NASA-Astronaut: Was man gegen Langeweile im Weltraum tun kann

In der Schwerelosigkeit können auch alltägliche Dinge komplex werden, sagt der ehemalige ISS-Bewohner Leland Melvin, der zwei große Missionen absolvierte.​

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Ex-NASA-Astronaut Leland Melvin.

(Bild: NASA / Carla Cioffi)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Neel V. Patel

Auch im All kommt es zu langweiligen Phasen. Der ehemalige Astronaut Leland Melvin erzählt im Gespräch mit Technology Review, wie er mit den kleinen Dingen des All-Alltags umgegangen ist und was sich daraus für das Leben auf der Erde ableiten lässt.

Technology Review: Sie mussten alltägliche Aufgaben für den Weltraumeinsatz neu erlernen. Welche Beispiele ragen für Sie heraus?

Leland Melvin: Wenn man ins All reist, werden alle Kleidungsstücke vakuumversiegelt. Öffnet man dann die Versiegelung, muss man diese Hemden in den Spind stecken und dabei herausfinden: „Wie bekomme ich das Ding da rein?“ Denn jetzt beginnen die Sachen um einen herum zu schweben. Wenn man etwas verliert, schaut man also meistens nach oben und es schwebt einfach über einem.

Dann ist auch Sauberkeit wichtig. Man trainiert auch im Weltraum genauso regelmäßig wie auf der Erde, aber da oben gibt es etwas, das ich gerne „Laufshorts-Spießrutenlauf“ aus gebrauchten Fitnesshemden und Shorts und Sport-BHs nenne. Man versucht, sich so klein wie möglich zu machen, um durch [diesen Korridor] zu kommen, ohne dass einem etwas über das Gesicht, den Mund oder die Augen wischt.

Und wenn ich mich rasiert habe, musste ich ganz dicht bis an den Luftfilter gehen, der eine positive Luftstromregelung hat, damit meine kleinen Barthärchen gleich in den Filter gelangen. Weil man nicht möchte, dass diese kleinen Haarpartikel ins Auge gehen. All diese Dinge sind ähnlich wie auf der Erde ziemlich banal, aber doch auf besondere Weise.

Bekommt man all das bei der NASA-Ausbildung beigebracht?

Es gibt Nachbildungen der Raumstation und der Module, in denen man sich auf die Handhabung von einigen dieser Dinge vorbereiten kann. Hier probiert man vorher aus, wie man alltägliche Aufgaben verrichtet. Und wenn es soweit ist, herauszufinden, wie man sie tatsächlich im Weltraum erledigt, startet man erst mit Parabelflügen, bei denen man jeweils 25 Sekunden lang am Stück schwerelos ist.

Allerdings üben wir beim Schwerelosigkeitstraining nicht wirklich Aufgaben wie Zähneputzen. Solche Sachen muss man selbst [vor Ort] herausfinden, wie man vom Null-G-Training zum tatsächlichen Arbeiten und Leben im Weltraum kommt. Den meisten Leuten gelingt diese Anpassung ziemlich schnell. Wenn Sie sich die Umgebung, in die Sie sich begeben, vorher visualisieren und auch ein Null-G-Training absolviert haben, dann kommt diese Gedankenübung, wie Sie das alles in der Mikrogravitation tun werden, ziemlich schnell. Und ich denke, dass es die Leute wirklich flott verstehen, die es zuvor visualisiert haben.

Einer der Gründe dafür, dass wir über dieses Thema sprechen, ist eine Ankündigung der Procter & Gamble-Marke Tide über eine neue Partnerschaft mit der NASA. Es geht dabei um das Entwickeln und Testen von Reinigungsmitteln in wasserarmen Umgebungen. Astronauten könnten also endlich im Weltraum Wäsche waschen. Es klingt wie eine Kleinigkeit, warum ist es also für Astronauten und die Raumfahrt der Zukunft wichtig?

Im Weltraum werfen wir unsere Kleidung weg, weil wir sie nicht reinigen können. Aber wenn wir später einmal auf Mond- oder Marsmissionen gehen oder noch weiter draußen im All sind, können wir das nicht machen. Wir müssen alles wiederverwenden. Wäschewaschen mag banal erscheinen, aber es ist notwendig für die Zukunft der Weltraum-Eroberung. Andernfalls haben wir schlicht nicht genug Kleidung, um Sport zu treiben und unsere Arbeit zu erledigen.

Es gibt viele neue Möglichkeiten für Privatleute, in den Weltraum zu reisen. Welche Entwicklungen und Veränderungen erwarten Sie beim Astronautentraining für diese Menschen? Was könnten neue Verfahren wie die virtuelle Realität bewirken?

Es gibt eine Firma namens Star Harbor Space Academy, die ein spezielles Labor für die Ausbildung von Menschen für den Weltraum plant, zusammen mit Null-G-Flügen in einem Flugzeug, Robotik und sogar VR. Was wäre also, wenn Sie einen VR-Anzug hätten, der Ihnen die taktilen Empfindungen, den Geruch, die Temperatur vermittelt? All Ihre Sinne müssten doch von dem, was Sie als Raumerfahrung empfinden, begeistert sein. Zum Beispiel könnten Sie einen Weltraumspaziergang in diesem Anzug machen, die Tür öffnen und das Gefühl haben, dass die Sonne da ist. Das sind immerhin 120 Grad Celsius, nicht wahr? Diese immersive Erfahrung wäre ein großartiges Werkzeug für die Trainingshilfe.

Was wäre Ihr wichtigster Ratschlag für Privatleute, die an diesen Missionen teilnehmen werden?

Selbstfürsorge vor Gruppenfürsorge. Sie kümmern sich zuerst um Ihre Sachen, bevor Sie versuchen, anderen zu helfen. Denn was passieren wird, ist, dass Sie zum Beispiel den Roboterarm bedienen müssen, während jemand am anderen Ende hängt. Dann kann man sich nicht plötzlich Sorgen machen, ob man seine Hemden richtig sortiert oder all seine anderen Erledigungen hinter sich gebracht hat. Kümmern Sie sich also so schnell wie möglich um Ihren persönlichen Raum, Ihre Ausrüstung, Ihre Hygiene und helfen dann anderen.

Das andere ist das Visualisieren. Ich habe oft meine Augen geschlossen und gesagt: „Okay, ich steige vom Space Shuttle durch die Luke zur Raumstation. Ich drehe mich um 180 Grad…“ Es ist wie beim American Football, da sind wir vorher auch alle diese Übung auf dem Papier durchgegangen, in der man eine Route läuft, den Ball fängt und den Touchdown macht. Und im Weltraum kann man das Gleiche tun, um so etwas wie den Roboterarm zu bedienen: „Ich bewege die translatorische Handsteuerung heraus und die Nutzlast bewegt sich in diese Richtung. Ich bewege mich…“ Ich denke, das ist etwas, womit Weltraumtouristen beginnen sollten.

(vsz)