Erste Websperren seit Jahren

Die größten deutschen Provider haben begonnen, illegale Streamingportale zu sperren. Ein privates Gremium entscheidet, welche Websites verschwinden sollen.

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(Bild: plantic\Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Kunden der Provider 1&1, Telefonica, Telekom und Vodafone erhalten seit Mitte März nur noch eine knappe Fehlermeldung, wenn sie das Streamingportal s.to aufrufen wollen: "Diese Website ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar." Mit der ersten Providersperre seit Jahren konnten Rechteverwerter-Verbände eine Forderung durchsetzen, die sie seit Langem erheben: Dass Provider den Zugang zu Websites blockieren oder zumindest behindern, die systematisch gegen das Urheberrecht verstoßen.

Das Streamingportal ist nur die erste einer ganzen Reihe von Websites, die künftig von deutschen Internetanschlüssen ferngehalten werden soll. Dahinter steckt die neue Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII), zu der sich die Provider mit Verbänden wie dem Bundesverband Musikindustrie, dem Börsenverein des deutschen Buchhandels und der Motion Picture Association zusammengeschlossen haben. Ziel des neuen Bündnisses ist es, urheberrechtsverletzende Webseiten zu sperren, ohne dass dazu ein Gerichtsprozess notwendig wäre.

Prüfungsausschüsse der CUII sollen sicherstellen, dass eine solche Sperre das einzig verbliebene Mittel ist, systematischen Rechtsbruch zu stoppen. Den Vorsitz des Prüfungsausschusses übernehmen angeblich pensionierte Richter des Bundesgerichtshofs, allerdings werden die Namen aller beteiligten Personen nicht genannt. Kommt das Gremium zu dem Schluss, eine Seite sei "gezielt auf die Verletzung von urheberrechtlich geschützten Werken ausgerichtet", empfiehlt die CUII der Bundesnetzagentur die Sperrung der Seite. Falls aus Sicht der Behörde die Netzneutralität diesem Ansinnen nicht entgegensteht, richten die an der CUII beteiligten Provider sogenannte DNS-Sperren ein. Das heißt: Aufrufe der gesperrten Domainnamen werden zu den Servern der CUII umgeleitet.

Statt der gesperrten Site erscheint eine Mitteilung, dass die Seite aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar ist.

Diese Art der Sperre ist technisch einfach umzusetzen, aber auch nicht besonders effektiv. Es kam, wie es kommen musste: Kaum hatten Provider die Website s.to gesperrt, reagierten die anonymen Betreiber, indem sie sich neue Domainnamen zulegten. Zusätzlich veröffentlichten sie Anleitungen, wie die simplen DNS-Sperren zu umgehen sind. Und da die Betreiber auch von Plattformen wie Scihub gelernt hatten, legten sie noch eins drauf: Sie schufen eine Extra-Domain, die selbst keinerlei rechtswidrige Streams enthielt, sondern nur die aktuellen Domains der eigenen und einiger anderer Plattformen. Bisher haben die Provider eine zusätzliche Domain gesperrt – ob auch die Liste mit den Alternativ-Adressen gesperrt werden soll, hat das Gremium noch nicht entschieden.

Websperren tauchten als netzpolitisches Streitthema immer mal wieder auf – und verschwanden wieder von der Agenda. Als der Düsseldorfer Bezirkspräsident Jürgen Büssow das Mittel im Jahr 2002 erstmals erprobte und Sperrverfügungen an nordrhein-westfälische Provider verschickte, war das Ergebnis ein Pyrrhus-Sieg: Zwar gaben die Verwaltungsgerichte der Behörde Recht und die Sperren sind bis heute aktiv. Doch der Widerstand von Bürgerrechtsgruppen wie dem Chaos Computer Club führte dazu, dass die Episode endete. Die Landesregierung entzog der Behörde die Zuständigkeit, weitere Websperren zu verhängen, und die anderen Medienaufsichtsbehörden zogen nicht mit.

Andere Versuche, Websperren einzurichten, schlugen komplett fehl. Als die Länder versuchten, ihr Glücksspielmonopol mit Websperren abzusichern, scheiterte die Verabschiedung des entsprechenden Staatsvertrags überraschend an politischen Zerwürfnissen. Und als die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen Darstellungen von Kindesmissbrauch mit Websperren eindämmen wollte, sorgte der kollektive Widerstand von Zivilgesellschaft und Fachleuten für ein Umdenken in der Bundesregierung. Sie versucht seitdem, das Problem an der Wurzel zu bekämpfen, statt es nur aus dem Sichtfeld zu entfernen.

Die Betreiber von s.to haben schnell reagiert – unter anderem mit einer Anleitung, wie man die Sperren umgeht.

Dass Websperren scheiterten, lag auch am Widerstand einiger Provider, die entsprechende Schritte durch Gutachten und Klagen zu verhindern versuchten. Dieser Widerstand scheint jedoch nun gebrochen zu sein. Das private Gremium gibt den Providern die Gelegenheit, teure Prozesse und aufwendige Sperrmethoden zu vermeiden.

Konstantin von Notz, Netzpolitiker der Bundestagsfraktion der Grünen, kritisiert das Vorgehen: "Dass nun ein Zusammenschluss privater Anbieter zukünftig über Sperren entscheiden soll und diese ohne einen entsprechenden, vorherigen Gerichtsbeschluss verhängt werden, wirft durchaus tiefgehende Fragen auf, auch und vor allem zur Rolle von Bundesbehörden in dem neu geschaffenen System." Damit verweist von Notz auf die Statements der Bundesnetzagentur und des Bundeskartellamts, die die neue Initiative geprüft und grünes Licht gegeben haben.

Der Politiker will sich zunächst in Fachausschüssen des Bundestags um Aufklärung bemühen: Unter anderem zweifelt er an der Neutralität der CUII und stellt in Frage, dass das Vorgehen mit der europäisch festgelegten Netzneutralität zu vereinbaren ist. Die Grünen-Fraktion will nun die Rechtmäßigkeit der Sperren vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags prüfen lassen.

Solche Zweifel fechten einstweilen die CUII nicht an. Sie bezieht sich in der Begründung ihrer ersten Sperre von s.to auf ein ganzes Sammelsurium von Gesetzen und Urteilen. Wie das Gremium auf Anfrage der c’t erklärte, laufen derzeit bereits drei weitere Sperrverfahren.

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(jo)