Schulpolitik: Das aufblasbare Klassenzimmer

Das Corona-Bildungsprogramm für deutsche Schulen ist im europäischen Vergleich äußerst knapp bemessen. Ist das verkappte Kreativitätsförderung der Regierung?

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"Kreativität entsteht nicht aus Überfluss, sondern aus Mangel." Diese Erkenntnis des TV-Philosophen Richard David Precht setzt die Bundesregierung derzeit nahezu mustergültig um. Während die Niederlande ihren Nachwuchs mit einem 8,5 Milliarden Euro teuren Corona-Bildungsprogramm verhätschelt, hält unser Kabinett die Kurzen an der kurzen Leine: Statt rund 3500 Euro pro Schüler genehmigt es gerade mal 183,49 Euro – insgesamt zwei Milliarden Euro für Nachhilfestunden und Lernmittel.

Das ist wahrscheinlich immer noch zu viel. Schließlich könnte man das Geld auch sinnvoller anlegen und zum Beispiel dem FC Bayern sowie Borussia Dortmund jeweils einen Kader fürs Champions-League-Finale spendieren. Denn wenn man den verwöhnten Bälgern zu viel Geld in die Hand gibt, wollen die ja eh alle nur iPads kaufen. Am Ende verklagt uns noch EU-Wettbewerbshüterin Margrethe Vestager wegen unlauterer Apple-Subventionen.

Statt das Geld für überteuerte Tablets und Multimedia-Lern-Apps zu verschleudern, lassen wir die Jugend besser mit billigen Raspis und Linux basteln. Den Corona-Schutz fürs Klassenzimmer können sie auch selbst bauen. Wie das geht, hat unlängst Google demonstriert: Wo die Mitarbeiter früher ins Bällebad gesprungen sind, blasen sie heute Wände aus Luftmatratzen auf. Die kreativen Legehennen des Weltkonzerns hocken dann separiert in kleinen Gummizellen vor ihren Laptops, wo sie "das nächste große Ding" ausbrüten.

Das können unsere kleinen Racker sicher auch: Wenn Noah sein Planschbecken mitbringt, Kevin den Lüfter aus dem PC seines Vaters schraubt und Lina den Lüfter mit einem CO2-Sensor auf ihrem Arduino koppelt, dann strömt der innovative Spirit eines Google-Campus auch durch die Gesamtschule von Wanne-Eickel.

Deshalb wünsche ich mir mehr Konsequenz: Um den "digitalen Standort Deutschland" so richtig zu pushen und die nächste Generation "fit für den internationalen Wettbewerb" zu machen, wie es sich die Groko auf die Fahnen geschrieben hat, sollte sie überall dort, wo sie Kreativität und Bildung fördern will, noch mehr den Rotstift ansetzen. Denn weniger ist mehr! Fragen Sie mal Herrn Precht.

Hartmut Gieselmann

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(hag)