"Feinde der Pressefreiheit": Mit Orbán steht erstmals EU-Staatschef am Pranger

Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat ein Update ihrer schwarzen Liste veröffentlicht, mit der weltweite Missstände für Medienschaffende aufgeführt werden.

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Pressefreiheit, Zensur

(Bild: wk1003mike / shutterstock.com)

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37 Staats- und Regierungsoberhäupter stehen dieses Jahr auf der Liste mit den weltweit "größten Feinden der Pressefreiheit", die Reporter ohne Grenzen (RoG) am Montag herausgegeben hat. Mit Viktor Orbán ist zum ersten Mal ein EU-Ministerpräsident in dem Verzeichnis für Regierungsvertreter gelandet, die nach Ansicht der Medienorganisation "in besonders drastischer Weise die rücksichtslose Unterdrückung der Pressefreiheit verkörpern". Angeprangert werden sollen damit "besonders gravierende Beispiele für die Einschränkung journalistischer Arbeit".

Orbán greife seit seiner Rückkehr an die Macht 2010 "Pluralismus und Unabhängigkeit der Medien in Ungarn" massiv an, begründet RoG den Schritt. Der 58-Jährige und seine Fidesz-Partei hätten in den vergangenen zehn Jahren die Medienlandschaft "Schritt für Schritt unter ihre Kontrolle gebracht": Die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender seien in der staatlichen Medienholding MTVA zentralisiert worden, zu der auch Ungarns einzige Nachrichtenagentur MTI gehöre.

Die regionale Presse sei seit dem Sommer 2017 vollständig im Besitz Orbán-freundlicher Unternehmer, kritisiert die Organisation. Im Herbst 2018 seien fast 500 regierungsnahe Medienfirmen in einer Holding zusammengefasst worden, "um ihre Berichterstattung zentral zu koordinieren". Wichtige unabhängige Medien hätten die Machthaber parallel ausgeschaltet, heißt es bei RoG.

"Zuletzt traf es das landesweit größte Nachrichtenportal Index.hu und den kritischen Radiosender Klubrádió". Auch die überregionalen Zeitungen Népszabadság und Magyar Nemzet seien eingestellt worden. Regierungskritische und investigative Berichte fänden nur noch über kleinere Online-Medien geringe Verbreitung. Wiederholt hätten regierungsnahe Medien "schwarze Listen" unliebsamer Journalisten veröffentlicht.

Neu auf der Liste sind auch der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der laut dem Beipackzettel vor allem über soziale Medien immer wieder gegen Reporter hetze, und der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman. Diesem wirft RoG "unter anderem wegen des Mordes an Jamal Khashoggi Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor".

Die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam ist ebenfalls erstmals mit von der Partie, denn "in der chinesischen Sonderverwaltungszone musste mit der Zeitung 'Apple Daily' im Juni ein Symbol der Pressefreiheit ihren Betrieb einstellen".

Daneben finden sich viele langjährige "Feinde der Pressefreiheit". Zu ihnen gehören etwa Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping, Syriens Machthaber Baschar al-Assad und Eritreas Präsident Isaias Afewerki.

In Osteuropa zählt RoG den russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie Alexander Lukaschenko in Belarus bereits seit mehr als 20 Jahren zu den Gegnern der freien Presse. Seit Putins Amtsantritt seien mindestens 37 Reporter wegen ihrer Arbeit ermordet worden, rechnet die Institution vor. Kaum eines dieser Verbrechen sei aufgeklärt worden.

Nach den Protesten zur Unterstützung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny und wenige Monate vor der Duma-Wahl im September habe sich die Situation für unabhängige Medienschaffende in diesem Jahr noch einmal deutlich verschärft. Sie liefen mittlerweile Gefahr, willkürlich zu ausländischen Agenten erklärt zu werden. Mehrere kremlkritische Nachrichtenportale hätten deshalb in den vergangenen Wochen ihre Arbeit beenden müssen oder kämpften ums finanzielle Überleben.

In Weißrussland unterdrücke der diktatorisch regierende Lukaschenko "die freie Verbreitung von Informationen auf brutale Weise", beklagt RoG. Mehr als 500 Journalistinnen und Journalisten seien seit Beginn der Proteste gegen seine Herrschaft im vergangenen Sommer festgenommen und im Gefängnis zum Teil schwer misshandelt worden. 25 von ihnen befänden sich nach wie vor in Haft. Der wichtigsten unabhängigen Nachrichtenseite Tut.by habe das Regime die Lizenz entzogen.

Am 23. Mai habe Lukaschenko für internationale Empörung gesorgt, als er ein Flugzeug nach Minsk umleiten und zwangslanden ließ, um den im Exil lebenden regimekritischen Blogger Roman Protassewitsch verhaften zu lassen.

Allein 13 der angeprangerten Staatschefs regieren in der Region Asien-Pazifik. Auf den Philippinen hätten die Angriffe auf Journalisten und unabhängige Medien seit dem Amtsantritt von Präsident Rodrigo Duterte 2016 stark zugenommen, schreiben die Macher der Liste. "Mindestens vier Medienschaffende wurden dort im vergangenen Jahr wegen ihrer Arbeit getötet." Das Regime habe zudem die preisgekrönte Journalistin Maria Ressa und die von ihr gegründete Nachrichtenseite Rappler im Visier.

Mit dem Putsch von Juntachef Min Aung Hlaing im Februar sei in Myanmar "die Pressefreiheit im Land innerhalb weniger Tage um zehn Jahre zurückgeworfen" worden. Dutzende Journalistinnen und Journalisten seien festgenommen und unabhängigen Medien die Lizenz entzogen worden. Die Unterdrückungsmethoden "sind verschieden, dienen aber demselben Zweck: Kritische Berichterstattung um jeden Preis zu verhindern", erläuterte RoG-Geschäftsführer Christian Mihr. Darunter litten die Journalisten, "die trotzdem mutig weiterrecherchieren, aber auch die Bevölkerung, der damit der gerade in Zeiten einer globalen Pandemie so wichtige Zugang zu unabhängigen Informationen verwehrt wird". Erschreckend sei auch, "dass die Verantwortlichen trotz brutaler Verbrechen oft straflos davonkommen". Die Liste erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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