Spucktest ermittelt das Risiko von Erbkrankheiten

Orchid bietet polygenetische Screenings für Schizophrenie, Diabetes und sogar Krebs an. Aber ist der Kinderwunschtest für Paare wirklich der Forschung voraus?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 29 Kommentare lesen

(Bild: National Cancer Institute / PD)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Emily Mullin
Inhaltsverzeichnis

Wie groß ist die Chance, dass ich meinem Kind das Risiko vererbe, an Alzheimer, Herzsinsuffizienz, Diabetes Typ 1 und 2, Schizophrenie und bestimmten Krebsarten zu erkranken? Ein neues Startup namens Orchid verspricht Paaren, die eine Schwangerschaft planen, jetzt eine Antwort.

Es gibt bereits weithin verfügbare Tests, die Eltern sagen können, ob ihre zukünftigen Kinder bestimmte Erbkrankheiten haben könnten – allerdings nur dann, wenn die Krankheit durch Mutationen in einem einzigen Gen verursacht wird. Solche Einzelgen-Störungen, zu denen Mukoviszidose, Sichelzellkrankheit und das Tay-Sachs-Syndrom zählen, sind jedoch relativ selten.

Der Orchid-Test hingegen untersucht weitaus häufigere Krankheiten, die von einer Kombination mehrerer Gene beeinflusst werden. Deren Zahl geht oft in die Hunderte. Die Paare machen den Test zu Hause: Sie spucken in ein Röhrchen und schicken es ein. Die Firma sequenziert die Genome beider Elternteile und gleicht sie mit Datensätzen von Menschen mit und ohne diese Krankheiten ab. Das Ergebnis ist ein sogenannter polygenetischer Risikoscore.

Noch in diesem Jahr will das Startup seine Tests auf Embryonen aus künstlichen Befruchtungen ausweiten: Dabei werden den Embryonen einige Zellen entnommen, deren DNA sequenziert und dann das Risiko auf ähnliche Weise ermittelt. Paare, die sich einer In-vitro-Fertilisation (IVF) unterziehen, können ihre Embryonen auch jetzt schon auf Chromosomenanomalien und einzelne Genstörungen hin testen lassen – der Orchid-Test aber würde die Palette erheblich erweitern.

"Kinder zu bekommen ist eine der folgenreichsten Entscheidungen im Leben. Und doch zeugen Eltern ein Kind, ohne die geringste Ahnung von den genetischen Risiken, die sich auf ihren Nachwuchs auswirken könnten", sagte Noor Siddiqui, der Gründer und CEO von Orchid.

Siddiqui, eine Stanford-Absolventin und Informatikerin, sieht das Ganze so: Ein Paar, das mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Baby mit Diabetes bekommen würde, kann dieses Risiko mindern, wenn es zuvor davon weiß. Zum Beispiel, indem sich die zukünftigen Eltern zuckerarm ernähren oder sich regelmäßig untersuchen lassen. Alternativ könnte das Paar bei einer IVF den Orchid-Test nutzen, um den Embryo mit dem geringsten Diabetes-Risiko auszuwählen.

Der Test könnte besonders für Paare attraktiv sein, in deren Familien es gehäuft Fälle gibt von Diabetes, Schizophrenie oder einer der anderen Krankheiten aus Orchids Testangebot. Aber die Genetik hinter vielen dieser Erkrankungen ist komplex und noch immer nicht umfassend genug verstanden.

Aus diesem Grund sind viele Experten der Meinung, dass polygenetische Risikoscores noch nicht ausgereift genug sind, um sie nun schon in breiter Front zu nutzen.

Der Weg führt jedoch kaum mehr an polygenetischen Verbrauchertests vorbei: Risikowerte für Schizophrenie und andere komplexe Erkrankungen zu erstellen, wird dank der immens wachsenden genetischen Datenbanken mit Hunderttausenden von Menschen immer leichter. Darauf basierend entwickeln Forscher Algorithmen, um das Risiko einer Person für Diabetes, Depression, Fettleibigkeit und bestimmte Krebsarten abzuschätzen.

Bereits seit 2019 bietet Genomic Prediction polygenetische Risikoermittlungen an. Das Startup testet Embryonen für Paare, die eine künstlichen Befruchtung machen lassen – teilweise auf die gleichen polygenetischen Erkrankungen hin wie Orchid.

Solche Risikoscores können Erwachsenen durchaus helfen, ihre eigenen Risiken zu mindern, sagt Amit V. Khera, Kardiologe am Massachusetts General Hospital und dem Broad Institute. Er ermittelt polygenetische Risikoscores unter anderem für Herzkrankheiten. Die Betroffenen könnten etwa ihre Ernährung ändern oder mehr Sport treiben. Aber er glaubt, dass die Scores nicht ohne weitere Beratung dazu genutzt werden sollten, um sich für oder gegen eine Befruchtung oder für ein Embryoscreening zu entscheiden.

Der Orchid-Test könnte Eltern auch ein falsches Gefühl der Sicherheit vermitteln, dass eine bestimmte Krankheit bei ihren zukünftigen Kindern nicht ausbrechen wird. Andrerseits spiele bei Schizophrenie zum Beispiel die Genetik zwar eine Rolle, so Patrick Sullivan, Direktor des Zentrums für psychiatrische Genomik an der University of North Carolina, Chapel Hill. Doch die meisten Krankheitsfälle gehen nicht auf Vererbung zurück. "Das größere Risiko spielen de-novo-Mutationen – zufällige genetische Veränderungen während der Entwicklung des Kindes." Diese Mutationen würden nicht in dem Risikobericht eines Paares auftauchen, der von Orchid erstellt wird. Sie würden allerdings bei der genetischen Untersuchung eines Embryos entdeckt – aber dazu müssten sich die Paare auch für eine IVF und ein Embryo-Screening entscheiden.

Da die polygenetischen Scores immer genauer werden, könnte sie die Prävalenz bestimmter häufiger Krankheiten durch gezielte Embryonenauswahl reduzieren. Aber dazu gibt auch kontroverse Ansichten.

Mit den gleichen Techniken, die Genetiker zur Vorhersage dieser Krankheiten verwenden, könnte die Berechnungen auch die Intelligenz oder das Gewicht im Erwachsenenalter einschätzen. Im Moment konzentriert sich Orchid darauf, den Eltern Berichte über Krankheitsrisiken zur Verfügung zu stellen. Genomic Prediction of New Jersey hingegen untersucht bereits Embryonen auf "geistige Behinderung".

Embryonen auf eine breite Palette von Merkmalen hin zu untersuchen und auszuwählen, könne in den Bereich der Eugenik führen, sagt Gabriel Lázaro-Muñoz, Bioethiker und Jurist am Baylor College of Medicine. "Wir müssen eine ernsthafte Diskussion darüber führen, wie wir diese Technologie in unserer Gesellschaft einsetzen", sagt er.

Vorurteile gegenüber psychisch Erkrankten sind bereits weit verbreitet, und polygenetische Risikotests könnten die Betroffenen weiter stigmatisieren. Die Entscheidungsmöglichkeit, ob man das Risiko eingehen will, ein Kind mit einer solchen Erkrankung zur Welt zu bringen, setzt Eltern unter Druck, sagt er. Ganz abgesehen davon – sollten Eltern sich wirklich den "intelligentesten" Embryo wählen können?

Und selbst wenn Paare das polygenetische Screening in Anspruch nehmen wollten, könnten die Kosten unerschwinglich sein. Orchid hat die Preise für seine Tests nicht öffentlich bekannt gegeben, und reagierte auch nicht auf mehrere Anfragen nach einem Interview. Laut einer Quelle von MIT Technology Review verlange das Startup 1100 US-Dollar für den Paarbericht.

Auch wenn die Firma ein finanzielles Hilfsprogramm für Paare anbietet, die sich das nicht leisten können, muss man immer noch den Preis für die künstliche Befruchtung bedenken. Ein IVF-Zyklus kostet zwischen 12.000 und 17.000 Dollar, und um schwanger zu werden, sind oft mehrere Zyklen nötig.

Der Markt für diese Technologie wird von der Nachfrage der Eltern angetrieben, und für einige könnte das Wissen um die genetischen Risiken, denen ihr Kind ausgesetzt ist, auch ein Geschenk des Himmels sein.

Ein Test wie der von Orchid hätte ihr helfen können, ihren Sohn Zac besser zu unterstützen, sagt etwa Laura Pogliano. 2009 wurde bei dem Teenager eine Zwangsstörung diagnostiziert. Als sich seine Symptome verschlimmerten, stellten die Ärzte schließlich fest, dass er an Schizophrenie litt. Zac starb 2015 im Alter von 23 Jahren an Herzversagen. Schätzungsweise 50 Prozent der plötzlichen Todesfälle bei an Schizophrenie erkrankten Personen gehen auf kardiovaskuläre Ursachen zurück.

Hätte sie über das Risiko ihres Sohnes vor seiner Geburt Bescheid gewusst, sagt Pogliano, hätte sie auf frühe Anzeichen achten und ihn früher behandeln lassen können. Schizophrenie-Symptome wie Halluzinationen oder Wahnvorstellungen treten in der Regel erst ab einem Alter von 20 Jahren auf, aber die Veränderungen im Gehirn können auch schon einige Jahre früher beginnen.

Zacs Krankheit habe ihre Familie überrumpelt, sagt die Mutter: "Bei Schizophrenie denkt man, dass man ein gesundes Kind hat, aber das war eigentlich nie so. Das Gehirn hat sich seit Jahren auf diese Krankheit vorbereitet." Sie hofft, dass solche Tests auf Schizophrenie eines Tages Routine sein werden. "Es geht nicht um Designer-Babys", sagt sie. "Alles, was Eltern wollen, ist, dass sie ihren Kindern ein gesundes Leben ermöglichen wollen."

(bsc)