Unfälle, Defekte, Wechselwirkungen: Mehr als ein Stromausfall pro Tag in Berlin

Und plötzlich geht das Licht aus. Stromausfälle kommen in Berlin häufiger mal vor. Doch große Blackouts wie 2019 in Köpenick sind die Ausnahme.

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(Bild: pan demin/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Stefan Kruse
  • dpa
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Als Bauarbeiter Ende Februar 2019 bei einer Bohrung an der Salvador-Allende-Brücke in Berlin-Köpenick zwei Starkstromkabel beschädigen, sind die Folgen immens. 30.000 Haushalte und 2000 Gewerbebetriebe stehen rund 31 Stunden ohne Strom da. Zum Glück sind solche Extremfälle sehr selten. Dennoch fällt in Berlin durchschnittlich mehr als einmal pro Tag der Strom länger als fünf Minuten aus. Das geht aus einer noch unveröffentlichten Antwort der Wirtschaftsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Marcel Luthe (Freie Wähler) hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Demnach wurden im Vorjahr 468 "Versorgungsunterbrechungen" mit mehr als 100 betroffenen Haushalten und einer Dauer von mehr als fünf Minuten registriert. In den Jahren zuvor waren es 478 (2019), 576 (2018) beziehungsweise 458 (2017). Der Durchschnitt der letzten neun Jahre liegt bei 462 Ausfällen. Im ersten Halbjahr diesen Jahres fiel die Stromversorgung 225 mal aus.

Die Dauer der Stromausfälle schwankt nach der Statistik stark. 2020 lag der Maximalwert in einem Fall bei 1527 Minuten, also gut 25 Stunden. Noch länger blieb der Strom 2019 im Stadtteil Köpenick weg – ein Rekord in der jüngeren Vergangenheit.

Neben solchen Zwischenfällen bei Bauarbeiten, die in der Statistik als "Einwirkung Dritter" gelistet werden, können Stromausfälle unterschiedliche Gründe haben. Dazu gehören "atmosphärische Einwirkung" – hierbei handelt es sich nach Angaben der Stromnetz Berlin GmbH vor allem um Wassereinbrüche.

Neben technischen Defekten wird als vierter Grund "Rückwirkungsstörung aus anderem Netz" genannt. Infolge von Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Netzen kann es dabei zu Schwankungen bei der Stromspannung kommen.

Luthe, der Spitzenkandidat der Freien Wähler für die Wahl zum Abgeordnetenhaus ist, sieht in den Zahlen Anlass zur Sorge. "Sowohl durch die mit dem Ausbau von Solar- und Windanlagen immer weiter ansteigenden Schwankungen in der Netzlast als auch gezielte Anschläge durch vor allem Linksextremisten wird die Stabilität des Berliner Stromnetzes immer stärker bedroht", meint er.

Nötig sei eine kontinuierliche Auslastung der Stromnetze, die Wind- und Sonnenenergie nicht sicherstellen könnten. Insbesondere Wasserstoff- und Gaskraftwerke, auch auf Basis von Biogas, seien hier "eine saubere Lösung, um eine dezentrale und stabile Energieversorgung sicherzustellen".

Widerspruch kommt von der Stromnetz Berlin GmbH, seit wenigen Wochen ein landeseigenes Unternehmen und nach eigenen Angaben größter Verteilnetzbetreiber in Deutschland. "Eine Häufung oder einen Trend zum Anstieg von Störungen gibt es in Berlin nicht", sagt Sprecher Olaf Weidner. In Berlin seien eine hohe Versorgungsqualität und Versorgungszuverlässigkeit sichergestellt, fügt er hinzu und verweist auf diverse Eckdaten.

2020 sei jeder Verbraucher und jede Verbraucherin in der Stadt statistisch gesehen rund 8,9 Minuten ohne Strom geblieben. Zum Vergleich: Der deutschlandweite Wert im Jahr 2019 lag bei 12,2 Minuten. Im Durchschnitt sei jeder Berliner nur etwa alle vier Jahre einmal spannungslos.

Bleibe doch mal der Strom weg, dauere es bei einer Störung im Durchschnitt 48 Minuten, bis er wieder fließt. Rechne man alle Stromausfälle, auch die ganz kurzen, zusammen, sei die Anzahl der Störungen in den letzten Jahren sogar rückläufig. Doch auch die beste Technik könne – trotz eines hohen Maßes an Investitionen nicht zuletzt in Digitalisierung – mal versagen. Hinzu komme, dass Berlin eine wachsende Millionenstadt mit intensiver Bautätigkeit sei.

Die Stromeinspeisung aus erneuerbaren Quellen stellt nach den Worten Weidners kein Problem dar. "In Berlin haben wir zwar auch eine zunehmende Zahl dezentraler Stromeinspeiser wie Photovoltaikanlagen- oder Blockheizkraftwerks-Betreiber mit durchaus flexibler Stromerzeugung", erläutert er. "Deren Integration in das Berliner Stromnetz ist eine komplexe Aufgabe (...), hat aber keine Auswirkung auf das Störungsgeschehen." Anders sei das etwa im Nachbarland Brandenburg, wo die Vielzahl von Windkraftanlagen den dortigen Verteilnetzbetreiber vor riesige Herausforderungen stelle.

Auch Anschläge spielen nach Auskunft Weidners praktisch keine Rolle. 98 Prozent des Berliner Stromnetzes, das 35.200 Kilometer Kabel und Leitungen umfasse, verliefen unterirdisch. Opfer von Anschlägen auf Kabelanlagen war indes schon mehrfach die S-Bahn, die ein eigenes Netz hat.

Auch die Berliner Wirtschaftsverwaltung schätzt die Entwicklung der Versorgungssicherheit in der Stadt als stabil ein. In der Verantwortung, ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungsnetz zu betreiben, stünden laut Gesetz die Versorger. Netzbetreiber wie die Berliner Stromnetz GmbH arbeiteten für die Systemsicherheit eng zusammen und stimmten sich auch mit den Stromerzeugern ab.

"Der Senat misst dem Schutz kritischer Infrastrukturen eine hohe Bedeutung bei", unterstreicht ein Sprecher der Wirtschaftsverwaltung. Als Aufsichtsbehörde stehe die Senatsverwaltung für Wirtschaft in regelmäßigem Austausch mit den Netzbetreibern zu Fragen der Versorgungssicherheit.

(tiw)