Richard Stallman versucht es mit Entschuldigung

In einer persönlichen Erklärung schiebt er umstrittene Äußerung auf persönliches Unvermögen

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Richard Stallman am Mikrofon

Richard Stallman 2014.

(Bild: Thesupermat/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Torge Löding
Inhaltsverzeichnis

Seit der Rückkehr des Gründers Richard M. Stallman (RMS) in den Vorstand der Free Software Foundation (FSF) Ende März schlagen die Wellen in der gemeinnützigen Vereinigung hoch. Erstmals hat sich Stallman nun persönlich zu seiner umstrittenen Äußerung im vergangenen Jahr geäußert, die zu seinem Rückzug aus dem Vorstand geführt hatte.

"Seit meinen Teenagerjahren hatte ich das Gefühl, dass mich ein hauchdünner Vorhang von anderen Menschen meines Alters trennte. Ich verstand die Worte ihrer Unterhaltungen, aber ich konnte nicht begreifen, warum sie sagten, was sie taten. Erst viel später wurde mir klar, dass ich die subtilen Hinweise, auf die andere Menschen reagierten, nicht verstand", rechtfertigt Stallman sein Kommunikationsverhalten.

RMS fährt fort: "Manchmal verlor ich die Beherrschung, weil ich nicht über die sozialen Fähigkeiten verfügte, dies zu vermeiden. Manche Menschen konnten damit umgehen, andere waren verletzt. Ich entschuldige mich bei jedem von ihnen." Weiter heißt es in der sehr persönlichen Erklärung: "Einige haben mich als 'unfähig die Zwischentöne zu hören bezeichnet', und das ist fair."

Stallman gründete die FSF im Jahr 1985 als steuerbefreite Wohltätigkeitsorganisation "für die Entwicklung freier Software". Er stand ihr bis zum 16. September 2019 als Präsident vor. Von seinem Vorstandsamt und dann aus dem Vorstand zurückgetreten war er nach Druck aus der eigenen Organisation. Den Anstoß dafür gaben Stallmans Kommentare zu sexuellem Missbrauch in der Affäre rund um Jeffrey Epstein und den MIT-Professor Marvin Minsky

Dem inzwischen verstorbenen Minsky war eine sexuelle Beziehung zu einer 17-Jährigen vorgeworfen worden. Epstein habe das Mädchen dazu auf seine Insel einfliegen lassen. Stallman verteidigte Minsky auf einer internen MIT-Mailingliste und stellt infrage, dass es sich um Vergewaltigung gehandelt habe. Laut US-Medien äußerte er dabei unter anderem, dass sich die junge Frau wahrscheinlich Minsky bereitwillig präsentiert habe, weil sie unter Zwang Epsteins stand.

Jetzt nach seiner Erklärung, dass er "Schwierigkeiten hat, soziale Signale zu verstehen", erklärte er zu den Vorgängen: "Es war richtig, dass ich über das Unrecht an Minsky gesprochen habe, aber es war den Gefühlen der Öffentlichkeit gegenüber verständnislos, dass ich das Unrecht, das [Serienvergewaltiger] Epstein den Frauen angetan hat, oder den Schmerz, den es verursacht hat, nicht als Kontext anerkannt habe." Stallman ignorierte in seiner Erklärung indes die vielen anderen Themen ein, die Menschen dazu veranlassten, seine Rückkehr in eine Führungsposition zu bedauern.

Kurz nach dem Erscheinen des Posts äußerte sich der FSF-Vorstand endlich dazu, warum sie ihn zurück indas Gremium geholt hatten. Das nicht unterzeichnete Dokument besagt: "Die stimmberechtigten Mitglieder der Free Software Foundation, zu denen auch der Vorstand gehört, haben nach mehreren Monaten gründlicher Diskussion und wohlüberlegter Überlegungen dafür gestimmt, Richard Stallman wieder in den Vorstand zu berufen."

Dafür übernehme man die volle Verantwortung, auch dafür, dass man dazu keine gute Informationspolitik betrieben habe. "Die FSF-Mitarbeiter hätten zuerst informiert und konsultiert werden müssen. Die Ankündigung von RMS auf der LibrePlanet war eine völlige Überraschung für die Mitarbeiter, für alle, die so hart daran gearbeitet haben, eine großartige Veranstaltung zu organisieren, für die LibrePlanet-Sprecher und für die Aussteller. Wir hatten auf einen integrativeren und durchdachteren Prozess gehofft und entschuldigen uns dafür, dass dies nicht der Fall war."

Man habe sich entschlossen, den Gründer wieder in den Vorstand zu berufen, weil man "seine Weisheit" vermisst habe. Sein historischer, rechtlicher und technischer Scharfsinn in Bezug auf freie Software sei unübertroffen. Er habe zudem eine tiefe Sensibilität für die Art und Weise, wie Technik sowohl zur Verbesserung als auch zur Verminderung grundlegender Menschenrechte beitragen können. Sein globales Netzwerk von Verbindungen sei von unschätzbarem Wert. Er bleibe der wortgewandteste Philosoph und ein unbestreitbar engagierter Verfechter der Freiheit in der Informatik.

Das sehen zahlreiche Verterter der Open-Source-Gemeinde offenbar aber anders. In einem offenen Brief forderten über 2000 Unterzeichner seine sofortige Entfernung von allen Führungspositionen inklusive des von ihm begründeten GNU-Projekts sowie einen Rücktritt des derzeitigen FSF-Vorstands. Stallman werden in dem Schreiben unter anderem frauen- und transfeindliche Positionen vorgeworfen. Solche Sichtweisen hätten keinen Platz in der Tech-Welt sowie unter allen, die sich für freie Software und digitale Bürgerrechte einsetzten.

Auch wichtige Unterstützer aus der Wirtschaft haben der FSF mittlerweile den Rücken gekehrt. So kündigte das Software-Unternehmens Red Hat an, die Foundation nicht mehr finanziell zu unterstützen. Und die verloren gegangene Summe dürfte beträchtlich sein. Aus den letzten öffentlich zugänglichen Finanzdokumenten der FSF geht hervor, dass von den Gesamteinnahmen rund 708.016 Dollar aus Mitgliedsbeiträgen stammen, der Löwenanteil in Höhe von in Höhe 1,38 Millionen US-Dollar von Unternehmensspendern wie Red Hat.

Auch weitere Firmen wendeten sich von der FSF ab. So twitterte die CEO von SUSE, Melissa Di Donato: "Wir sind besser als das. Die Welt hat etwas Besseres verdient. Als Führungskräfte ist es an der Zeit, sich zu äußern und Stellung zu beziehen, wenn abscheuliche Entscheidungen getroffen werden. Diese Zeit ist jetzt. Ich bin enttäuscht von der Entscheidung der FSF und stehe fest gegen alle Formen von Frauenfeindlichkeit und Bigotterie."

Unterstützer Stallmans hatten auch einen offenen Brief online gestellt. Man wolle nicht untätig zusehen, wie eine Ikone der freien Software angegriffen werde, heißt es dort. Die Unterstützer sprechen von "widerwärtigen Attacken eines Mobs" auf Stallman und fordern die FSF auf, nicht dem sozialen Druck nachzugeben. Er sei zwar dafür bekannt, seine Ansichten nicht unbedingt diplomatisch oder rücksichtsvoll auszudrücken, doch keine der kritisierten Äußerungen sei für seine Fähigkeit entscheidend, an der Spitze einer Organisation wie der FSF zu stehen

(tol)