Diese KI könnte unsere Raumforschungsprioritäten festlegen – wenn wir sie lassen

Mit der diesen Monat kommenden "Decadal Survey" beginnt eine neue Ära unseres Blickes ins All. Ein Forscherteam fordert, Algorithmen die Ziele setzen zu lassen.

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(Bild: Ms. Tech)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Tatyana Woodall
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Alle 10 Jahre muss die US-Astronomie und ihre internationale Kollegenschaft eine Reihe schwieriger Entscheidungen treffen. Diese werden in einem Plan mit der Bezeichnung "Decadal Survey on Astronomy and Astrophysics" (Zehn-Jahres-Übersicht zu Astronomie und Astrophysik) dargelegt, einer Reihe von Studien, die von den US National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine erstellt werden, und die wissenschaftlichen Prioritäten in der Raumforschung für das nächste Jahrzehnt festlegen.

Der Decadal Survey hat seit den frühen 1960er Jahren die Weichen für große Sprünge in der Wissenschaft des Weltalls gestellt. Der siebte Bericht, Astro2020 genannt, wird bis Ende September erwartet. Wissenschaftliche Communitys, Fördereinrichtungen und sogar der Kongress stützen sich auf diese Berichte, um zu entscheiden, wo Zeit und Geld investiert werden sollen.

In früheren Decadal Surveys wurden große Projekte angekündigt, darunter der Bau und Start großer Weltraumteleskope oder die Erforschung extremer Phänomene wie Supernovae und schwarzer Löcher. Der letzte Forschungsplan mit dem Titel Astro2010 befasste sich auch mit dunkler Materie.

Da es sich bei der Survey um eine Konsensstudie handelt, müssen Forscher, die mit ihrem Projekt berücksichtigt werden wollen, ihre Vorschläge mehr als ein Jahr im Voraus einreichen. Alle Vorschläge werden dann begutachtet und gleichzeitig – dieses Mal mehr als 500 – der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die in diesem Jahr diskutierten Themen reichen von der Erforschung der Jupitermonde bis hin zur Entwicklung von Strategien zur Abwehr besonderer Ereignisse wie dem nahen Vorbeiflug großer Asteroiden und Kometen. Auch die Erdwissenschaften aus der Weltraumperspektive sind ein zentrales Thema.

Der Entscheidungsausschuss, der von einer Vielzahl kleinerer Gremien unterstützt wird, berücksichtigt eine riesige Menge an Informationen, um die Forschungsstrategie zu entwickeln. Obwohl die National Academies die endgültige Empfehlung des Komitees an die NASA erst in ein paar Wochen bekannt geben werden, sind die Wissenschaftler gespannt darauf, welche ihrer wichtigen Forschungsfragen in die Studie einfließen werden und welche nicht. "Der Decadal Survey hilft der NASA bei der Frage, wie sie die Zukunft der Raumforschung gestalten will, daher ist es sehr wichtig, dass sie gut informiert ist", sagt Brant Robertson, Professor für Astronomie und Astrophysik an der UC Santa Cruz.

Doch sind Ausschüsse und endlose Sitzungen wirklich das richtige Mittel? Zumindest ein Forscherteam möchte nun künstliche Intelligenz einsetzen, um den Prozess zu vereinfachen und möglicherweise sogar gerechter zu machen. Ihr Vorschlag bezieht sich nicht auf eine bestimmte Mission oder Fragestellung, sondern soll den Experten helfen, schwierige Entscheidungen darüber zu treffen, welche anderen Vorschläge womöglich Vorrang haben sollen.

Die Idee ist, eine zu schaffen, die darauf trainiert ist, Forschungsbereiche zu erkennen, die großes Wachstumspotenzial haben. "Wir wollten ein System, das einen Großteil der Arbeit der Decadal Survey übernimmt und die Wissenschaftler, die an dem Plan arbeiten, das tun lässt, was sie am besten können", sagt Harley Thronson, ein pensionierter leitender Wissenschaftler am Goddard Space Flight Center der NASA und Hauptautor des Papers zu dem Vorschlag.

Obwohl die Mitglieder der einzelnen Ausschüsse aufgrund ihres Fachwissens auf ihrem jeweiligen Gebiet ausgewählt werden, ist es quasi unmöglich, dass jedes Mitglied die Nuancen jedes wissenschaftlichen Themas erfassen kann. Die Zahl der astrophysikalischen Veröffentlichungen steigt jedes Jahr um 5 Prozent, so die Thronson & Co – das ist für jeden Teilnehmer eine riesige Menge, die er bearbeiten muss. Hier kommt die KI ins Spiel.

Die Entwicklung dauerte etwas mehr als ein Jahr, aber schließlich konnte Thronsons Team das System anhand von mehr als 400.000 Forschungsarbeiten trainieren, die in den zehn Jahren vor der Astro2010-Survey veröffentlicht wurden. Sie konnten der KI unter anderem beibringen, Tausende von Zusammenfassungen zu durchsuchen, um anhand von zwei- und dreiwortigen Gebietsbegriffen wie "Planetensystem" oder "extrasolarer Planet" sowohl Bereiche mit geringer als auch mit hoher Bedeutung zu identifizieren.

Dem White Paper der Forscher zufolge hat die KI sechs populäre Forschungsthemen der letzten zehn Jahre erfolgreich "zurückgespiegelt", darunter einen kometenhaften Aufstieg der Exoplanetenforschung oder der Beobachtung von Galaxien. "Einer der herausfordernden Aspekte der künstlichen Intelligenz ist, dass sie manchmal Dinge vorhersagt, mit etwas ankommt oder Analysen ausspuckt, die für den Menschen völlig überraschend sind", sagt Thronson. "Und das haben wir oft gesehen."

Thronson und seine Mitarbeiter sind der Meinung, dass der Lenkungsausschuss ihre KI einsetzen sollte, um die riesigen Textmengen, die das Gremium sichten muss, zu überprüfen und zusammenzufassen, so dass die endgültige Entscheidung dann von menschlichen Experten getroffen werden kann. Ihr Projekt ist nicht das erste, das versucht, KI zur Analyse wissenschaftlicher Literatur einzusetzen. Andere Systeme wurden bereits eingesetzt, um Wissenschaftler bei der Begutachtung der Arbeiten ihrer Kollegen zu unterstützen. Aber sollte man sie mit einer so wichtigen und einflussreichen Aufgabe wie der Decadal Survey betrauen?

Robertson von der UC Santa Cruz stimmt zu, dass die riesige Menge an Forschungsergebnissen in der Astronomie auf irgendeine Weise katalogisiert werden sollten. Aber er sagt, dass die Idee, KI zur Unterstützung des Decadal Survey einzusetzen, zwar interessant ist, es aber noch zu früh sei, um zu sagen, ob Wissenschaftler sich darauf verlassen sollten.

"Ich denke, es gibt einige wichtige Vorbehalte gegenüber dem Einsatz von maschinellem Lernen", sagt Robertson. Eines der größten Probleme bei jeder KI ist, wie gut der Mensch den Algorithmus und seine Ergebnisse versteht. Würde das Team in jedem Fall erkennen, warum die KI die Wahl zwischen zwei verschiedenen, aber ähnlichen Themen getroffen hatte? Und wären Menschen zu demselben Ergebnis gekommen?

"Als Wissenschaftler entwickeln wir unseren Ruf darüber, ob unsere Arbeit genau und korrekt ist oder nicht. Daher halte ich es für vernünftig, dass die Menschen dieselben Kriterien an die Ergebnisse dieser hochentwickelten maschinellen Lernalgorithmen anlegen", sagt Robertson. Thronson und sein Team haben bislang aber nicht versucht, die Ergebnisse der diesjährigen Survey vorherzusagen. Stattdessen konzentrieren sie sich darauf, herauszufinden, wo die nächsten großen Bereiche der Astronomie liegen.

Und dennoch: Automatisierte Werkzeuge werden bei den Decadal Survey wahrscheinlich noch einige Jahre lang nicht zum Einsatz kommen. Sollte das Komitee jedoch beschließen, KI in seinen Prozess zu integrieren, wäre dies ein neuer Weg für die Wissenschaftler, sich auf kommende Forschungsziele zu einigen. Bis dahin müssen Thronson, Robertson und Tausende anderer Astronomen einfach abwarten, was als Nächstes kommt – auf die altmodische Art: durch Selberlesen.

(bsc)