Missing Link: Wie steuert man das Raumschiff Erde?

Acht Biospherians betreten 1991 eine luftdicht verschlossene Anlage, die das Ökosystem Erde abbildet, und leben zwei Jahre darin. Rückblick auf ein Experiment.

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(Bild: IM_photo/Shutterstock.com)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Vor 30 Jahren durchschritten vier Frauen und vier Männer in schicken blauen Uniformen, die an Astronauten erinnerten, eine Druckluftschleuse. Nachrichtensender aus aller Welt verfolgten die Prozedur, mit der die Truppe am 26. September 1991 Teil der Biosphere 2 wurde. Während wir auf der Erde in der Biosphere 1 weiterlebten, ackerten und rackerten die Bewohner der Biosphere 2 als Biospherians genau 2 Jahre und 20 Minuten lang in einem luftdicht verschlossenen Bau, der für 200 Millionen Dollar errichtet wurde.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Der Bau beherbergte fünf irdische Ökosysteme von der Wüste bis zum Dschungel. In diesen lebend und arbeitend sollten die Menschen erkunden, wie das Leben in einem vollkommen autarken Kreislaufsystem funktionieren kann, dem nur zwei Arten von Energie zugeführt wurden, nämlich Licht und Elektrizität. Der Multimillionär Edward Bass, der das Projekt finanziert hatte, verabschiedete die Truppe: "Gute Reise und fliegt euer Raumschiff ordentlich, damit die Menschen in Zukunft das Raumschiff Erde besser steuern!"

Nach zehnjähriger Planung und sechsjähriger Bauzeit ging das "Raumschiff" Biosphere 2 in der Wüste Arizonas unter enormem Interesse der Medien auf seine Reise. Auf der Größe von zwei Fußballfeldern beziehungsweise 13.000 Quadratmetern erstreckte sich eine Glas-Konstruktion mit Lichtterrassen, die an die Bauten der Mayas erinnerte, durchsetzt mit Kuppel-Gebäuden, die die geodätischen Dome von Buckminster Fuller zitierten. In einem Turm war eine Bibliothek mit tausenden von Büchern über die simulierten Ökosysteme, mithin der einzige Raum, in dem sich die Menschen zurückziehen konnten.

Rechts und links vom Gebäudekomplex gab es zwei riesige geodätische Kissen. Dies waren die Lungen, die das Leben in den Gebäuden mit Sauerstoff versorgen sollten. Die "Biome" Wüste, Savanne, Ozean, Marsch oder Dschungel, die in der Anlage nachgebaut waren, benötigten Luft. 3800 sorgfältig ausgewählte Pflanzen- und Tierarten bevölkerten die Biosphere 2, wobei ein Drittel der Fläche eine ganz normale Landwirtschaft enthielt: Die Biospherians mussten ihre Nahrung anbauen und züchten, ernten und verarbeiten. Zum Start des Projektes fabrizierten Funk und Presse schöne Geschichten, dass hier das Leben auf dem Mars getestet werde.

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Dabei ging es den acht Teilnehmern viel mehr darum, unterschiedliche Ökosysteme der Erde zu untersuchen. Sie selbst nannten sich Biosphärianer, die nach zwei Jahren in der Biosphere 2 in die Biosphere 1 zurückkehrten und dort an ökologischen Projekten weiterarbeiteten: "In Biosphere 2 kämpften wir zwei Jahre lang gegen den ständig steigenden CO2-Anteil, in Biopshere 1 sind alle Menschen Teil des gewaltigen Experimentes der Erde, den CO2-Ausstoß zu verringern", so die Teilnehmerin Abigail "Gaie" Alling im Jahre 2020.

Der Millionärssohn Edward Bass, der das Projekt finanzierte und die angenommenen Unterhaltungskosten von 10 Millionen Dollar pro Jahr vorstreckte, war in seiner Jugend mit Ideen der Gegenkultur aufgewachsen und hatte Projekte wie das der Instant Citys finanziert. Zeitweilig lebte Bass auf der Synergia Ranch von John Polke Allen, der später der geistige Vater von Biosphere 2 werden sollte. Allen erfand dort das "Theatre of All Possibilities", später umbenannt zum Institute of Ecotechnics, wo Allen als Direktor fungierte. Er ließ das Forschungsschiff Heraclitus bauen, das seitdem die Weltmeere bereist. Allen war mit Buckminster Fuller befreundet und hatte 1969 an Fullers Operating Manual for Spaceship Earth mitgearbeitet.

Noch mehr aber war Allen vom Russen Wladimir Wernadski beeinflusst, der als "Darwin der Erdgeschichte" die Geologie, Geochemie und Radiogeologie prägte. Um 1931 erkannte Wernadski, dass die Menschheit mehr Erdmassen bewegt als die Erde selbst mit ihren natürlichen geologisch-physikalischen Prozessen als Biosphäre. Dafür prägte er den Begriff der Noosphäre, der später in anderen Kontexten eine Rolle spielte. Inzwischen hat sich eine andere Denkweise entwickelt und man spricht vom Anthropozän als einer Periode, in der der Mensch der Erde seinen Stempel aufdrückt. Allen verfasste eine wissenschaftliche Beschreibung des Biosphere-Projektes (PDF-Datei).

Der Biosphere-2-Komplex in Oracle, Arizona, ist eine einzigartige, groß angelegte experimentelle Forschungseinrichtung mit sieben simulierten Ökosystemen.

(Bild: The University of Arizona)

Für die Biospherians entpuppte sich das Leben in der Biosphere 2 zunächst einmal als harter Kampf um das Überleben, wie es die Biospherians Abigail Alling und Mark Nelson in ihrem Biosphere-Tagebuch "Life under Glass" berichteten. Als vollkommen autarkes System mussten Luft und Wasser in einem Kreislauf zirkulieren, nur die Sonnenenergie und die Elektrizität wurden von außen hinzugeführt. Das bedeutete unter anderem der Verzicht auf Papier in jeder Form, vom Toilettenpapier über Tampons bis zum papierlosen Büro. Von morgens sechs Uhr bis zum Abendessen um 19 Uhr wurde gearbeitet, entweder in den Biomen, auf den 18 landwirtschaftlichen Feldern oder unten in der Technosphere, wo die Leitungen lagen und Pumpen die irdische Zirkulation von Wasser/Regen und Luft nachbildeten.

80 verschiedene Pflanzensorten hatte man zu ihrer Ernährung ausgewählt, doch nicht alle gediehen wie geplant. Besonders problematisch war der Anbau von Weizen und Kartoffeln. Es gab Missernten, eingeschleppte Schädlinge vernichteten Sojabohnen und Kartoffeln. 40 Kilogramm Futter mussten täglich an die Schweine, Hühner und Ziegen verfüttert werden, damit wenigstens ab und an Milch und Eier oder Fleisch die karge Nahrung aufbesserten. Die Biospherians waren praktisch immer hungrig. Darunter litt die eigentliche Forschungsarbeit in den Labors. Vor dem Eintritt in die Biosphere 2 waren rund 60 Forschungsvorhaben angemeldet worden, von denen nur ein Bruchteil durchgeführt werden konnte.

In einer der wenigen wissenschaftlichen Auswertungen über Biosphere 2 präsentierten die Biologen Joel Cohen und David Tilman im Jahre 1996 ein ziemlich negatives Bild. Ihre Analyse der damals noch existierenden Daten ergab, dass alle bestäubenden Insekten binnen kürzester Zeit ausstarben. Von 25 Wirbeltieren blieben am Ende 19 übrig. Die dominanten Bewohner waren neben den Kakerlaken eine aggressive Ameisenart, die zahlreiche Pflanzen vernichtete. Als gesicherte Erkenntnis fanden die beiden Forscher, wie aus einer Wüste eine Steppe werden konnte und wie das Korallenriff in dem Ozean-Biom unter dem Einfluss sehr hoher Kohlendioxid-Werte überleben kann, sofern es von Algen freigehalten wird (das war der Putzarbeit der Biospherians geschuldet). Ihr wissenschaftliches Fazit: die angelegten Biome waren zu klein, um eine wirklich funktionierende Erde nachzubilden, die Auswahl der Pflanzen war falsch bzw. erfolgte nicht nach wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen. In Bezug auf die vermeintliche, von den Medien herbei geschriebene Weltraumtauglichkeit des Projektes im Sinne eines Überlebens auf dem Mars verwiesen die Forscher auf das (viel kleiner dimensionierte) sowjetrussische Projekt BIOS-3.