. Der Weltkrieg bildete die Brücke zwischen der theoretischen Logik der Mathematik und dem praktischen Einsatz von Elektronenrechnern. Für die Nachkriegszeit zeichnete Alan Turing ein idyllisches Bild: "Für alle Vorgänge des menschlichen Lebens, die kodiert und automatisiert werden können, werden Mathematiker mit Computererfahrung gebraucht werden, die die Instruktionstabellen aufstellen, mit denen Jedermann umgehen lernt." Zumindest darin war Turing ein tyischer Mathematiker. (Detlef Borchers) / (wst)