Mausembryos in künstlicher Gebärmutter gezüchtet
Forscher ließen die Nager-Embryonen länger als je zuvor in vitro wachsen. Sie hoffen auf neue Einblicke auch in die menschliche Embryonalentwicklung.
- Antonio Regalado
Eine israelische Forschergruppe hat Mäuse bis zu 12 Tage lang in einer künstlichen Gebärmutter wachsen lassen, etwa die Hälfte der natürlichen Tragezeit der Tiere. Ein Video der Wissenschaftler zeigt lebendige Mausembryonen mit schlagenden Herzzellen, einem Kopf und dem Beginn von Gliedmaßen. Das ist die längste Entwicklung eines Säugetiers außerhalb des Mutterleibs.
Videos by heise
Jacob Hannas Team ließ die Mausembryonen länger als zuvor wachsen, indem es Blutserum aus menschlichen Nabelschnüren hinzufügte, sie in Glasbehältern bewegte und eine unter Druck stehende Sauerstoffmischung hineinpumpte. Das funktioniere ähnlich wie eine künstliche Beatmung. „Es drückt den Sauerstoff in die Zellen“, sagt Hanna, der Entwicklungsbiologe am Weizmann Institute of Science ist. Die Mausembryonen starben erst, nachdem sie zu groß geworden waren, als dass der Sauerstoff durch sie hindurch diffundieren konnte, da ihnen die natürliche Blutversorgung einer Plazenta fehlt.
Das Projekt öffnet gewissermaßen ein Fenster in die frühe Embryonalentwicklung, die normalerweise in der Gebärmutter verborgen ist. In seiner Veröffentlichung im Fachjournal Nature beschreibt das israelische Team eine Reihe von Experimenten, bei denen den Mäuseembryos Giftstoffe, Farbstoffe, Viren und menschliche Zellen zugesetzt wurden, um zu untersuchen, was passieren würde.
Schockierendes Bild?
Hanna glaubt, dass Wissenschaftler auch menschliche Embryonen auf diese Weise entwickeln werden wollen. Er gibt zu, dass Bilder von im Labor gezüchteten menschlichen Embryonen mit einer grob erkennbaren Form – Kopf-, Schwanz- und Gliedmaßenknospen – schockierend sein könnten. Das menschliche Äquivalent zu Hannas 12 Tage alten Mäusen wäre ein Embryo im ersten Trimester.
„Ich verstehe die Schwierigkeiten. Wir betreten die Domäne der Abtreibungen“, sagt Hanna. Er sagt jedoch, dass er solche Experimente rationalisieren kann, da Forscher bereits fünf Tage alte menschliche Embryonen aus Kinderwunsch-Kliniken untersucht haben, die dabei ebenfalls zerstört werden. Der Forscher glaubt, dass im Labor gezüchtete Embryonen ein Forschungsersatz für Gewebe aus Abtreibungen sein könnte und möglicherweise auch eine Gewebequelle für medizinische Behandlungen.
„Ich wäre dafür, sie bis zum 40. Tag wachsen zu lassen“, sagt Hanna. „Anstatt Gewebe aus Abtreibungen zu gewinnen, nehmen wir eine Blastozyste und züchten sie.“ Inwieweit dieser Fall anders wäre, bleibt unklar. Die Forschung ist Teil einer Flut neuer Techniken und Ideen zur Untersuchung der frühen Embryonalentwicklung. In derselben Ausgabe von "Nature" berichten zwei weitere Forschungsgruppen über einen Sprung bei der Schaffung „künstlicher“ menschlicher Embryonen.
Hautzellen und Stammzellen
Diese Teams haben gewöhnliche Hautzellen und Stammzellen dazu gebracht, sich zu frühen menschlichen Embryonen zusammenzusetzen, die sie Blastoide nennen und die sie etwa zehn Tage lang im Labor gezüchtet haben. Verschiedene Arten von künstlichen Embryonenmodellen wurden bereits beschrieben, aber die jüngst vorgestellten gehören zu den vollständigsten, da sie Zellen zur Bildung einer Plazenta besitzen. Das heißt, sie sind einen Schritt näher dran, lebensfähige menschliche Embryonen zu sein, die sich bis zur Geburt weiterentwickeln könnten.
Wissenschaftler betonen, dass sie niemals versuchen würden, eine Schwangerschaft mit künstlichen Embryonen herbeizuführen. Eine solche Handlung wäre in den meisten Ländern derzeit verboten. Stattdessen wäre für Hanna ein naheliegender nächster Schritt, diese Embryo-Modelle seinem System von sich drehenden Gläsern hinzuzufügen und zu sehen, wie weit sie sich weiterentwickeln können. „Es dauerte sechs Jahre sehr intensiver Arbeit, um dieses System dahin zu bringen, wo es ist“, sagt Hanna.
Die künstliche Gebärmuttertechnologie bleibt vorerst „komplex und teuer“, sagt Entwicklungsbiologe Alfonso Martinez Arias von der spanischen Pompeu Fabra Universität, der nicht an den aktuellen Projekten beteiligt war. Er glaubt nicht, dass viele andere Labors sie nutzen können, und er ist nicht dafür, menschliche Embryonen auf diese Weise zu züchten: „Es ist teuer und kompliziert, also müssen wir sehen, wie nützlich es ist.“
Embryonen zunächst entnommen
Die Mäuseembryo-Technologie brauche zudem weitere Verbesserungen, sagt Hanna. Er war nicht in der Lage, die Mäuse von einem befruchteten Ei-Stadium bis zum zwölften Tag zu bringen. Stattdessen entnahm er trächtigen Mäusen fünf Tage alte Embryonen und brachte sie in das Inkubatorsystem, wo sie eine weitere Woche lebten. Allerdings entwickeln sich die Mausembryonen derzeit nur dann richtig, wenn sie zumindest für kurze Zeit an einen tatsächlichen Uterus der Maus angebunden werden können.
Hannas Team arbeitet daran, das Verfahren so anzupassen, dass die Mäuse vollständig in vitro entwickelt werden können. Ihm geht es dabei nicht darum, Mäuse im Labor geburtsreif zu entwickeln. Sein Ziel ist es, die frühe Entwicklung zu beobachten und zu manipulieren. „Ich möchte sehen, wie sich das Programm entwickelt. Ich habe viel zu lernen“, sagt er.
Langzeitstudien an lebenden menschlichen Embryonen, die sich im Labor entwickeln, sind in den USA derzeit nach der sogenannten 14-Tage-Regel verboten. Sie ist eine Richtlinie und in einigen Ländern ein Gesetz. Die wissenschaftliche Organisation Internationale Gesellschaft für Stammzellforschung (ISSCR) plant jedoch, die Aufhebung des Verbots zu empfehlen und einige Embryonen länger wachsen zu lassen. Hanna zufolge würde das bedeuten, dass er menschliche Embryonen in seinem Inkubator züchten könnte – sofern die israelischen Ethikkommissionen es freigeben und er glaubt, dass sie es tun würden.
Umstrittenes Experiment – aber wichtig
„Es ist ein sehr wichtiges Experiment“, sagt Hanna. „Wir müssen sehen, wie die Gastrulation bei menschlichen Embryonen abläuft, wie sich Organe bilden und anfangen zu arbeiten – und dann beginnen, sie dabei zu stören. Der Vorteil davon, menschliche Embryonen bis Woche drei, vier oder fünf wachsen zu lassen, wäre von unschätzbarem Wert.“ Um solche Experimente akzeptabler zu machen, könnten menschliche Embryonen verändert werden, um ihr Potenzial zur vollständigen Entwicklung zu begrenzen. Eine Möglichkeit wäre, genetische Mutationen in einen Kalziumkanal einzubauen, um zu verhindern, dass das Herz jemals schlägt. Hanna hat für seine Entscheidung keine Bioethiker oder religiöse Persönlichkeiten konsultiert.
Es könnte allerdings unerwartete praktische Anwendungen für das In-vitro-Züchten menschlicher Embryonen geben. Für William Hurlbut, Arzt und Bioethiker an der Stanford University, böten sie eine Möglichkeit, Leber- oder Bauchspeicheldrüsenzellen im ersten Trimester zu gewinnen, die dann weiter gezüchtet und in der Transplantationsmedizin verwendet werden könnten. Hanna stimmt ihm zu.
„Die wissenschaftliche Grenze verlagert sich von Molekülen und Reagenzgläsern zu lebenden Organismen“, sagt Hurlbut. „Ich glaube nicht, dass die Organzüchtung zu weit hergeholt ist. Es könnte schließlich dort ankommen. Aber das Thema ist sehr geladen, weil die Grenze für eine Person nicht da verläuft wo, sie für eine andere Person liegt.“
(vsz)