Das Internet und die neue Wissensordnung

Wo liegen die Grenzen der Privatisierung von Wissen? Eine Tagung über die Zukunft des geistigen Eigentums, Vergütung von Urhebern und digitales Rechtemanagement zeigt sich ratlos.

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Von
  • Richard Sietmann

"Wissen ist immer dann etwas wert, wenn es exklusiv ist", bringt der Medienwissenschaftler Martin Eppler, Dozent an der Universität St. Gallen, die herrschende Meinung von New und Old Economy auf den Punkt. Völlig falsch, meint indes der Betriebswirtschaftler Axel Zerdick, denn "das verkennt die Netzwerkeffekte". Kein Erfinder oder Urheber eines Werkes fängt bei Null an, sondern stützt sich auf die Plattform der Public Domain, des öffentlich frei verfügbaren Wissens. Das Neue geht stets aus einer Kombination bekannter Elemente hervor, sodass der privaten Zuordnung ausschließlicher Verfügungsrechte immer etwas Willkürliches anhaftet.

Wie Zerdick hält daher auch der Wirtschaftsinformatiker Bernd Lutterbeck von der TU Berlin die Verwendung des Begriffes "geistiges Eigentum" für verfehlt, weil es sich gar nicht um Eigentum handele, "sondern ein von der Rechtsordnung gewährtes Verwertungsmonopol". Die simple Übertragung und Verschärfung der im 18. und 19. Jahrhunderts gewachsenen Instrumente von Patentrecht und Copyright erweist sich im Cyberspace jedenfalls als dysfunktional, denn schon im Unterschied zum Buch ist jede Nutzung des Computers untrennbar mit Kopiervorgängen verbunden. "Die Wissensgesellschaft wird gar nicht erst entstehen, wenn der Trend zur Ausweitung von Urheberrecht und Patentschutz weiter anhält."

Bei der Frage, was an die Stelle dieser beiden Pfeiler treten könnte, zeigten sich die Experten -- Wissensproduzenten allesamt -- auf der Tagung wissensWert -- das Internet und die neue Wissensordnung am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) jedoch weit gehend ratlos. Lutterbeck immerhin plädiert für eine "dramatische Reduktion der Schutzfristen bei Software bis auf drei Jahre".

Wolfgang van den Daele, Direktor der Abteilung "Normbildung und Umwelt" am WZB, hält es mit Gelassenheit. Ob sich die verschärfte Privatisierung von Wissen tatsächlich negativ auswirkt, sei noch nicht erwiesen; die USA, die in diesem Bereich die rigideste Politik betreiben, seien zugleich das Land mit dem erfolgreichsten Wissenschaftssystem und den meisten Nobelpreisen. Der Monopolschutz durch Patente erstrecke sich ohnehin immer nur über einen Zeitraum von 20 Jahren, und "mit dem Wissen von 1980 kann heute jedes Entwicklungsland arbeiten", meint van den Daele. Für ihn ist der Streit um Urheberrecht, Bio- und Softwarepatente "ein politisches Spiel".

Der Medienforscher Volker Grassmuck von der Humboldt-Universität Berlin sieht das etwas dramatischer: "Das Digital Rights Management ist ein totalisierendes Projekt, das letztlich auf die Abschaffung des Universalrechners zielt", meint Grassmuck. Dahinter stehe das gedankliche Modell "des Kunden als Dieb", und worum es "den Datenherren" wirklich gehe, sei "eine systemweite Grunderneuerung, bei der kein Stein auf dem andern bleibt".

Warum aber gehen die Regierungen so leichtfertig auf die Forderungen und Partikularinteressen der Medienindustrie ein? Mit der Komplexität vieler technischer Bereiche können Politiker nicht mehr mithalten; der Aufwand und die Kosten für die erforderliche Regulierung ist ihnen zu hoch, meint der Volkswirtschaftler Michael Hutter von der Universität Witten/Herdecke. "Diese Kosten werden von den Lobbys getragen". Sie sind es, die mit detaillierten Vorlagen die Richtung und den Ton angeben. Für den Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen von der Universität Konstanz ist es zwar verständlich, dass sich der Gesetzgeber eng an die Interessen der Wirtschaft anlehnt, er glaubt aber nicht daran, dass dieser so die Probleme "auch nur ansatzweise in den Griff bekommt".

Gesucht sei, hatte Meinolf Dierkes, Leiter der Forschungsabteilung "Organisation und Technikgenese" am WZB zum Auftakt der zweitägigen Veranstaltung erklärt, "eine Wissensordnung, die Investitionsschutz bietet, aber die Innovations- und Lernfähigkeit der Gesellschaft nicht aus den Augen verliert". Wohin also geht die Reise? "Es kommt", vermutet Volkswirtschaftsprofessor Michael Hutter, "entweder zu einer Aushöhlung des geistigen Eigentums oder zu einer Verschärfung". Aha. (Richard Sietmann) / (jk)