Warum US-Behörden den verstärkten Einsatz von Gesichtserkennung planen

Ein neuer Bericht des US-Rechnungshofes zeigt, dass die umstrittenen Systeme künftig eine noch größere Rolle spielen werden.​

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(Bild: Tobias Tullius / Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tate Ryan-Mosley
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Gesichtserkennungssysteme werden laut einem Ende August veröffentlichten Bericht des US-Rechnungshofs (Government Accountability Office, GAO) "immer häufiger" eingesetzt: am häufigsten in den Bereichen der Cybersicherheit, der inländischen Strafverfolgung und dem Schutz physischer Sicherheit. Achtzehn der 24 befragten Bundesbehörden verwenden derzeit mindestens eine Art der Gesichtserkennung, viele benutzen mehr als ein System. Bei den meisten handelt es sich um bundeseigene Systeme, aber sechs stammen von kommerziellen Anbietern wie Clearview AI, Vigilant Solutions und Acuant FaceID.

Zehn Ministerien planen darüber hinaus, ihren Einsatz der Gesichtserkennung bis 2023 auszuweiten und 17 verschiedene Gesichtserkennungssysteme zu implementieren: die Landwirtschafts-, Wirtschafts-, Verteidigungs-, Heimatschutz-, Gesundheits-, Justiz- und Finanzministerien, sowie das Innen- und Außenministerium und das Ministerium für Veteranenangelegenheiten. Dreizehn dieser Systeme werden bundeseigene sein, zwei sich im Besitz der örtlichen Strafverfolgungsbehörden befinden und zwei Behörden setzen auf Clearview AI.

Die Ergebnisse kommen nach einem Jahr öffentlicher Proteste von Befürwortern der Privatsphäre und bürgerlichen Freiheiten gegen die Nutzung der Technologie durch Polizei und Regierung. Die Gesichtserkennung hat sich bei Menschen mit dunklerer Haut, bei Frauen sowie bei jüngeren und älteren Menschen als weniger genau erwiesen. Ein kurz zuvor veröffentlichter weiterer Bericht des GAO mahnte auch eine mangelnde Aufsicht durch die föderalen Strafverfolgungsbehörden an, die die Technologie verwenden.

Viele Behörden verwenden bereits Gesichtserkennung oder planen dies, um sensible Daten und Technologien sowie physische Standorte zu schützen, oder konzentrieren sich auf Justiz- und Militärangelegenheiten. Das Büro des Generalinspektors zum Beispiel begann im Mai, mit Vintra Ermittlungen zu unterstützen, indem es Überwachungsvideos nach "gerichteter Bewegung, Fahrzeugen oder Personen" durchsuchte. Der US Marshals Service entwickelt ein berührungsloses Identifikationssystem für Gefangene, um die Buchung und den Transport von Gefangenen zu erleichtern. Die US-Einwanderungs- und Zollbehörde arbeitet mit der Bezirksstaatsanwaltschaft von Lehigh County in Pennsylvania zusammen, um den Zugang zu ihrem bestehenden Gesichtserkennungssystem durch die Integration mit einer eGang-Intelligence-Anwendunge zu erweitern.

Das Landwirtschaftsministerium will mithilfe von Gesichtserkennungssystemen Live-Überwachungsvideos für Personen auf Beobachtungslisten überwachen, wenn die Finanzierung dafür genehmigt wird. Sowohl die US-Luftwaffe als Teil des Verteidigungsministeriums als auch der Fisch- und Wildtierdienst im Innenministerium arbeiten an Projekten mit Clearview AI und wollen dessen Einsatz ausweiten. Clearview AI ist umstritten, weil sein Matching-Algorithmus auf einer Datenbank mit über drei Milliarden öffentlichen Bildern basiert, die aus dem Internet abgeschöpft wurden. Andere von Strafverfolgungsbehörden verwendete Gesichtserkennungssysteme basieren auf viel kleineren Datenbanken, die oft von der Regierung entwickelt wurden: Dazu gehört zum Beispiel eine Datenbank mit Fotos von Menschen, die einer Straftat beschuldigt werden.

Zehn Behörden betreiben zudem Forschung und Entwicklung in diesem Bereich, darunter die Justiz-, Verteidigungs-, Heimatschutz- und Staatsministerien. Die Ziele der Agenturen sind vielfältig, aber viele untersuchen die gut dokumentierten Verzerrungen vieler Gesichtserkennungssysteme. Das Justizministerium erforscht zum Beispiel das Verhältnis zwischen Hautton und falschen Identifizierungsraten von Gesichtserkennungsalgorithmen. Andere untersuchten, wie man solche Systeme genauer machen kann, selbst wenn sie maskentragende Menschen scannen.

Der Bericht zeigte auch eine umfassende behördenübergreifende Koordination und den Austausch von Gesichtserkennungssystemen und -informationen. Viele Bundesbehörden berichteten, dass sie ihre Gesichtserkennungssysteme von staatlichen und lokalen Regierungen bezogen haben. Das Heimatschutzministerium gab etwa an, dass sein Informationsnetzwerk "einen Mechanismus enthält, um Gesichtserkennungssuchen Dritter durch die aufgeführten staatlichen und lokalen Einrichtungen wie Fusionszentren anzufordern". In Fusionszentren arbeiten verschiedene Polizei-, nachrichtendienstliche und andere Behörden für Bedrohungsbekämpfung zusammen.

Ein Sprecher der "Electronic Frontier Foundation", eine gemeinnützige Gruppe für digitale Rechte, sagte: "Dieser wichtige GAO-Bericht zeigt die wachsende Abhängigkeit der Bundesregierung von der Gesichtsüberwachungstechnologie. Am beunruhigendsten ist ihre Verwendung durch Strafverfolgungsbehörden. Allerdings greift die Gesichtsüberwachung so stark in die Privatsphäre ein, diskriminiert Farbige und führt so wahrscheinlich zu falschen Verhaftungen, dass die Regierung überhaupt keine Gesichtsüberwachung einsetzen sollte."

Bereits im Juni hatte das GAO einen Bericht über die Gesichtserkennungsfähigkeiten von 42 Bundesbehörden veröffentlicht, die Strafverfolgungsbeamte beschäftigen. Darin dokumentierte der US-Rechnungshof, dass mehrere Strafverfolgungsbehörden nach den Protesten gegen die Rassengerechtigkeit im vergangenen Sommer und dem Angriff auf das US-Kapitol im Januar Gesichtserkennung einsetzten. Der Bericht zeigte auch, dass 13 der 42 Agenturen ihre eigene Nutzung der Technologie nicht vollständig verstehen. Der Nachrichtenseite BuzzFeed zufolge ist der GAO-Bericht wahrscheinlich unvollständig, da fünf Bundesbehörden den Einsatz von Clearview AI verneint hatten, obwohl das der Fall war.

Die Akzeptanz der Technologie nimmt dabei auf allen Regierungsebenen zu. Im vergangenen März sagte Clearview AI, dass 3.100 der 18.000 US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden auf Bundes-, Landes-, Bezirks- und Kommunalebene – das sind rund 17 Prozent – seine Software verwendet haben.

In den USA gibt es keine bundesstaatliche Regulierung zur Verwendung von Gesichtserkennungstechnologien durch Strafverfolgungsbehörden, obwohl eine Gesetzgebung erwartet wird. Viele Bundesstaaten und Städte verbieten die Verwendung der Software durch die Strafverfolgungsbehörden und die Regierung, obwohl lokale Verbote die Nutzung durch Bundesbehörden nicht verhindern.

(vsz)