"Nur eine Frage der Zeit, bis wir wieder eine Pandemie erleben"

Es gibt wahrscheinlich viele zoonotische Krankheiten, von denen wir nichts wissen, sagt die Virenjägerin Erin J. Staples im Gespräch mit Technology Review.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 163 Kommentare lesen

(Bild: CDC / PD)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Mallory Pickett

Im Jahr 2009 meldeten sich zwei Landwirte innerhalb weniger Tage mit Fieber, Übelkeit, Durchfall und einer rapide abnehmenden Anzahl weißer Blutkörperchen im Heartland-Krankenhaus in Missouri. Die Ärzte schickten ihre Blutproben an die US-Seuchenschutzbehörde Centers for Disease Control (CDC), die feststellten, dass sich beide Farmer durch einen Zeckenbiss mit einem bisher unbekannten Virus infiziert hatten. Die CDC nannte es das "Heartland"-Virus. Fünf Jahre später entdeckte ein Labortechniker, der Proben für einen vermuteten Heartland-Fall untersuchte, ein weiteres neuartiges Virus, das den Namen "Bourbon" erhielt.

Vor Heartland und Bourbon waren seit 1900 nur 14 neue durch Zecken übertragene Krankheitserreger entdeckt worden. Die neuen Entdeckungen stützen den Verdacht, dass zoonotische Erreger – Viren oder Bakterien, die vom Tier auf den Menschen überspringen, wie es bei SARS-CoV-2 vermutet wird – zahlreicher sind, als uns bewusst ist. Können Forscher, die ein neues Virus entdecken, tatsächlich etwas tun, damit es nicht außer Kontrolle gerät? Ich sprach mit Erin J. Staples, einer CDC-Epidemiologin, die die Reaktion auf Heartland leitete und ein Verfolgungsregister erstellte, das bisher 50 Infektionen dokumentiert hat.

Technology Review: Wie oft finden Ärzte oder Wissenschaftler neue Viren beim Menschen?

Erin J. Staples: Ich würde sagen, dass die meisten Wissenschaftler und Forscher in ihrer Karriere kein neues Virus entdecken werden. Ich schätze mich also glücklich, dass ich an einigen relativ neuen gearbeitet habe.

TR: Passiert die Entdeckung neuer Viren meist zufällig? Oder weil jemand nach ihnen gesucht hat?

Staples: Es ist wahrscheinlich ein bisschen mehr Ersteres als Letzteres. Wir haben nach Heartland gesucht und dann auch das Bourbon-Virus gefunden. Aber es gibt noch andere Programme, die implementiert wurden, um eine Art von Überwachungsprojekt zu entwickeln. Dort schaut man sich akute fiebrige Erkrankungen an, d. h. Personen, die plötzlich Fieber entwickelt haben. Man testet dann auf bekannte Erreger und wenn dabei nichts entdeckt wird, geht man dazu über, andere Techniken wie das Next-Generation-Sequencing zu verwenden.

TR: Es ist jetzt etwa zehn Jahre her, dass das Heartland-Virus entdeckt wurde. Glauben Sie, dass es wirklich ein neues Virus ist – oder war es schon immer da und die Ärzte haben es einfach nicht entdeckt?

Staples: Virologen haben sich die Gensequenz des Virus angesehen. Veränderungen in dieser können Aufschluss über die Entwicklung des Virus geben und darüber, wie lange es schon vorhanden sein könnte. Man weiß also definitiv, dass das Virus seit Jahrzehnten, wenn nicht länger, in den USA vorhanden war.

Außerdem haben wir rückwirkend einige Fälle identifiziert, die vor den ersten beiden Fällen aufgetreten sind. Wir denken, dass der Erreger schon seit einiger Zeit eine geringe Menge an Krankheiten verursacht hat.

TR: Glauben Sie, dass es andere neuartige Viren gibt, die Menschen in den USA infizieren und unentdeckt bleiben?

Staples: Ja – und das Bourbon-Virus ist ein gutes Beispiel dafür. Ich glaube also, dass es noch nicht entdeckte Bakterien oder Viren gibt, die denen ähnlich sind, die wir kennen, die aber so einzigartig sind, dass sie etwas Eigenes darstellen.

Bei Patienten mit Enzephalitis, also Hirnentzündungen unbekannter Ursache, ist man dankbar, wenn man bei 20 oder 30 Prozent tatsächlich eine Diagnose bekommt. Es sind die 70 Prozent der unbekannten Fälle, die uns immer noch vor Herausforderungen stellen. Könnten sie alle durch Viren oder Bakterien verursacht werden? Wahrscheinlich schon. Wir haben große Fortschritte gemacht, wenn es darum geht, herauszufinden, was die Ursachen für das Unwohlsein von Menschen in Bezug auf Bakterien, Parasiten und Viren sind. Aber es gibt offensichtlich immer noch Dinge, die noch entdeckt werden müssten – neuauftauchende Erkrankungen und alte, die schon immer da waren, die wir aber einfach nicht kennen.

TR: Es gibt keine Pläne für einen Impfstoff gegen das Heartland-Virus oder spezielle antivirale Mittel. Warum ist es also nützlich, nur zu wissen, dass es existiert?

Staples: Diese Frage bekommen wir oft gestellt. Und Sie haben recht, im Moment haben wir keine wirksame Therapie. In der klinischen Praxis ist es dennoch wichtig, das Virus zu kennen, denn wenn man eine Person hat, die krank ist, muss man herausfinden, was los ist. Weil das Heartland-Virus zum Beispiel wie Ehrlichiose – eine durch Zecken übertragene bakterielle Infektion – aussieht, werden den Menschen oft Antibiotika verabreicht. Bei bestimmten Menschen können Antibiotika aber Nebenwirkungen verursachen.

Deren unnötige Gabe kann auch zur Entwicklung von Resistenzen führen. Den Einsatz von Therapeutika zu reduzieren, die nicht helfen, kann sehr vorteilhaft sein. In einigen anderen Situationen ist es für die Familie hilfreich, wenn klar ist, was die Erkrankung ist. Es gab leider einen sehr schweren Fall einer Heartland-Virus-Infektion, bei der es dem Patienten nicht besser ging. Die Familie wissen zu lassen, dass die Erkrankung tatsächlich durch ein Virus verursacht wurde, das man nicht behandeln konnte – und dass es nichts anderes gab, was die Ärzte tun konnten –, erlaubte es der Familie, die schwere Entscheidung zu treffen, ihren geliebten Menschen gehen zu lassen.

TR: Wie haben Sie begonnen, weitere Fälle des Heartland-Virus für Ihre Datenbank zu identifizieren?

Staples: Es bestand die Notwendigkeit, weitere Krankheitsfälle beim Menschen zu identifizieren und zu diagnostizieren. Wir haben ein Testprotokolle entwickelt, damit wir Menschen testen lassen konnten, sobald der Test zur Verfügung stand.

Und wir mussten den Patienten erklären: "Sie könnten diese neue Krankheit haben, für die man gerade an einem Test arbeitet. Wir werden Sie darauf testen." Und im Allgemeinen war jeder schnell bereit, uns eine Blutprobe zu geben, damit wir sie auswerten und bestimmen konnten. Die zusätzlichen Fälle, die wir identifiziert haben, ermöglichten es uns, unsere diagnostischen Tests zu verbessern und Proben als Positivkontrollen zu verwenden, was sehr wichtig ist.

All das geschah im Rahmen eines Prozesses von ein paar Jahren. Gleichzeitig arbeiteten unsere Entomologen und Umweltforscher daran, ein wenig besser zu verstehen und genau zu validieren, wie die Menschen infiziert wurden. Wenn wir den Leuten von einem neuen Virus erzählen, müssen wir auf jeden Fall herausfinden, was wir ihnen sagen können, damit sie sich nicht selbst infizieren.

Bis heute haben wir mindestens 50 Personen in den Vereinigten Staaten identifiziert – und wir werden diese Zahl wahrscheinlich noch erhöhen müssen. Wir haben die Daten auf unserer Website. Wir haben auch eine Karte, auf der sie sehen können, wo wir Personen identifiziert haben, von denen wir wissen, dass sie infiziert sind. Jedes Mal, wenn es einen neuen Staat gibt, in dem eine Person vermutlich infiziert ist, heben wir das auf unserer Karte hervor, um sicherzustellen, dass die Menschen wissen, wo diese Krankheit auftritt. So hatten wir etwa in Iowa einen ersten Fall.

TR: Haben das Heartland- oder das Bourbon-Virus pandemisches Potenzial?

Staples: Basierend auf dem, was wir derzeit wissen, denken wir, dass sie in ihrer geografischen Reichweite begrenzt sind. Definitiv haben einige unserer durch Zecken übertragenen Krankheiten aber das Potenzial für großflächige Ausbrüche. Das ist einer der Gründe, warum wir die Überwachung durchführen: um zu verstehen, wo sich das Virus befindet und um sicherzustellen, dass wir es hier nicht mit etwas anderem zu tun haben.

Und wir versuchen stets, sicherzustellen, dass jeder sich der Gefahren bewusst ist, sich nicht ansteckt und Präventionsmaßnahmen ergreift, einschließlich der Verwendung von Insektenschutzmitteln, wenn man sich draußen aufhält.

TR: Glauben Sie, dass die aktuelle COVID-19-Pandemie hätte verhindert werden können, wenn sie früher erkannt worden wäre?

Staples: Wenn es sich um etwas handelt, das so infektiös und übertragbar ist, denke ich, dass es schon sehr schwer gewesen wäre. Man muss das Virus erkennen, es verstehen und dann eindämmen.

TR: Glauben Sie, dass wir zu unseren Lebzeiten eine weitere Pandemie dieser Art erleben werden? Und was kann die wissenschaftliche Community tun, das zu verhindern?

Staples: Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir wieder eine erleben. Man kann nur hoffen, dass es in der gleichen Zeitskala abläuft wie zwischen der Spanischen Grippe 1918 und SARS-CoV-2 im Jahr 2019. Es könnte dann sein, dass wir es zumindest zu unseren Lebzeiten nicht mehr erleben.

Aber Dinge, die wir als Menschen tun – wie die Einfachheit des globalen Reisens, die es bei der letzten großen Pandemie noch nicht gab – können definitiv zur Ausbreitung von Krankheiten beitragen. Es gibt definitiv eine Menge potenziell unentdeckter Viren und Bakterien da draußen. Wie sie zirkulieren, wie sie sich auf uns auswirken und wie sie übertragen werden können, wird bestimmen, in welchem Ausmaß wir sich daraus ergebende menschliche Krankheiten sehen werden.

(bsc)