Impfsoftware in den USA führt zu Chaos

Die US-Seuchenschutzbehörde CDC wollte das COVID-19-Impfprojekt über eine 44 Millionen Dollar teure IT-Lösung managen. Dabei ging einiges schief.

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(Bild: peterschreiber.media/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Cat Ferguson
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Als Mary Ann Price sich das erste Mal in das System ihres Arbeitgebers einloggte, um einen Impftermin zu vereinbaren, fand sie drei Tage später einen Termin in einer nahe gelegenen Walgreens-Apotheke. Am nächsten Tag wachte sie mit einer E-Mail auf, die besagte, dass der Termin abgesagt worden war. Also meldete sie sich erneut an und fand an diesem Nachmittag einen freie Termin in der örtlichen Klinik. "Als ich dort auftauchte, sagten sie mir, sie würden die Reservierung nicht anerkennen – sie würden nur ihre eigenen Mitarbeiter behandeln", sagt Price. Als sie dann ein drittes Mal versuchte, einen Termin zu vereinbaren, kam sie nicht weit: Laut dem System war sie bereits mitten bei der Impfung.

Price ist 70 und arbeitet für den Senat des Bundesstaates West Virginia, der sie als systemrelevante Mitarbeiterin eingestuft hat. Ihr Bundesstaat wurde für die Einführung von Impfungen gelobt – schon Ende Januar hatten 10 Prozent der Bürger mindestens eine Impfung erhalten.

Prices Frustration wird von Millionen von Amerikanern geteilt, die sich durch verschiedene chaotische Systeme gekämpft haben, um ihren Impfstoff zu erhalten. Aber im Gegensatz zu anderen in einigen Staaten hatte die alte Dame diese Probleme nicht mit einem Drittanbieter-Service wie Eventbrite oder mit einem veralteten Regierungssystem. Sie war auf der frisch geschaffenen, 44 Millionen Dollar teuren Website der US Centers for Disease Control and Prevention (CDC), der Seuchenschutzbehörde. VAMS - das Vaccine Administration Management System – wurde von der Beratungsfirma Deloitte entwickelt.

VAMS sollte eine zentrale Anlaufstelle werden, in der Arbeitgeber, staatliche Behörden, Kliniken und Einzelpersonen die Planung, den Bestand und die Berichterstattung für COVID-Impfungen verwalten können - und das kostenlos für jeden. Stattdessen sei "VAMS zu einem Schimpfwort geworden", sagte Marshall Taylor, Leiter des Gesundheitsamtes von South Carolina, im Januar gegenüber den Abgeordneten des Bundesstaates. Er fuhr fort zu beschreiben, wie das System ihre Impfbemühungen bisher stark beeinträchtigt hat. Mit einer Reihe von Problemen und Fehlern konfrontiert, entschieden sich mehrere Staaten, darunter South Carolina, dafür, ihre eigenen Lösungen zusammenzubauen oder stattdessen für private Systeme zu bezahlen.

All das zeigt, dass nicht nur in Europa ein chaotisches System zum Impfmanagement verwendet wird. So läuft es etwa in Berlin nach dem "Windhundprinzip": Die dort verwendete App eines französischen Anbieters sorgt schon einmal dafür, dass Termine während des Buchungsvorgangs plötzlich wieder verschwinden – sogar vor dem allerletzten Klick, der sie abschließen soll.

Klinikmitarbeiter in Connecticut, Virginia und anderen Staaten sagen, auch VAMS sei berüchtigt für willkürlich abgesagte Termine, unzuverlässige Registrierungen und Probleme, die das Personal aus dem Dashboard aussperren, das sie für die Verwaltung und Steuerung verwenden sollen. Die CDC räumte ein, dass es Fehler gibt, an deren Behebung sie arbeitet, obwohl sie einige der Probleme auf Benutzerfehler zurückführte.

Obwohl die USA mittlerweile als Musterland bei der Impfung gelten, ist das Chaos wohl dokumentiert. Staaten, die anfangs nur die Hälfte der erwarteten Dosen erhielten; Kliniken, die die ersten Impfungen wegen unzuverlässiger Lieferungen absagten; Menschen, die endlos auf "Aktualisieren" auf Anmelde-Websites drückten oder sich ohne Termin vor Kliniken anstellten, in der Hoffnung auf eine verfügbare Spritze.

Die CDC sah das eigentlich kommen. "VAMS sollte ein Bedürfnis erfüllen, für das die Staaten und Gerichtsbarkeiten selbst nicht gerüstet waren", sagt Noam Arzt, der Präsident von HLN Consulting, das beim Aufbau von Gesundheitsinformationssystemen hilft.

"Es war klar, dass wir einen Weg brauchten, um diese Kliniken zu betreiben, die Leute einzuteilen und sicherzustellen, dass sie für ihre zweite Dosis wiederkommen", sagt er. Doch genau das funktioniert nur teilweise: Die Erstdosisrate ist zwar hoch, den zweiten Termin nehmen aber noch immer zu viele Bürger nicht mehr wahr.

Schon früh in der Pandemie umriss die CDC den Bedarf nach einem System, das eine Massenimpfkampagne bewältigen konnte, sobald die Impfungen genehmigt waren. Sie wollte das Ganze rationalisieren: Anmeldungen, Terminplanung, Bestandsverfolgung und Impfberichte. Im Mai vergab sie die Aufgabe an die Beratungsfirma Deloitte, einen großen Auftragnehmer von US-Behörden, mit einem 16-Millionen-Dollar-Vertrag ohne Ausschreibung, um die "COVID-19-Impfstoffverteilung und -Verwaltung zu administrieren".

Im Dezember erhielt Deloitte einen weiteren 28-Millionen-Dollar-Auftrag für das Projekt, wieder ohne Ausschreibung. Der Vertrag legt fest, dass der Preis hoch auf 32 Millionen gehen könnte, so dass die Steuerzahler bei einer Rechnung zwischen 44 und 48 Millionen landen. Warum erhielt Deloitte den Zuschlag für das Projekt auf einer No-Bid-Basis? Der Vertrag behauptet, das Unternehmen sei die einzige "verantwortungsvolle Quelle", um das Tool zu bauen.

In der Realität entscheiden sich viele Staaten dafür, andere Anbieter zu bezahlen, anstatt VAMS kostenlos zu nutzen. Andere tun praktisch nichts und überlassen die Planung den Gesundheitsämtern der Bezirke. So kommt es zu einer Situation wie in Florida, wo die Bezirke im Januar verzweifelt Klinikbesuche auf der Website Eventbrite planten, die sonst eher für Konzerte und Konferenzen genutzt wird. "Die Gesundheitsämter stehen unter erheblichem Druck", kommentiert ein Arzt. "Diese Leute arbeiten Tag und Nacht, mit den gleichen Einschränkungen und Problemen - ihre Kinder sind zu Hause, die Leute werden krank. Es ist sehr schwierig, irgendetwas zu managen, geschweige denn eine Kampagne wie diese."

"Als sich die Leute bei VAMS anmeldeten, konnte ich keine spezifischen Anweisungen geben, was die Leute vor der Ankunft tun sollten: Essen Sie etwas, bevor Sie kommen, gehen Sie auf die Toilette", sagt Lorrin Pang, die Bezirksgesundheitsbeauftragte in Maui, Hawaii, die eine Drive-in-Klinik am College der Insel betreibt. "Ältere Leute, die die Botschaft nicht verstanden haben – viele von ihnen mussten aus ihrem Auto aussteigen und sich zur Toilette helfen lassen."

Pang sagt, er habe drei Wochen lang versucht, sich bei VAMS anzumelden, sei aber ständig im Dashboard für Patienten statt für Klinikadministratoren gelandet. In der Zwischenzeit mussten seine Mitarbeiter täglich Hunderte von Menschen impfen und ihre Daten auf Papierformularen festhalten. Das College richtete eine Freiwilligengruppe ein, die in einem Raum saßen und alle Informationen in VAMS einkopierten.

Schließlich half ihm das örtliche Krankenhaus, sich in das System einzuschreiben. Die Klinik nutzte es für drei Tage. Am letzten Tag kamen 20 neue Freiwillige, die bereit waren, mitzumachen. Aber sie hatten sich bereits in VAMS angemeldet, um ihre obligatorischen Impfungen zu erhalten, und es gab keine Möglichkeit, sie von den Patientenkonten auf die Personalkonten umzustellen. Am nächsten Tag ging das Impfzentrum wieder zurück zu Papier.

Dieser Beitrag ist Teil des Pandemic Technology Project, das von der Rockefeller Foundation unterstützt wird.

(bsc)