Infrastruktur im Katastrophenfall: "Im Extremfall sterben Menschen"

Manuel Atug (AG KRITIS) spricht im Interview über Versäumnisse von Politik und Medien – und warum die Katastrophenschutz-Behörde eigentlich nicht zuständig ist.

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(Bild: Shutterstock/bear_productions)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Nico Ernst
Inhaltsverzeichnis

Am späten Sonntagabend nach der Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz erreichen wir den Informatiker Manuel Atug, der gerade Teile seines Elternhauses vom Schlamm befreit hat. Atug ist Mitbegründer und Sprecher der Arbeitsgruppe Kritische Infrastrukturen (AG KRITIS) und hat nach dem fehlgeschlagenen Warntag 2020 eine Experten-Analyse mit verfasst, in der die Fehlentwicklungen von Warn- und Alarmketten aufgezeigt wurden. Ehrenamtlich wird Atug auch als Sachverständiger der Bundesregierung und Landtagen immer wieder zu Anhörungen in Ausschüssen eingeladen. Er ist auch als Prüfer für Kritische Infrastrukturen gemäß des BSI-Gesetzes zugelassen.

Herr Atug, warum konnten die Menschen in den Hochwassergebieten nicht alle und früh gewarnt werden, obwohl die Wetterdienste teils schon zwei Tage vorher Alarm schlugen?

Manuel Atug

(Bild: Katrin Chodor Photography)

Gewarnt wurden sie ja, aber eine Warnung funktioniert nur dann, wenn man so kommuniziert, dass der Empfänger sie auch wahrnimmt und versteht. Da meine Familie auch selbst betroffen war und ich in den letzten Tagen vor Ort geholfen habe, habe ich das gemerkt. Wenn man jemandem sagt: "Da kommen 160 Liter pro Quadratmeter runter", dann können viele Leute damit ohne Kontext nichts anfangen. Das sind zwar für die relevanten Entscheider oder Experten die richtigen Informationen, aber für andere Menschen ist das kryptisch.

Es ist aber immer auch relevant, in welcher Zeit wie viel Regen fällt.

Exakt. "Zwei Meter Anstieg" ist etwas, das man in Hochwassergebieten vielleicht noch versteht. Wenn man den Leuten aber sagt: "Im schlimmsten Fall gibt es diese zwei Meter innerhalb von einer Stunde" ist das etwas ganz anderes.

Eigentlich sollten dafür doch Apps wie Katwarn und die "Notfall-Informations- und Nachrichten-App" (NINA) zuständig sein.

Ich bin fleißiger Nutzer von NINA, und die hat auch bei allen drei Standorten, die ich eingetragen habe, gemeldet. Allerdings auch da mit teils kryptischen Formulierungen. Warn-Apps sind Teil des modularen Warnsystems (MoWaS) des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Das dient für Katwarn, NINA und die anderen Apps als Verteiler. Andere Empfänger dieser Mitteilungen sind aber öffentlich-rechtliche und private Rundfunkanbieter, Nachrichtenagenturen, Werbetafelbetreiber sowie Telekommunikationsunternehmen und Pagerdienste von Unternehmen.

Es klingt doch sinnvoll, alle auf einmal erreichen zu wollen.

Wenn man von Privatperson bis Krisenstab und der Feuerwehr alle mit einer Formulierung in einer Meldung erreichen will, ist das vielleicht nicht optimal.

Wäre es dann nicht besser, das zielgruppengerecht aufzuteilen?

Es wäre schön, wenn man da alle Varianten und Methoden geeignet benutzt. Das eine ist natürlich: Wen warne ich, und mit welchen Inhalten. Das andere wäre, alle nutzbaren Kanäle auch zu benutzen. NINA bringt zum Beispiel etwas für die Warnung im Vorfeld. Wenn aber wie zum Beispiel im Ahrtal Strom- und Telekommunikationsverbindungen weggerissen werden, kann NINA nicht mehr melden. Auch die Notstromversorgung von intakten Sendemasten hält nur für kurze Zeit. Für solche Fälle hatten wir zeitweise in Deutschland mal 100.000 Sirenen, von denen ein Großteil aber nicht mehr existiert.

Die Sirenen dienten aber vor allem zur Alarmierung der freiwilligen Feuerwehr, andere Bürger wissen dann immer noch nicht, was los ist.

Dafür sollte man ja nach den alten Empfehlungen dann das Radio einschalten. Und da sind wir beim WDR: Ich habe dort zwar den Liveticker im Internet verfolgt, Informationen über Lagen und Standorte habe ich aber lange nur über den Deutschlandfunk bekommen. Das war echt suboptimal, die Chance über alle Kanäle zu gehen wurde vertan. Was völlig gefehlt hat, war das Fernsehen und lokaler Rundfunk. Lange lief im WDR noch normales Programm. Die hatten schon beim letzten Hochwasser Besserung gelobt, viele haben davon aber diesmal nichts gesehen.

Woran könnte das liegen?

Was da auf Ebene des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen gelaufen ist, kam sehr langsam in Schwung. Ministerpräsident Laschet war auf Wahlkampftour in Bayern und hat sie sehr spät abgebrochen – manches läuft aber über seinen Tisch.

Gibt es denn außer den genannten noch andere Kanäle oder fast vergessene Techniken wie CB-Funk, die bei Warnungen helfen könnten?

CB-Funk und Amateurfunk sind eine Möglichkeit. Es gibt aber, ganz ohne Apps, in den Mobilfunknetzen auch die Funktion des Cell Broadcast. Dabei bekommt jedes Gerät, das in der Nähe der entsprechenden Sendemasten ist, automatisch eine Meldung auf das Display, quasi wie eine SMS. Darin kann nur die Warnung enthalten sein, oder auch ein Link, sodass Menschen mit Smartphone sich weitere Informationen holen können.

Das gibt es unter anderem schon in Griechenland, Italien und den Niederlanden. Wie sieht es bei uns aus?

Das gibt es in Deutschland immer noch nicht. Dabei gibt es eine EU-Richtline, die unter anderem Cell Broadcast vorsieht, und die bis Mitte 2022 umgesetzt werden muss. Das BBK soll da koordinieren, ist aber nicht verantwortlich dafür. Am Wochenende nach den Fluten sagte das BBK, man stimme mit den Providern ab ob, wann und wie das eingeführt werden kann.