Studie: KI kann Antibiotika-Fehlverschreibungen deutlich verringern

Durch maschinelles Lernen haben Forscher berechnet, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Laborbefund eines Patienten bakterielle Erreger enthält.

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Mediziner am Notebook

(Bild: Billion Photos/Shutterstock.com)

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Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigen in einer jetzt veröffentlichten Studie, dass sich die Verordnung von Antibiotika mithilfe von Methoden maschinellen Lernens ohne negative Effekte für die Patienten um bis zu 10,2 Prozent reduzieren lässt. Fehlverschreibungen solcher Medikamente gegen Bakterien und von diesen ausgelöste Entzündungen sind häufig. Sie verursachen wegen zunehmender Resistenzen erhebliche gesellschaftliche Kosten, lassen sich laut der Analyse aber durch datenbasierte Entscheidungshilfen verringern.

Grundlage für die vom europäischen Forschungsrat geförderte Untersuchung bilden umfangreiche Personendaten aus dem Verwaltungsbereich, die für Forschungszwecke mit Labordaten zur Diagnose von Harnwegsinfektionen verknüpft wurden. Die DIW-Forscher griffen dafür auf größtenteils personenbezogene Informationen aus Dänemark zurück, da diese dort vergleichsweise einfach verfügbar sind.

Bakterielle Harnwegsinfektionen werden in der Regel effektiv mit Antibiotika behandelt. Patienten können jedoch auch Symptome einer solchen Entzündung vorweisen, wenn nicht Bakterien der Auslöser sind. In diesem Fall ist eine Behandlung mit der Medizin nicht wirksam. Zugleich stellen Harnwegsinfektionen einen der Hauptverschreibungsgründe für Antibiotika in der Bevölkerung dar. Ebenfalls stark vertreten sind Atemwegsinfektionen, die mit der Corona-Pandemie momentan Viren-bedingt im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen.

Der vorübergehend weniger beachtete Trend zunehmender antibiotikaresistenter Bakterien setze sich aber fort, warnen die Autoren. Hauptsächlich aufgrund mangelnder finanzieller Anreize seien jedoch seit geraumer Zeit kaum neue Wirkstoffe entwickelt worden, sodass die Behandlungsmöglichkeiten aufgrund der Resistenzen im Zeitverlauf weniger würden. Die durch widerstandsfähige Bakterien verursachten Kosten schätzten britische Gesundheitsexperten für das Jahr 2050 auf 100 Billionen US-Dollar.

Als Hauptgrund für die Zunahme an resistenten Erregern werden übermäßige Antibiotikabehandlungen gesehen. Ein großes Problem ist aber, dass Ärzte die Medikation meist nach Augenschein bestimmen müssen. Dies liegt daran, dass die für eine genaue Diagnostik nötigen Laboranalysen erst nach mehreren Tagen verfügbar sind. Datenbasierte Vorhersagen sollen daher helfen, die vorübergehende Unsicherheit zu verringern und schnelle Entscheidungen zu verbessern.

Durch sogenannte Ensemble-Methoden ist es den Wissenschaftlern in dem vorliegenden Fall gelungen vorherzusagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Laborbefund eines Patienten zum Zeitpunkt der Probenentnahme bakterielle Erreger enthält. Dafür nutzten sie zunächst große Datenmengen vergangener Erkrankter, für die verlässliche individuelle Testergebnisse vorlagen. Diese verknüpften sie mit individuellen demografischen Daten aus der dänischen Verwaltung. Damit deckten sie statistische Zusammenhänge zwischen Laborbefunden und weiteren vorhandenen persönlichen Informationen wie medizinischen Behandlungshistorien auf.

Insgesamt berücksichtigte das Team 95.594 akute Behandlungssituationen, denen keine Antibiotikabehandlung oder Diagnostik unmittelbar vorausgegangen waren. Aus diesen sagten sie in 42.480 Fällen anhand vorhandener Daten Laborergebnisse vorher und stellten sie im Anschluss ihrem tatsächlichen Testresultat gegenüber.

Um den Zugewinn der Vorhersagequalität durch das sukzessive Verknüpfen zusätzlicher Personendaten zu messen, teilten die Wissenschaftler die verfügbaren Daten in die fünf Teilsegmente Zeit und Region, Alter und Geschlecht, detaillierte Personenmerkmale, Gesundheitsdaten sowie die ärztliche Entscheidung auf. Dies stellten sie dem Algorithmus nacheinander zur Verfügung. Beim Zufügen des ersten zum letzten Segments ließen sich bei dem Experiment die Antibiotika-Verschreibungen um 1,18 Prozent senken, beim Einbau der Gesundheitsdaten um 7,42 Prozent.

Unter Einsatz aller verfügbarer Informationen gelangten die Experten zur Höchstquote von 10,22 Prozent. "Wären alle Vorhersagen perfekt, könnten 39 Prozent weniger Antibiotika verschrieben werden", schreiben sie dazu. "Somit könnte unter Verwendung aller Daten gut ein Viertel dieser maximal möglichen Reduktion erreicht werden." Die Reduktion von Antibiotika erfolge dabei allein bei den Fehlverschreibungen.

Der Ansatz "steht im Kontrast zu den negativen Beispielen großer, teils gescheiterter Digitalprojekte aus der Privatwirtschaft", verweisen die Verfasser etwa auf Experimente mit Watson Health von IBM, die wenig Mehrwert geliefert hätten. Die SARS-CoV-2-Pandemie habe nun die Relevanz hochwertiger Daten in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit gerufen. Diese Dynamik könnte "Anwendungen im Gesundheitswesen und darüber hinaus beflügeln, um besser informiert gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern".

Nötig dafür sei aber eine "Infrastruktur zur Datenverknüpfung und -bereitstellung, die gesellschaftlich akzeptierte Datenschutz- und Ethikstandards einhält", unterstreichen die Forscher. Stünden solche Dienste der Wissenschaft und dem Gesundheitssektor zur Verfügung, "könnten sich zahlreiche Möglichkeiten eröffnen, die gesundheitliche Versorgung deutlich zu verbessern". Vorab müssten aber auch noch diverse ethische Fragen diskutiert und abgewogen werden.

(fds)