”Diablo 2 Resurrected” angespielt: Unverwüstlich oder Schnee von gestern?

”Diablo 2” ist zurück. Blizzard unterzieht das Action-Rollenspiel einer Frischzellenkur. Das könnte für glasige Augen sorgen.

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Diablo 2 Resurrected

(Bild: Blizzard / Screenshot: heise online)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Andreas Müller
Inhaltsverzeichnis

Blizzard hat den 20-Jahre-alten Klassiker ”Diablo 2” vor allem technisch aufgehübscht. Höhere Auflösungen, detailliertere Animationen und komplett modern gerenderte Storysequenzen lassen das alte Grundgerüst fast vergessen. Wer will, kann aber per Knopfdruck in den Klassik-Modus wechseln. Auch die Gamepad-Steuerung funktioniert. Wer sich für einen detaillierten Vergleich der Steuerungen und Grafik zwischen Playstation-5- und PC-Version interessiert, findet in unserem Livestream viele Antworten. (Ab Minute 1:08:03) Das Remaster enthält zusätzlich das Addon ”Lord of Destruction” und rundet die Neuauflage ab.

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”Diablo 2” ist ein Phänomen. Ende der 90er Jahre festigte das Action-Rollenspiel Blizzards Ruf als Nummer 1 am Computerspielemarkt. Kein anderes Studio konnte in dieser Zeit mit der Qualität und der Detailverliebtheit der Kalifornier mithalten. Rund 20 Jahre später ist vom einstigen Glanz wenig übrig geblieben. Seit dem Multiplayer-Shooter ”Overwatch” fällt Blizzard nichts Neues mehr ein. Zuletzt musste sich das Unternehmen sogar mit Missbrauchs- und Sexismus-Vorwürfen innerhalb der Firma herumschlagen. Kein Wunder, dass der Entwickler die alten, besseren Zeiten herbeisehnt. Die Neuauflagen der Klassiker wie ”Warcraft 3” oder jetzt ”Diablo 2: Ressurected” sollen es wieder richten.

Damals waren die ersten beiden ”Diablo”-Teile eine frische Brise im Rollenspielgenre. Im Nachhinein könnte der Begriff ”Monsterschnetzeln” für ”Diablo 2” erfunden worden sein. In der Iso-Perspektive wird nicht gerätselt oder durch Dialoge geklickt, sondern einfach draufgehauen. Schnell türmen sich vor Paladinen, Barbaren oder Zauberinnen die Monsterleichen. Das ist so eingängig wie simpel. Zusammen mit buchstäblich Tonnen von Loot weckt dieses Spielprinzip die Sammelsucht. Was damals neu und ”süchtigmachend” war, wurde inzwischen von etlichen Konkurrenten kopiert. ”Diablo 2” hat heute kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Stattdessen muss es sich mit erfolgreichen Konkurrenten wie ”Path of Exile” oder dem Indie-Hit ”Grim Dawn” um den Genre-Thron prügeln.

Die gute Nachricht: Wo ”Diablo 2” draufsteht, ist auch ”Diablo 2” drin – Blizzard hat außer ein paar technischen Veränderungen und ein paar Komfortfunktionen nichts geändert. So wird Gold jetzt automatisch aufgesammelt und Gegenstände können im Inventar miteinander verglichen werden. Das war’s aber auch schon. Nach einer imposanten Story-Sequenz ziehen wir mit unserem Helden los. Die Auswahl ist reichhaltig: vom kräftigten Barbar, der sich rücksichtslos in den Kampf stürzt über Totenbeschwörer, die Skelette für sich kämpfen lassen bis zu den mächtigen, aber fragilen Zauberinnen bietet das Spiel für jeden etwas.

Jede Spielklasse erfordert eine eigene Herangehensweise. Das Spielprinzip ist genauso eingängig wie damals. Es geht schnell zur Sache und über Taktiken braucht sich niemand auf dem Schwierigkeitsgrad ”Normal” Gedanken zu machen. Hauptsache, es befinden sich genug Lebens- und Manatränke im Inventar, die sich genau wie früher leider nicht automatisch aus dem Inventar nachfüllen. Nahkämpfer stürzen sich mitten ins Geschehen, während Magier oder Amazone aus dem Hintergrund agieren. Der Spielstil kann durch Fähigkeiten individualisiert werden: passive Fähigkeiten, wie eine Dornenrüstung wirft den Schaden zurück, Buffs sorgen für bessere Verteidigungswerte. Wer sich einmal verskillt hat, kann die Werte auch zurücksetzen lassen. Besonders auf höheren Schwierigkeitsgraden ist das von Vorteil.

Diablo 2 Resurrected angespielt (6 Bilder)

Alt, aber gut? ”Diablo 2: Ressurected” geht keine Risiken ein, um alte Fans nicht zu vergraulen.

”Diablo 2” ist deshalb nicht nur ein Spiel für Menschen mit einem schnellen Zeigefinger, sondern auch für Tüftler. Die Monster lassen ständig Ausrüstung fallen, mit der Spieler und Spielerinnen ihre Barbaren und Zauberinnen für die kommenden Aufgaben wappnen können. Fast jede Waffe oder jedes Rüstungsteil bietet besondere Eigenschaften. Selbst kleine Details, wie Boni bei Kälteschaden oder ein paar Punkte höhere Schadensresistenz können in manchen Situationen den Ausschlag geben. Wer will, kann sich auch einen Söldner oder eine Söldnerin anheuern, um sich die Sache leichter zu machen. Unabhängig davon, schafft das Spiel auch heute noch eine ausgewogene Mischung aus Zugänglichkeit und Herausforderung – Frust kommt hier nicht auf.

Die Stärken dieses Spielprinzips liegen in der Tüftelei und im relativ komplexen Charaktersystem, dass sich besonders in höheren Schwierigkeitsgraden bewährt. Jede Klasse hat die gleichen Chancen – ein großes Lob für das Balancing. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ”Diablo 2” auch der Inbegriff eines Loot-Grinders ist: Ausrüstung ist alles und der große Reiz liegt darin, sich immer wieder durch die gleichen Monsterhorden zu kämpfen, um am Ende ein besonders wertvolles Rüstungsset zu bekommen. Im Internet gibt es zudem etliche perfekte Ausstattungen für jeden Helden, weil die Community das bereits über Jahrzehnte ausgeklügelt hat. Das lässt Fan-Augen glänzen, ist aber mit Guide simpel und monoton. Damals wie heute ist es auch kein gutes Gamedesign, wenn man einen Endgegner wie Diablo besiegt, indem man mit einem Portal aus dem Kampf flüchtet, sich stärkt und dann zurückkehrt. Das ist vielleicht durch die Portalkosten teuer, hat aber nichts mit Können oder Finesse zu tun. Es ist Pay-to-Win ohne Echtgeld.

Kurz zum Online-Modus: Zum Start gab es massive Probleme. Verbindungsabbrüche oder der Verlust von Speicherständen waren keine Seltenheit. In der Zwischenzeit läuft es besser. Blizzard wird aber noch etwas Zeit brauchen, bis ”Diablo 2” auch hier seine Stärken ausspielen kann.

Machen wir uns nichts vor: Würde ”Diablo 2” heute in dieser Form als neues Spiel erscheinen, würde es nicht weiter auffallen. Dazu ist die Konkurrenz zu groß: ein ”Path of Exile” bietet Ähnliches, nur kostenlos; das Szenario von ”Grim Dawn” ist origineller und das hauseigene ”Diablo 3” ist zwar bunter, aber auch eine ganze Ecke spektakulärer. Dagegen punktet ”Resurrected” mit einem enormen Nostalgie-Faktor, denn es ist eben nicht nur irgendein Computerspielklassiker, sondern der Kulthit ”Diablo 2”, der heute noch auf zahlreiche Fans zählen kann. Auch wir konnten uns in den Anspielstunden von dem simplen, aber motivierenden Hack `n-Loot-Mix kaum losreißen. Kurz, ”Diablo 2: Ressurected” ist gelungener Fan-Service, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Jetzt sollte Blizzard aber die alten spielerischen Glanztaten in irgendeinem dunklen Kellergewölbe einmauern und sich endlich neuen Aufgaben widmen.

”Diablo 2” ist für Windows, PS4/5, Xbox One/Series und Nintendo Switch erschienen. Es kostet ca. 40 €. USK ab 16. Für unser Angespielt haben wir die Windows-Version gespielt.

(wie)