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Was war. Was wird. Von den Anfängen der EDV bis zum Digitalzwang-Melder

Grundrechte sind so eine Sache, nicht jeder hat verstanden, worum es dabei geht, wundert sich Hal Faber. Besonders nicht im beginnenden Wahlkampf.

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Ach, wenn das alles Elektroautos wären, dann wär doch alles gut, oder? Nein? Oh...

(Bild: Virrage Images / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** IT steht als Kürzel für Informationstechnologie und hat das ältere EDV abgelöst, die elektronische Datenverarbeitung, mitunter auch schlicht "ein dummer Vorgang" genannt. Jedenfalls wurde früher mit Daten gearbeitet, heute mit Informationen.

Wenn dann doch etwas arbeitet, dann ist es die Graphikkarte, die im Hintergrund Cybergeld schürfen soll, wie bei Norton Crypto. Der aberwitzige Plan ist so ziemlich das Gegenteil vom Programm eines Peter Norton, der einst mit aufgekrempelten Hemdsärmeln oder schlichtem Pullover auf den Disketten und Handbüchern prangte. 45 Jahre ist es her, dass sein "Norton Unerase" als Teil einer Software-Sammlung auf einer Diskette verteilt wurde und wie eine Bombe einschlug. Lange vor der Erfindung des graphischen Papierkorbes gestattete das Progrämmchen das Entlöschen gelöschter Dateien. Es rettete viele gute Gedanken, die man seinem PC anvertraut hatte.

*** Inzwischen sind wir weiter. Die Gedanken, Notizen und Telefonnummern wandern auf das Smartphone, damit sie immer bei unserer digitalen Existenz bleiben. Dieser Umstand hat bekanntlich dazu geführt, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Smartphones von Asylbewerbern ohne Ausweispapiere mit einer Software nach Sprachen und GPS-Daten analysiert, um so herauszufinden, ob die gemachten Angaben stimmen. Das funktionierte nicht immer, wurde aber immer häufiger eingesetzt. Diese Praxis hat das Berliner Verwaltungsgericht verworfen. Es hat geurteilt, dass die anlasslose Auswertung unzulässig ist. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, denn es ist eine Sprungrevision zum höchsten Gericht, dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig möglich, wenn das BAMF wie erwartet gegen das Urteil Einspruch einlegt. Aber es ist ein gutes Signal, dass auch die bei uns Schutz suchenden Menschen Grundrechte haben. Und es ist ein Erfolg für die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Klagen der Geflüchteten koordinierte.

*** Noch besser als die erfolgreiche Klage gegen eine amtliche Bestimmung ist natürlich, wenn eine zweifelhafte Bestimmung gar nicht erst in ein Gesetz oder eine Verordnung gegossen wird. Das passierte dieser Tage dem Masken-Jens, dem amtierenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, mit einem Änderungsantrag beim Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG). Er wollte eine sogenannte Raster-Psychotherapie einfügen: Psychotherapeutische Behandlungen sollten in bestimmte Raster eingeteilt werden, die auch festlegen sollten, wie viele Behandlungsstunden bei einer Krankheit genehmigt werden. Das würde etwa Erkrankte mit einer Depression einem enormen Leistungsdruck aussetzen, der ihre Situation verschlimmbessern würde. Der Spahnsche Plan wurde von der SPD abgelehnt und abgeräumt. Gerade psychisch Kranke passen in kein Raster, da hilft auch keine Software weiter. Dass Spahn auf Sachverständige verweisen konnte, die die Behandlungsstunden normieren wollten, macht die Sache nicht besser. Der vom Minister ins Leben gerufene Sacheverständigenrat Gesundheit ist ohnehin ein Gremium, bei dem man genauer hinschauen sollte. Am 24. März veröffentlichte er ein Gutachten, in dem aus der freiwillig anzulegenden elektronischen Patientenakte (Opt-In-Verfahren) eine Patientenakte werden sollte, die ab Geburt für jeden Menschen geführt werden muss. Ein expliziter Widerspruch (Opt-Out) beim Erreichen der Volljährigkeit sollte den Vorschlag abmildern. Gegen den Vorschlag wandten sich kritische Ärztinnen und Ärzte, denen eine weitere Verschärfung des Digitalisierungstempos im Gesundheitswesen nicht passt. Wie sich die protestierenden Ärzte mit ihren jeweiligen Verbänden zusammengeschlossen haben, ist nicht bekannt. Über KIM, die gesicherte Arzt-Kommunikation, dürfte es nicht gelaufen sein. Der Dienst steht praktisch still, die Mailboxen sind leer.

*** An diesem schönen Sonntag wird in Sachsen-Anhalt gewählt, in dem Bundesland, in dem die Norddeutschen Tiefebene in die absterbende Naturdynamikzone namens Harz übergeht. Die AfD liegt gleichauf mit einer CDU, deren Spitzenkandidat im Interview mit einem berüchtigten Boulevard-Blatt erklärte, dass es ein Grundrecht auf einen Restaurant-Besuch gibt. Wer Grundrechte dermaßen trivialisiert, muss sich fragen lassen, wie die ausgegrenzten Hartz-IV-Empfänger ihre Grundrechte wahren können. Aber hach, vielleicht gibt es auch ein Grundrecht auf eine moderate Benzinpreiserhöhung, wie es die SPD-Chefin Saskia Esken fordert. Sie findet bekanntlich die 16 Cent zu radikal, die Annalena Baerbock vorgeschlagen hat: Der Irrsinn des Wahlkampfes kann in vollen Zügen genossen werden. Am Ende wird die SPD abgeräumt sein und bei der CDU wird Hans-Georg Maaßen seine "ruhende Mitgliedschaft" in der Werte-Union wieder aufnehmen und Markenkerne kauen. Es wäre doch gut für ihn, bei dieser Bundestagswahl in seinem Wahlkreis zu verlieren, in dem er sich so heimisch fühlt, ganz im Gegensatz zum "sozialistischen Berlin", wo er sich einen Termin für die Meldung klicken müsste.

*** Einige besonders radikale Öko-Aktivisten mag so Mancher ja für etwas spinnert halten. Mit der Parole "Mobilitätswende statt Antriebswende" treffen sie aber einen Punkt. Einen ganz entscheidenden Punkt. Denn der Austausch der Verbrenner- durch Elektromotoren ist ja noch nicht mal die halbe Miete. Ohne einen starken Ausbau des ÖPNV und der Bahn, ohne Vorrang für Fußgänger und Radfahrer in den Städten, ohne eine bessere Anbindung von Stadt und Land mit verringertem Individualverkehr wird es nicht gehen. Die Luft in der Stadt mag zwar etwas besser sein, wenn nur noch Elektroautos unterwegs sind - wo aber soll all der Strom herkommen, wo all die Rohstoffe und sonstigen Ressourcen für einen bis auf den Antrieb unveränderten Individualverkehr? Den Verbrenner-SUV durch einen elektrifizierten Panzer zu ersetzen, zeugt nur von der Einfallslosigkleit der Autobauer. Und sich aufheizende Städte, in denen der öffentliche Raum weiterhin von riesigen Blechhaufen okkupiert wird, sind nicht das, was man sich unter einer lebenswerten Umgebung vorstellt. Insofern sind die radikalen Ökos manchmal noch nicht radikal genug. Denn eine Verkehrswende alleine reicht definitiv auch nicht, ohne eine Stadtplanungswende, ohne eine Flächenutzungswende, ohne eine Stadt-Land-Wende ist das alles nichts. Dabei können technische Lösungen natürlich ein Hilfsmittel sein: Automatisiertes Ridesharing mit Robotertaxis kann nicht nur einen massiv ausgebauten ÖPNV ergänzen, sondern auch für die Leute aus der Provinz und aus den Speckgürteln der Städte die Anbindung an die Zentren verbessern. Solche Hilfsmittel vom Autonomen Auto bis zur Smart City sind aber eben nur Hilfsmittel, die ohne eine Umgestaltung der Infrastruktur und der Umgebung, in der ein lebenswertes Leben auch in Zukunft möglich sein soll, nichts weiter als Solutionismus der Silicon-Valley-Strategen sind. Hält man sich das vor Augen, dann wird der Streit (wenn man diese bescheuerte Auseinandersetzung, in der sich die SPD gerade mal wieder so überhaupt nicht mit Ruhm beckleckert) um 16 Cent teureres Benzin erst recht absurd. Die Vorstellung, der Kampf gegen den Klimawandel (der ja nicht mehr droht, wie einige immer noch formulieren, sondern längst da ist) sei mit ein paar fast schon rein kosmetischen Korrekturen am bisherigen Leben zu haben, ist hirnrissig; dass wir uns entscheiden müssen, wer die Kosten wie tragen soll, hat die SPD bei den Benzinpreisen-Steigerungen im Zuge des von der Großen Koalition beschlossenen verschärften Klimaschutzgesetz aber wohl vergessen. Das Verursacherprinzip ist bei der Kostenfrage nicht das schlechteste, die Gesellschaft wird sich einigen müssen, wie mit damit einhergehenden sozialen Härten umzugehen ist. Der Kampf gegen den Klimawandel kostet was? Nein! Doch! Oh!

Bielefeld ist eine Reise wert, auch wenn sie mitunter ins Ungewisse führt, wenn man vorbeifährt. Das kennt man ja aus der Bielefeld-Verschwörung. Wer es am kommenden Freitag in die Innenstadt schafft und ein Ticket sein Eigen nennt, kann wieder einmal an der Verleihungsgala der Big Brother Awards teilnehmen. Veranstaltet wird sie bekanntlich von Digitalcourage, einem Verein, der unlängst einen Digitalzwangmelder aufgestellt hat. So ein Gerät funktioniert wie ein Rauchmelder, nur ohne Rauch und Feuer. Gemeldet werden sollen alle Vorfälle, in denen der Zwang zur Digitalisierung selbige "alternativlos" macht. "Das gute digitale Leben schließt die Wahlfreiheit und das Analoge mit ein. Der mündige Umgang mit digitaler Technik setzt voraus, dass wir auch Alternativen einfordern oder ganz 'Nein' sagen können." Ein gutes Beispiel für den Digitalzwang ist die unselige Luca-App, von der der Besuch eines Geschäftes abhängig gemacht wird, oder wenn der Arbeitgeber verlangt, dass alle Mitarbeiter ein Google-Konto einrichten müssen. Das sollte man dem Verein melden, wenn man schon nicht den Arbeitgeber wechseln kann. Vielleicht reicht es ja zu einem Big Brother Award im nächsten Jahr.

Zu den schlimmen Auswirkungen des Digitalzwangs gehört die Übung mancher Politiker und Politikerinnen, auf dem Datenschutz herumzutrampeln und ihm die Schuld zu geben, wenn etwas nicht richtig läuft. "So werden Grundrechte als rückständig diffamiert, als hinderlich für die Realisierung einer schon fast greifbaren besseren digitalen Welt, dem digitalen Schlaraffenland. Dies stellt die Tatsachen auf den Kopf. Eine gute und lebenswerte digitale Zukunft entsteht dann, wenn wir sie gemeinsam auf den Grundrechten aufbauen." Schlaraffenland ist angebrannt, bitte Scheibe einschlagen und Knopf tief drücken.

(jk)