IT-Projekte: Kostenfaktor statt Wettbewerbsvorteil

Lange genug hat es geheißen, dass IT-Projekte einen Wettbewerbsvorteil versprechen. Schaut man der Realität ins Auge, wird ein IT-Projekt jedoch wie ein Kostenfaktor behandelt – nicht anders als Strom oder Miete. Dabei könnte es anders sein.

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Von
  • Eberhard Wolff
Inhaltsverzeichnis

Lange genug hat es geheißen, dass IT-Projekte einen Wettbewerbsvorteil versprechen. Schaut man der Realität ins Auge, wird ein IT-Projekt jedoch wie ein Kostenfaktor behandelt – nicht anders als Strom oder Miete. Dabei könnte es anders sein.

Wohl alle in der IT denken, dass eine effiziente IT einen Wettbewerbsvorteil verschaffe. Daten sind bekanntermaßen das neue Öl. Digitalisierung macht alles zu Software, und wer Software beherrscht, beherrscht den Markt. IT-Projekte sind offensichtlich notwendig, um diese Vorteile tatsächlich zu realisieren.

Schauen wir uns ein typisches IT-Projekt an. Die Kosten sind praktisch immer bekannt. Die laufenden Personalkosten lassen sich relativ einfach ermitteln, die Projektlaufzeit ist ebenfalls bekannt und auch Faktoren wie Hardwarekosten werden meistens sehr genau ermittelt. Zeiten und Termine werden geschätzt, Budgets festgelegt, und wenn sie überschritten werden, wird das natürlich gemanagt. Und deutliche Überschreitungen haben ernsthafte Konsequenzen.

Wenn die IT-Projekte einen Wettbewerbsvorteil erzeugen sollen, dann müssen die Business-Ziele ebenfalls gemanagt werden – sei es das Erschließen neuer Märkte oder das Optimieren bekannter Prozesse. Die Ziele müssen eigentlich sogar im Mittelpunkt stehen. Natürlich basieren Projekte oft auf einem Business Case, der beispielsweise in einer Präsentation festgehalten worden ist und dazu dient, ein Projekt zu rechtfertigen und zu starten. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass die Ziele tatsächlich das Geschehen in den laufenden Projekten bestimmen.

In den verschiedenen Projekten, die man als Berater sieht, sind den Teams die Business-Ziele der Projekte nicht immer klar. In einigen Projekten gibt es beispielsweise Ziele wie einen Nutzen für Endkunden, aber sie sind dem Team nicht kommuniziert oder bestimmen nicht die tägliche Arbeit. Bei anderen Projekten bleiben die Ziele dauerhaft unklar.

Werkzeuge wie Burn-Down-Charts, die den noch verbliebenen Aufwand und damit letztlich die verbliebene Zeit und das verbleibende Budget zeigen und an alle klar kommunizieren, sind hingegen üblich. Wie gesagt: Kosten und Budgets werden eigentlich immer gemanagt. Interessanterweise ist ein Burn-Down-Chart gerade bei agilen Projekten üblich, die eigentlich versprechen, Business-Ziele besser zu erreichen.

Ein Beispiel für die Vernachlässigung von Business-Zielen können Projekte für die Migration auf eine neue Technologie sein. An den Funktionalitäten ändert sich nichts. So wird zwar ein Business-Ziel wie niedrigere Betriebskosten oder ein langfristig stabiler Betrieb ermöglicht, aber solche Projekte könnten oft zusätzlich andere Business-Ziele durch Änderungen an der Logik recht einfach umsetzen. Schließlich wird das System ja sowieso komplett umgestellt. Man kann diese Chance nutzen, um das System zu verbessern und so mehr Business-Werte zu schaffen. Das Projekt kann dadurch aber auch zu komplex und risikoreich werden. Eine solche Abwägung zwischen zusätzlichem Business-Wert und Risiko erfolgt oft aber nicht – die Kosten hingegen werden auch bei diesen Projekten überwacht.

Wenn man IT als Wettbewerbsvorteil leben will, muss man nicht nur die Business-Ziele kennen, sondern den Business Case als Geldbetrag schätzen. Wer beispielsweise durch ein Projekt mehr Umsatz oder Gewinn erwartet, kann ausrechnen, wie viel Geld das wert ist. Der Wert eines Unternehmens wird auch anhand finanzieller Kenngrößen ermittelt – warum also bei einem Projekt nicht genauso vorgehen?

Nun kann man argumentieren, dass der Business-Wert eines Projekts viel schwieriger zu ermitteln ist als das verbrauchte und das übrige Budget. Aber der Aufwand für ein Softwareprojekt ist ebenfalls schwierig zu schätzen. Eigentlich ist das sogar unmöglich, weil Softwareprojekte so komplex sind, dass sie sich einer detaillierten Planung entziehen. Deswegen nutzt man iterativ-inkrementelle Methoden, die in einzelnen kleinen Inkrementen vorgehen, die wegen der geringeren Größe einfacher abzuschätzen sind. Softwareentwicklungsteams müssen sich also darin bewähren, trotz widriger Umstände Aufwände und Budgets abzuschätzen. Ist es tatsächlich schwieriger, den Business-Wert der Projekte abzuschätzen? Zumindest probieren könnte man es, aber selbst ein solcher Versuch bleibt meistens aus. Strukturierte Ansätze, solche Werte zu ermitteln, existieren – man muss sie nur anwenden.

Außerdem kann man gerade beim Business-Wert große Überraschungen erleben: Ein Produkt, dass keine Kunden findet, ist wertlos. Daher ist es eigentlich noch wichtiger, den Business-Wert zu ermitteln und als das Budget nachzuhalten. Denn wenn man Geld für etwas Wertloses ausgibt, ist das schlicht unsinnig. Wenn man hingegen die Chance verpasst, Projekte, die bei Kunden sehr beliebt und daher wertvoll sind, besser zu unterstützen, ist das ebenso schlecht.

Der Wert eines Projekts kann dabei erheblich sein. Mir ist ein Projekt in Erinnerung, das sich bereits vor dem Start amortisiert hatte, weil der Auftraggeber in Erwartung der neuen Software andere Finanzgeschäfte abschließen konnte und dadurch das Projekt-Budget erwirtschaften konnte. Und weil Software immer wichtiger wird, steigt auch der Wert guter Software.

Hätte man eine solche finanzielle Bewertung, würden sich die Bedingungen in den Projekten ändern. Statt die Frage zu stellen, wo man Aufwand sparen kann, wird die Frage, wo man mehr Werte schaffen kann, plötzlich genauso wichtig. Es geht nicht nur um Budgetüberschreitungen, sondern auch um die geschaffenen Werte. Ohne eine solche finanzielle Kenngröße für den Business-Wert liegt es nahe, die Projekte nach den Kosten zu beurteilen und zu optimieren, weil es die einzige finanziellen Kenngrößen sind, die eigentlich immer bekannt sind.

Neben dem Business-Wert eines Projekts gibt es eine weitere Kenngröße, die angeblich wichtig für IT ist: Durchlaufzeit, bis ein Feature tatsächlich in Produktion ist. Aber auch hier ist stellt sich die Frage, ob diese Größe wirklich aktiv gemanagt wird. Projekte wissen sicherlich, wie schnell sie eine Änderung in Produktion bringen können. Ob sie diese Zahl reporten und danach gemessen werden, ist eine ganz andere Frage. Außerdem gilt auch hier: Einen Wert sollte man als Geldbetrag ausdrücken können. Dazu bietet sich eine Größe an: Wie viele Kosten entstehen, wenn ein Feature sich verzögert? Man spricht vom "Cost of Delay".

Im "State of DevOps 2018"-Report gibt es dazu eine interessante Grafik von Maersk (Seite 46). Sie zeigt, dass es drei Features gibt, deren Verzögerung um eine Woche 7 Millionen US-Dollar kosten würde – vermutlich, weil Kunden abspringen oder Prozesse nicht rechtzeitig optimiert werden können. Solche Grafiken oder Aufstellungen haben in Projekten Seltenheitswert. Mit anderen Worten: Durchlaufzeit ist so unwichtig, dass man sich noch nicht einmal die Mühe macht, den möglichen Vorteil überhaupt finanziell zu bewerten.

Es ist also üblich, die Kosten eines Projekts finanziell zu bewerten und im Auge zu behalten. Business-Ziele sind oft schlecht kommuniziert. Und es ist sehr ungewöhnlich, den Business-Wert eines Projekts tatsächlich als Geldbetrag auszudrücken. So verschiebt sich der Fokus von dem Schaffen von Werten auf die Optimierung der Kosten, die als einzige Größe wirklich bekannt sind. IT wird dann unfreiwillig und ungeplant zu einem Kosten- statt zu einem Wettbewerbsfaktor. Das muss natürlich nicht so sein: Dazu müssen aber Business-Ziele, der Business-Wert, der Business Case und damit die erzeugten Werte bekanntund idealerweise als finanzielle Kenngrößen etabliert sein.

Die Kosten von IT-Projekten werden typischerweise gemanagt, aber der potenziell geschaffene Wert noch nicht einmal als Geldbetrag ermittelt. So wird die IT zu einem reinen Kostenfaktor.

Vielen Dank an meine Kolleg:innen Gerrit Beine, Matthias Déjà, Anja Kammer und Stefan Tilkov für die Kommentare zu einer früheren Version des Artikels. ()