Digitale Videorekorder auf dem Weg ins Wohnzimmer

Die Medienbranche ist sich noch uneins über Veränderungen des Nutzerverhaltens und die Napsterisierung der Fernsehwirtschaft durch digitale Videorekorder.

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Als neuestes Geschöpf und Medium der digitalen Revolution werden sie gehandelt, als Killer des werbefinanzierten Fernsehens angefeindet. Quelle hat sie auf der Rückseite des aktuellen Katalogs platziert und schon bald wird es sie vermutlich im Discounter geben: Digitalen Videorekordern, die von der Branche gern in Koppelung mit dem Adjektiv "personal" vermarktet werden, wird eine große Zukunft prophezeit. Marktforscher wie Forrester Research gehen davon aus, dass in den USA im nächsten Jahr eine Million Geräte mit Funktionen zum Programm-ungebundenen Fernsehschauen verkauft werden. Zur Zeit sind dort etwa 500.000 im Einsatz. Wie Umfragen jenseits des Atlantiks und in Großbritannien zeigen, wo derzeit etwa 5000 Kunden mit dem Anbieter TiVo durch die Welt der Glotze navigieren, schauen 70 Prozent der Nutzer nur noch voraufgezeichnetes Fernsehen. Ebenfalls 70 Prozent der Befragten überspringen Werbeblöcke.

In den angelsächsischen Ländern wird daher viel über die Folgen für die Fernsehwirtschaft spekuliert. Das Angebot Replay TV, das in den USA 65 Prozent des Markts beherrscht, ermöglicht dort bereits den von Experten seit langem prophezeiten Austausch von Sendungen über das Internet. Die "Napsterisierung" des Fernsehens ist damit angelaufen. Doch wie eine Diskussion auf dem Medienforum 2002 in Berlin zeigte, sind sich Experten noch uneins über die Folgen der Fortentwicklung des Videorekorders aus dem Geiste der Festplattenrevolution.

Die Anbieter sehen ihre Zukunft rosig. Matthias Zahn, der als Geschäftsführer der Münchner Fast TV Server AG unter anderem die Kerntechnik für das 999 Euro teure Quelle-Gerät liefert, rechnet mit 20 Prozent Nutzern in 2006. Der Nürnberger Katalogversender erwarte allein 20 Millionen Euro Umsatz mit dem Universum-Rekorder. Das eigentliche Geschäft seiner Firma sieht Zahn nicht im Verkauf von Standalone-Geräten. Vielmehr glaubt der Technologie-Lieferant, dass die "Personal Recording"-Funktionen als Zusatzfunktionen der gängigen Fernsehapparate massenhaft ins Wohnzimmer einziehen werden. "Das ist wie bei der Klimaanlage im Auto".

Die Auswirkungen auf das Rezeptionsverhalten sind nicht zu unterschätzen, sagt der Physiker. Die Anwender würden "zehnmal mehr aufnehmen als früher" und es genießen, die Tagesschau eben nicht um 20 Uhr zu sehen. Möglich machen es einfach zu bedienende elektronische Programmführer (EPGs), die in der Welt der digitalen Rekorder unerlässlich werden und teilweise zusätzlich als regelmäßiges Update abonniert werden müssen. Ein Fan von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" beispielsweise braucht dann nicht mehr jede Aufnahme täglich umständlich programmieren, sondern gibt einfach den Titel ein und lässt das Gerät die Sendungen auf die bei gängigen Massenartikeln rund 40 Gigabyte fassende Festplatte laufen. "Nicht nur Hausfrauen lieben das", weiß Zahn, und schwärmt davon, das Kanzler-Duell mit der Fast-Forward-Taste "schön zu verkürzen".

Doch auch der Pionier im Geschäft mit den digitalen Rekordern ist sich im Klaren darüber, dass noch viele Fragen offen sind. Die Sache mit dem Schutz von Urheberrechten sei kritisch, es könne bei der Aufzeichnung von Nutzerverhalten Probleme mit dem Datenschutz geben und die fehlende Standardisierung behindere die Entwicklung. Zudem müsse zeitig der Dialog mit der Fernsehindustrie einsetzen, denn "wir können unser Geschäft nicht auf den Trümmern des werbefinanzierten Fernsehens aufbauen". Das geht schon deshalb nicht, so der Berliner Medienökonom Axel Zerdick, "weil die neuen Anbieter das Free-TV als kostenlosen Lieferanten der Programme brauchen". Generell hält der FU-Professor das Geschäftsmodell rund um die Rekorder nicht nur aufgrund der "Copyright-Lobby" für riskant, sondern auch, da die Bedeutung und die Nutzung des Fernsehens insgesamt zurückgehe. Andererseits gebe es Leute, die durchaus für die rein theoretische Option einer Nutzungsmöglichkeit zu zahlen bereit seien. "Für den Vorruheständler", der ein für unsere Rasse typisches Sammlerverhalten kultiviere, ironisiert Zerdick, seien die neuen Geräte "die ideale Lösung".

Die Programmanbieter sehen der Entwicklung gelassen entgegen. "Bei der Einführung von TiVo in den USA gab es überall Horrorszenarien", erinnert sich Wolfram Winter, Geschäftsführer Universal Studios Networks Deutschland, "aber nichts dergleichen ist passiert". Die TV-Programme seien schon heute an die Gewohnheiten der Nutzer angepasst. "Die Tagesschau bleibt auch weiter ein Ordner des Lebens", ergänzt Cornelius Everding von der ProSiebenSat.1 Media AG. Über "Kooperationen und Wertschöpfungsnetze" könne man jederzeit reden. Jugendschützer lässt die Angst vor dem Kontrollverlust angesichts der neuen Sendetermin-Unabhängigkeit ebenfalls kalt. "Diese Individualisierung ist seit langem im Gange", sagt Joachim von Gottberg von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF). Selbst wenn gesetzliche Regelungen stärker umgangen werden könnten, behielten die Jugendschutzbestimmungen doch ihre wichtigste Funktion: dass sich die Kids Gedanken über die ausgesprochenen Verbote machen.

Die Meinungen der Nutzer selbst über die kleinen Heilsbringer im Wohnzimmer gehen in den USA, wo schon mehr Konsumenten Erfahrungen mit ihnen sammeln konnten, noch weit auseinander. In Web-Foren beschweren sich die einen darüber, dass die Geräte "dreimal am Tag abstürzen". Andere feiern die Rekorder als "Gottesgeschenk". (Stefan Krempl) / (mw)