Medien-Stiftungen rufen nach Medienkompetenz

Die Stiftungen der Mediengiganten AOL Time Warner und Bertelsmann fordern eine digitale Qualifizierungskampagne und mehr E-Demokratie vom Staat, während Kanzler Schröder die Unternehmen in die Pflicht nehmen will.

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Digitale Medienkompetenz muss verstärkt genauso wie Lesen, Schreiben und Rechnen als Grundfähigkeit betrachtet werden, fordern gemeinsam die Bertelsmann Stiftung und die AOL Time Warner Stiftung. Anderenfalls könnten die Menschen nicht an den Möglichkeiten der Informationsgesellschaft teilhaben. Die Stiftungen der beiden Mediengiganten rufen Unternehmen, Regierungen, Lehrer und den Nonprofit-Sektor dazu auf, die Bürger mit den nötigen Fähigkeiten im Umgang mit Internet und Computer auszustatten. Praktische Maßnahmen schlagen sie in einem Weißbuch vor, das die Stiftungsleiter am heutigen Donnerstag zusammen mit Spitzen aus der internationalen Politik in Berlin im Rahmen des 21st Century Literacy Summit vorgestellt haben.

Gerhard Schröder bezeichnete in seiner Begrüßungsrede Medienkompetenz ganz im Sinne der Konferenzveranstalter als "Schlüsselqualifikation" des 21. Jahrhunderts und nahm sie in den Rang der "Kulturtechniken" auf. Sie eröffne "bessere Chancen für den Erfolg im Privat- und Wirtschaftsleben in einer vernetzten Welt", sagte der selbst als Computermuffel geltende Bundeskanzler, der nun nächtens seinen Kopf wohl etwas höher betten wird, denn er versprach, das über 100-seitige Weißbuch unter sein Kopfkissen zu legen. Vier Fünftel des Arbeitsalltags würden zukünftig mit dem Verarbeiten von Informationen zu tun haben. Die ganze Gesellschaft müsse daher das Problem anpacken, mit den digitalen Technologien richtig umzugehen.

Besonders nahm Schröder allerdings die Unternehmen in die Pflicht: Sie sollten nicht immer nur auf den "Shareholder Value" schauen, sondern sich verstärkt ihrer "sozialen Verantwortung" im Bereich Weiterbildung bewusst werden.

Ansonsten fuhr der Kanzler dort fort, wo seine Kabinettskollegen aus dem Bildungs- und Wirtschaftsministerium am Mittwoch bei der Vorstellung des Fortschrittsberichts Informationsgesellschaft Deutschland" aufhörten. Deutschland sei bereits das Land mit dem "günstigsten Internetzugang", führte er vor den erstaunten AOL-Managern aus, die sich seit langem vehement für billigere Flatrates stark machen. Zudem liege die Regierung auch mit ihrem Aktionsprogramm BundOnline, mit dem alle internetfähigen Dienstleistungen der Verwaltung online verfügbar gemacht werden sollen, weit vorn.

Die Bertelsmann Stiftung übt dagegen in einer jüngst veröffentlichten Studie zum E-Government Kritik an dem Renommee-Projekt Schröders. Generell liege die E-Verwaltung in Deutschland im internationalen Vergleich hinter England und USA "einen Mausklick" zurück. Bei der digitalen Verwaltungsmodernisierung seien hierzulande aber auch die Chancen vernachlässigt worden, welche das Internet für "neue Formen der Bürgerbeteiligung" biete, sagte Ingrid Hamm aus der Geschäftsleitung der Gütersloher Stiftung mit Hinblick auf fehlende Partizipationsmöglichkeiten bei BundOnline. Ganz in diesem Sinne fordern die Medienstiftungen in ihrem Weißbuch auch, den Staat mit Hilfe von E-Demokratie transparenter zu machen und damit die Bürgergesellschaft zu stützen.

Ăśber wachsweiche Empfehlungen wie "Alle staatlichen Ressourcen nutzen", einige der obligatorischen "Best Practice"-Beispiele sowie allerlei gute Tipps zum "Lebenslangen Lernen" von der Schule bis zum Arbeitsplatz kommt das Papier allerdings nicht hinaus.

Am morgigen Freitag haben die Stiftungen noch reichlich Prominenz geladen, um sich dem bereits seit langem in der Forschung diskutierten Thema Medienkompetenz anzunehmen. So werden unter anderem der momentane EU-Ratspräsident und spanische Ministerpräsident José Maria Aznar, die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright sowie EU-Kommissar Erkki Liikanen nach dem AOL-Time-Warner-Chef Steve Case über die Vorschläge debattieren.

Forscher vom Wissenschaftlichen Institut für Kommunikationsdienste (WIK) warnen allerdings seit längeren davor, den Medienkompetenzbegriff "mit immer neuen inhaltlichen Merkmalen zu überfrachten und ihn damit in seiner gesellschaftlich integrierenden und vermittelnden Funktion zu schwächen." Als "Allheilmittel" tauge der Begriff nicht. (Stefan Krempl) / (anw)