Pilotprojekt: Polizei will Open Data gegen den Fahrradklau benutzen

Die Berliner Polizei veröffentlicht Daten über Fahrraddiebstähle. Programmierer können sie nutzen, um Apps zu erstellen, die die Strafverfolgung unterstützen.

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(Bild: mahc/Shutterstock.com)

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Von
  • Andreas Rabenstein
  • dpa

Ob es Daten der NASA zur Sonneneinstrahlung oder Erdatmosphäre sind, entschlüsselte DNA-Sequenzen, Live-Daten von Verkehrsflügen oder die Häufigkeit von Vornamen, Stromladesäulen und Behindertenparkplätzen in einem Berliner Bezirk – Open Data ist ein wichtiger Trend im Internet. Vor allem Behörden und andere staatliche Einrichtungen veröffentlichen Teile ihrer riesigen Datensammlungen, um sie für die Gesellschaft nutzbar zu machen. Recht wenig findet man bisher zum sensiblen Bereich Kriminalität und Sicherheit. Das will die Berliner Polizei mit einem Pilotprojekt ändern und könnte damit in Deutschland eine Vorreiterrolle spielen.

Ab diesem Mittwoch stellt die Polizei Ort, Zeit und weitere Informationen zu fast jedem Fahrraddiebstahl in der Hauptstadt alle 24 Stunden aktuell ins Internet, wie der Vizechef des Landeskriminalamtes (LKA) Stefan Redlich der Deutschen Presse-Agentur sagte. Sie sind dann für jeden Interessierten über das Internet abrufbar und nutzbar.

"Wir wollen Programmierer herausfordern, diese Daten zu nutzen und Anwendungen zu entwickeln, auf die wir noch gar nicht gekommen sind", sagte Redlich. "Das könnten Apps sein, die Radfahrer vor Gegenden mit vielen Diebstählen warnen. Aber vielleicht auch andere Anwendungen: Lagebilder, dynamische Entwicklungen, Grafiken, Forschung oder künstlerische Gestaltungen." Die Polizei wolle testen, ob solche Daten auf Interesse stoßen und als Open Data genutzt werden.

Sichtbar werden könnte: In welcher Gegend und an welchen Tagen werden Räder gestohlen? Vor allem tagsüber oder eher nachts? Meist von der Straße oder aus Höfen? Gibt es auffällige Häufungen oder Serien? Der Datensatz in Form einer Tabelle beruht auf der Anzeige des Fahrradbesitzers: Tag und Uhrzeit des Diebstahls, Fahrradtyp, Schadenshöhe, Angaben zum Delikt (Diebstahl von der Straße, aus einem Hof, Einbruch in Keller) sowie den Ort der Tat. Der Ort wird wegen des Datenschutzes allerdings nicht mit Straße und Hausnummer genannt, sondern nur mit einem von 542 sogenannten Planungsräumen. Das sind definierte Gebiete, festgelegt von der Berliner Verwaltung. In der dicht besiedelten Innenstadt sind sie kleiner und umfassen nur einige Querstraßen. Am Stadtrand sind sie einige Quadratkilometer groß. Ist der mögliche Zeitraum eines Diebstahls größer als 72 Stunden, etwa weil der Besitzer im Urlaub war, werden die Daten nicht mehr herausgegeben. Das betrifft etwa 15 Prozent der Diebstähle, sodass 85 Prozent zur Veröffentlichung bleiben.

Rückwirkend stellt die Polizei außerdem 35.000 Fahrrad-Diebstähle seit Januar 2020 ins Internet. Jeden Tag kommen künftig im Schnitt 60 Diebstähle dazu. Für die Polizei bedeutet das keinen zusätzlichen Aufwand. Die Daten der Delikte werden schon immer im Polizeisystem Poliks erfasst. Das Überspielen ins Internet geschieht automatisch. Das Thema Fahrraddiebstahl für das Projekt wurde nicht zufällig ausgewählt: Die Zahl der Radfahrer nimmt zu, die Räder werden teurer, die Aufklärung der Diebstähle ist schwierig. Die Zahl der Diebstahlsanzeigen stieg bis 2016 auf 34.500. Seitdem sinkt der Wert trotz mehr Einwohnern und mehr Radfahrern. 2020 waren es 27.588 gemeldete Diebstähle, etwa 76 pro Tag. Die tatsächliche Zahl dürfte deutlich darüber liegen. Nicht jeder Besitzer ohne Versicherung zeigt einen Diebstahl an.

Zudem wuchsen die Schadenssummen von durchschnittlich 663 Euro im Jahr 2018 auf 799 Euro im vergangenen Jahr. Die Aufklärungsquote der Polizei lag lange bei mageren 4 Prozent, verbesserte sich 2020 leicht auf 4,7 Prozent und im ersten Halbjahr 2021 auf 5,4 Prozent. Besonders häufig werden Fahrräder von großen Abstellplätzen vor Bahnhöfen, Schulen, Sport- und Freizeitstätten oder Einkaufszentren gestohlen. Die gefassten Täter sind fast immer jüngere Männer, ein beträchtlicher Teil kommt aus Osteuropa. Mit dem Open-Data-Projekt hofft die Polizei auch auf mehr Aufmerksamkeit für die Vorbeugung. Beraten hat sich die Polizei bei der Planung mit der Technologiestiftung Berlin. Die Stiftung stellt Wirtschaft und Verwaltungen bei der Digitalisierung Informationen, Software und Infrastruktur zur Verfügung. "In dem Bereich Sicherheit geht viel mehr als bisher gemacht wird", sagte Victoria Boeck von der Technologiestiftung. "Die Berliner Polizei ist damit auf jeden Fall ein Vorreiter, andere Städte oder Gemeinden könnten folgen."

Welche Ergebnisse solche Veröffentlichungen großer Datenmengen bringen, stehe nicht immer vorher fest, sagte Boeck. "Richtig spannend ist es manchmal, wenn man bestimmte Daten mit weiteren Datensätzen aus anderen Bereichen verknüpft." Die Technologiestiftung könne der Polizei auch weitere Vorschläge machen zu Datensätzen. Auch LKA-Vizechef Redlich meinte: "Wir können uns vorstellen, das Thema in Zukunft auszuweiten und mehr und konkretere Daten zu veröffentlichen. Abgesehen natürlich von personenbezogenen Informationen." Erst mal wolle man aber Erfahrungen sammeln. "Anregungen nehmen wir immer gerne entgegen."

(olb)