De-Mail: Der Telekom-Ausstieg und die Folgen

Dass die Telekom aus dem De-Mail-Dienst aussteigt, hat viele verschreckt. Manche sehen darin den Anfang vom Ende, andere glauben fest an sein Potenzial.

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(Bild: Pavel Ignatov/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Tim Gerber
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Ganz überraschend kam die Nachricht nicht, als zuerst der Spiegel Ende August berichtete, dass die Deutsche Telekom binnen Jahresfrist ihren De-Mail-Service einstellen und Nutzern fristgerecht kündigen wolle. Bereits zu Jahresbeginn hatte Telekom-Chef Tim Höttges die De-Mail als "toten Gaul" bezeichnet, den niemand je genutzt habe. Im innerhalb der Bundesregierung für die Verwaltungsdigitalisierung zuständigen Innenministerium (BMI) war man schon seit über einem Jahr über die Absicht der Telekom informiert, aus wirtschaftlichen Erwägungen aus De-Mail auszusteigen. Dies sei in den regelmäßigen Kontakten des BMI mit dem Unternehmen auf allen Ebenen kundgetan worden, teilte ein Sprecher des Ministeriums auf c’t-Anfrage mit.

Der konkrete Prozess des Ausstiegs sei zuletzt am 27. August mit dem Leiter des Geschäftsfelds Telekom Security erörtert worden. Hierbei habe die Telekom das BMI informiert, seine De-Mail-Verträge mit Kundinnen und Kunden fristgerecht kündigen und De-Mail nach dem 31. August 2022 nicht mehr anbieten zu wollen.

Dass der Gaul bereits tot sei, bestreitet man nicht nur im Innenministerium. Beim größten Wettbewerber in Sachen De-Mail, dem Provider United Internet, gibt man sich optimistisch. Man sei weiterhin vom Potenzial der De-Mail überzeugt, verkündete Jan Oetjen unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Ausstiegs der Telekom. Oetjen ist bei United Internet als Geschäftsführer für die Marken Web.de und GMX verantwortlich, über die der Provider seine De-Mail-Angebote vermarktet. Oetjen verweist auf bislang eine Dreiviertelmillion Nutzerinnen und Nutzer allein bei seinen Marken und die besonders in der Pandemie deutlich gestiegene Nachfrage. Nach eigenen Angaben ist der Betrieb des De-Mail-Dienstes bei United Internet kostendeckend.

Web.de-Geschäftsführer Jan Oetjen ist weiterhin vom Potenzial der De-Mail überzeugt.

(Bild: Web.de)

Anders als die Telekom wollte die Konkurrenz von Anfang an mit der De-Mail Geld verdienen. Die Einrichtung eines Accounts nebst der dabei notwendigen sicheren Identifizierung des Inhabers war nur ganz zu Beginn eine Zeit lang kostenlos und kostet inzwischen einmalig zwischen 6 und 10 Euro. Der Versand einfacher De-Mails ist nach wie vor kostenlos. Für den Versand eines "Einschreibens" berechnet man 78 Cent. Nur mit dieser Versandart lässt sich aber eine eventuell gesetzlich oder vertraglich vorgeschriebene Schriftform wahren.

Beim einzig verbleibenden Wettbewerber von United Internet, Mentana-Claimsoft, kostet bereits der Versand einer einfachen De-Mail mit maximal 10 MByte 39 Cent. Für die zum Schriftformersatz notwendige Absenderbestätigung berechnet Mentana 49 Cent, insgesamt kostet so eine Sendung also 88 Cent, Zusatzleistungen wie eine Versandbestätigung (entspricht einem Einschreiben) oder Eingangsbestätigung (entspricht einem Rückschein) kosten jeweils 69 Cent extra.

Das alles mag sich gegenüber einfachen E-Mails oder auch dem Versand von Faxen teuer anhören, verglichen mit Papierpost ist es aber deutlich preiswerter. Privatpersonen benötigen solche Dienste selten und sehen deshalb wenig Sinn in der Einrichtung eines De-Mail-Kontos. Folglich sind besonders Behörden und Justiz auf klassische Post angewiesen, um etwa Bescheide und Urteile rechtswirksam zustellen zu können.

Zur Lösung dieses auch von der Deutschen Telekom beklagten Henne-Ei-Problems tragen staatliche Stellen wenig bei. Zwar müssen Bundesbehörden und die Gerichte einen De-Mail-Zugang einrichten, aber mit denen haben die wenigsten Bürger direkt zu tun. Und selbst Bundeseinrichtungen wie die Kindergeldkassen oder die staatliche Förderbank KfW mit ihren zahlreichen Förderprogrammen sind per De-Mail nicht erreichbar.

Für den "besonderen Zweck des Fördergeschäftes" sei De-Mail mit Privatpersonen "vor dem Hintergrund der Regulatorik des Bankensektors" kein passender Anwendungsfall, teilte das von Olaf Scholz (SPD) geführte Bundesministerium der Finanzen, dem die KfW untersteht, auf c’t-Anfrage mit. Aus welchen konkreten Gründen die De-Mail für die Kommunikation mit Privatpersonen nicht gedacht sei, wusste das Ministerium auf Nachfrage nicht zu beantworten.

Den meisten Kontakt haben die Bürger mit den Verwaltungen ihrer Gemeinden, Landkreise und Städte. Und da diese bislang keine gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung eines De-Mail-Zugangs haben, sieht es diesbezüglich sehr trübe aus. Wie solche Zugänge in der Praxis der Verwaltungen genutzt werden, stimmt auch nicht gerade optimistisch in Sachen Digitalisierung. Im Robert-Koch-Institut etwa, das als Bundeseinrichtung seit 2015 zur Nutzung der De-Mail verpflichtet ist, versuchen Beamte noch im Jahr 2021, auf De-Mails von Bürgerinnen per einfacher E-Mail zu antworten. Die Nachricht kommt dann nicht an, die Fehlermeldung sehen die Beamten als Schuld des Bürgers.

Und in den meisten Gerichten, die seit 2018 zur De-Mail-Nutzung verpflichtet sind, sieht es nicht viel besser aus. Eingehende Schriftsätze druckt man aus und versucht gar, entgegen gesetzlicher Regelungen den Einsendern dies in Rechnung zu stellen (etwa AG Hannover im Verfahren 549 NZS 6/21). Auf die Frage, warum das Gericht trotz Eröffnung eines entsprechenden Zugangs Zustellungen nach wie vor per Post anstatt per De-Mail vornimmt, teilte der Pressesprecher c’t mit, dabei sei der Nachweis der Zustellung schwierig. Dabei wird der per De-Mail-Gesetz ausdrücklich gerichtsfeste Zustellungsnachweis per elektronischem Zertifikat einschließlich qualifizierter Signatur in Sekundenschnelle an den Absender übermittelt. Das Verfahren ist zudem zuverlässiger als die viel teurere klassische Postleistung, wo Zustellungen schon mal mehrere Wochen dauern und immer wieder Zustellungsurkunden verloren gehen.

Auf die Bitte eines Beteiligten, mit ihm per De-Mail zu kommunizieren, verfügen Richter am Amtsgericht Hannover noch 2021 handschriftlich, dass man Verständnis für die klassische Übermittlung haben solle.

Große Dienstleistungskonzerne aus der Telekommunikations-, Energie- oder Finanzbranche mit Millionen Kunden setzen wiederum lieber auf eigenen Portale, um mit ihrer Kundschaft zu kommunizieren. Wie viel Rechtssicherheit sie den Kunden dabei gewähren, entscheiden sie dabei im Unterschied zu einem gesetzlich geregelten De-Mail-Postfach selbst. Oft gibt es nur eine allgemeine Eingangsbestätigung per einfacher E-Mail, im günstigsten Fall wird der Inhalt des erhaltenen Anschreibens bestätigt. Fälschungs- und damit rechtssicher ist das alles nicht.

Ein weiterer Nachteil für Bürger und Verbraucher ist, dass sie für jeden einzelnen ihrer Partner in Wirtschaft und Verwaltung einen eigenen Account nebst Zugangsdaten verwalten müssen und dabei schnell den Überblick verlieren können. Es ist in etwa so, als müsste man für jeden Absender einen eigenen Briefkasten vorhalten. Und ob man dann den richtigen Schlüssel findet, wenn der Förderbescheid der KfW in dem zugehörigen Einzelbriefkasten landet, ist so eine Sache.

Von der Idee, mit der De-Mail einen einzigen, (rechts-)sicheren elektronischen Briefkasten für die Bürger zu schaffen, in dem sie alle elektronische Post von ihrer Versicherung, dem Finanzamt, der Bank, dem Energieversorger und so weiter empfangen können, scheint sich besonders die SPD verabschiedet zu haben. So hat Scholz’ Parteifreundin und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht bereits Ende letzten Jahres einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der Gerichten die Einrichtung von Portalen vorschreibt, über welche Bürgerinnen und Bürger sich registrieren und dann kommunizieren sollen.

Das einzige Verfassungsorgan der Justiz, das Bundesverfassungsgericht, ist indessen bis heute nicht an den elektronischen Rechtsverkehr angeschlossen. Die Folgen sind mitunter abstrus, wie das Satiremagazin "extra3" kürzlich zu berichten wusste. Deutlicher kann ein Staatswesen seine Abneigung gegen eine Modernisierung eigentlich kaum zum Ausdruck bringen.

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(tig)