Wie Forscher und Pharma versuchen, endlich ein COVID-19-Heilmittel zu finden

Gegen SARS-CoV-2 gibt es mittlerweile eine Fülle von Impfstoffen – und es kommen weitere hinzu. Doch wie weit ist die medikamentöse Behandlung gediehen?

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(Bild: Viki Mohamad / Unsplash)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Cassandra Willyard
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Die weltweiten Bemühungen, Impfstoffe gegen COVID-19 zu entwickeln, sind ein wissenschaftlicher Triumph. Die Suche nach neuen Therapieformen gegen die Erkrankung ist jedoch weit weniger erfolgreich. Mehr als eineinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie gibt es immer noch nur wenige Behandlungsmöglichkeiten gegen COVID-19 – und die vorhandenen Mittel scheinen nur einen bescheidenen Einfluss auf den Verlauf der Krankheit zu haben.

Die Impfraten mögen in ersten westlichen Ländern mittlerweile hoch genug sein, um die Herdenimmunität in greifbare Nähe zu rücken, aber der Bedarf an echten Therapien ist weiterhin groß. Denn das Virus wütet in einigen Ländern mit begrenztem Zugang zu Impfstoffen – und selbst dort, wo geimpft werden kann, wollen das einige Menschen einfach nicht. "Der Bedarf an Therapien für alle Stadien der Krankheit ist in der Tat größer denn je", sagt Rachel Cohen, Geschäftsführerin der Drugs for Neglected Diseases Initiative (DNDi), einer Organisation, die sich für die Entwicklung neuer Medikamente für Krankheiten einsetzt, die in der Vergangenheit von Pharmaunternehmen ignoriert wurden. "Noch nie in der Geschichte der Bekämpfung einer großen Infektionskrankheit gab es nur einen Satz Werkzeuge, wie das aktuell der Fall ist."

Neue Medikamente könnten Menschen im frühen Stadium von COVID-19 helfen, einen Krankenhausaufenthalt zu vermeiden, "vor allem an Orten, wo die Kapazität der Intensivstation und der Gesundheitsversorgung sehr begrenzt ist", sagt Cohen. Sie könnten auch verhindern, dass diejenigen, die ins Krankenhaus eingeliefert werden, dann doch sterben.

Neue Therapien könnten auch ein entscheidendes Hilfsmittel sein, wenn SARS-CoV2 so weit mutiert, dass es sich der Immunantwort auch bei geimpften Menschen entzieht. Und es gibt einen weiteren Grund, weiter nach neuen Medikamenten zu suchen: SARS-CoV2 ist das dritte problematische Coronavirus, das in den letzten 20 Jahren den Sprung vom Tier zum Menschen geschafft hat. "Dies ist vielleicht nicht das letzte derartige Coronavirus, das wir sehen", sagt Michael Diamond, Virologe an der Washington University School of Medicine.

Die US-Regierung hofft darauf, dass sich mit Geld etwas tun lässt. Mitte Juni kündigte sie an, dass Washington 3,2 Milliarden Dollar für die Erforschung und Entwicklung von antiviralen Medikamenten gegen COVID-19 und zukünftige Pandemieviren bereitstellen wird. Das ist nur ein Bruchteil der mehr als 10 Milliarden Dollar, die die Trump-Administration mit der Operation "Warp Speed" für die Entwicklung von Impfstoffen ausgegeben hat, aber der Wert sei immer noch "enorm", sagt Cohen. Eine Reihe anderer Initiativen zur Förderung der antiviralen Medikamentenentwicklung sind ebenfalls im Gange.

Es gibt derzeit nur eine Handvoll Therapien zur Behandlung von COVID-19. Für die Patienten mit dem schlimmsten Krankheitsbild haben Studien gezeigt, dass das Steroid Dexamethason das Sterberisiko um ein Drittel reduziert, indem es die ausufernde Entzündungsreaktion dämpft. Andere Therapien richten sich gegen das Virus selbst. Einige Unternehmen haben eine Notfallzulassung für monoklonale Antikörper erhalten. Diese im Labor hergestellten Antikörper funktionieren wie natürliche: Sie binden an das Virus und blockieren es, damit es keine Zellen befallen kann.

Bei frühzeitiger Verabreichung reduzierten monoklonale Antikörper oder eine Kombination dieser Therapien die Zahl der Krankenhausaufenthalte oder Todesfälle bei Personen mit hohem Risiko für schwere Symptome oder Krankenhausaufenthalte um 70 bis 87 Prozent. Diese Medikamente wirken am besten bei Patienten, die noch nicht schwer erkrankt sind. Die Antikörperkombination von Regeneron – jene Therapie, die der ehemalige US-Präsident Donald Trump erhielt – scheint jedoch auch Menschen zu helfen, die bereits im Krankenhaus liegen, aber noch keine eigenen Antikörper gebildet haben. Mitte Juni gaben Forscher bekannt, dass in einer Studie mit 9.000 Personen die Sterblichkeit in dieser Gruppe um 20 Prozent gesenkt werden konnte. Dieser Lebensgewinn erstreckte sich nicht auf Menschen, die natürliche Antikörper hatten.

Doch Antikörpertherapien haben auch Nachteile. Sie sind teuer und müssen per Infusion oder Injektion verabreicht werden. Das macht sie zu einer schlechten Option für viele Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Außerdem wirken sie möglicherweise nicht so gut gegen einige zirkulierende Varianten. Tatsächlich hat die FDA am 25. Juni die landesweite Verteilung des Antikörper-Cocktails von Lilly pausiert, weil zwei SARS-CoV-2-Varianten immer häufiger vorkamen, die nicht auf die Medikamente anzusprechen scheinen.

Bei den antiviralen Medikamenten, die die Fähigkeit des Virus zur Replikation reduzieren, gibt es noch weniger Möglichkeiten. Remdesivir ist das einzige Medikament, das für die Behandlung von COVID-19 zugelassen ist, vor allem, weil es einer der wenigen Kandidaten war, die zum Zeitpunkt der Pandemie auf ihre Sicherheit beim Menschen getestet worden waren und somit einen Vorsprung hatten. Aber wie gut es wirkt, ist immer noch eine offene Frage. Einige Studien haben herausgefunden, dass es die Dauer der Krankheit verkürzt, während andere darauf hindeuten, dass es kaum Auswirkungen hat. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt die Anwendung derzeit nicht.

Die Entwicklung von antiviralen Medikamenten hat sich aus einer Reihe von Gründen verzögert. Bis COVID-19 hatten die Unternehmen keinen großen finanziellen Anreiz, diese Therapien zu entwickeln. Die antiviralen Medikamente, die es gibt, zielen auf nur zehn Viren ab – die Hälfte von ihnen behandelt HIV. Chronische Infektionen erfordern langwierigere Behandlungen und bringen daher mehr Geld ein. "Wenn es keinen offensichtlichen Markt für ein Therapeutikum gibt, wird im Allgemeinen nicht in diese Art von Medikamenten investiert", sagt John Bamforth, Interimsgeschäftsführer von READDI, einer Kooperation zwischen privaten und staatlichen Stellen an der University of North Carolina in Chapel Hill, die gegründet wurde, um neue antivirale Medikamente zu entwickeln.

Es gibt auch eine Reihe von wissenschaftlichen Hürden. Um die Replikation zu hemmen, muss ein Medikament an ein essentielles virales Protein oder Enzym binden und dessen Aktivität blockieren, ohne die Wirtszelle zu schädigen. Im Gegensatz zu Bakterien sind Viren auf die Maschinerie in den Zellen, die sie bewohnen, angewiesen, um sich selbst zu kopieren, so dass sie nur relativ wenige eigene Proteine besitzen. Und selbst wenn Forscher auf einen Wirkstoff stoßen, der funktioniert, ist seine Wirksamkeit in der Regel nur von kurzer Dauer, da Viren ständig mutieren.

Einige Forscher, darunter auch die von READDI, arbeiten an Medikamenten, die auf zelluläre Proteine abzielen, die für die virale Replikation entscheidend sind. Die meisten antiviralen Medikamente wirken nur gegen ein einzelnes Virus. Die Hoffnung ist, dass diese Wirkstoffe gegen ganze Familien von Viren wirksam werden. Sie würden dann auch weniger wahrscheinlich zu Resistenzen führen.

Aber neuartige Therapien brauchen mehr Zeit für ihre Entwicklung. Deshalb ist der schnellste Weg, Medikamente auf den Markt zu bringen, die Wiederverwendung von bereits zugelassenen Wirkstoffen. Sie wurden schon auf ihre Sicherheit getestet, und es gibt weniger behördliche Hürden, um eine neue Anwendung für ein bestehendes Medikament zuzulassen. DNDi testet eine Reihe bestehender Wirkstoffe in einer klinischen Studie namens ANTI-COV. Die neueste Studie befasst sich mit Nitazoxanid, einem Medikament gegen Parasitenbefall, in Kombination mit einem inhalativen Steroid. "Der sich abzeichnende Konsens ist, dass man ein starkes Virostatikum oder eine Kombination von Virostatika mit verschiedenen Wirkmechanismen braucht, kombiniert mit einer Art von Entzündungshemmer", sagt Cohen.

Das Programm der US-Regierung für antivirale Medikamente gegen Pandemien zielt darauf ab, die Erprobung von 19 Medikamenten zu beschleunigen, die sich bereits in der Entwicklung befinden. Es wird auch etwa eine Milliarde Dollar zur Verfügung stellen, um ein Programm zum Auffinden von Medikamenten zu starten, bei dem nach Stoffen gesucht wird, die nicht nur SARS-CoV-2, sondern auch andere Viren behandeln können. Die Regierung kündigte auch an, dass sie bis zu 1,7 Millionen Dosen des antiviralen Medikaments Molnupiravir von Merck für 1,2 Milliarden Dollar kaufen wird – vorbehaltlich der behördlichen Genehmigung. Die Forscher hatten dieses Medikament einst als Grippemittel vorgesehen, aber als die Pandemie ausbrach, mussten sie umschwenken. Der Wirkstoff hat bereits die Phase-2-Tests für COVID-19 durchlaufen.

Mehr als 20 Biotech- und Pharmaunternehmen haben sich in der INTREPID-Allianz zusammengeschlossen, um 25 neuartige Wirkstoffkandidaten im Spätstadium der Entwicklung voranzutreiben, die auf die viralen Erreger mit den größten Pandemierisiken abzielen, darunter auch Coronaviren. Und der "COVID Moonshot" ist ein internationales Konsortium von Wissenschaftlern aus dem universitären Bereich, der Biotechnologie sowie der Pharmaindustrie, die pro bono oder zum Selbstkostenpreis an der Entwicklung von Medikamenten arbeiten, die ein bestimmtes Enzym von SARS-CoV-2 hemmen. Das Projekt setzt auf Crowdfunding und Crowdsourcing. Jeder kann einen Wirkstoffentwurf einreichen und die bereits eingereichten Entwürfe einsehen. Bis zum 28. Juni hatte das Projekt 17.976 Moleküldesigns gesammelt und fast 1.500 synthetisiert und getestet.

All diese neuen Initiativen werden sich vielleicht erst in einigen Jahren auszahlen. Aber die Hoffnung ist, dass wir besser vorbereitet sind, wenn die nächste Pandemie ausbricht. "Wir müssen diesen Kreislauf aus Ignoranz und anschließender Panik stoppen", sagt Cohen. Bei der Einführung von COVID-19-Impfstoffen sind große Ungleichheiten aufgetreten. In den Vereinigten Staaten und in Großbritannien wurden mehr als 45 Prozent der Bevölkerung geimpft. In der Demokratischen Republik Kongo und im Tschad haben sich weniger als 0,1 Prozent der Menschen impfen lassen. Und wo die Durchimpfungsrate niedrig ist, kann das Virus sich ausbreiten. "Wir sehen sich wiederholende Krisen auf dem indischen Subkontinent, in Lateinamerika und in den letzten Wochen in Afrika", sagt Cohen. Das seien die Orte, die dringend neue Therapien benötigen, aber sie befürchtet, dass alle neu entwickelten Behandlungen diese Länder zunächst nicht erreichen werden.

Das ist etwas, worüber bei READDI nachgedacht wird. "Wenn wir ein Medikament lizenzieren würden, würden wir wahrscheinlich eine Klausel für den globalen Zugang in den Vertrag aufnehmen", sagt Bamforth. "Wir müssen sicherstellen, dass diese Medikamente für alle Länder der Welt zugänglich sind, nicht nur für die erste Welt, die sie sich leisten kann."

(bsc)