Wann ist ein Fernseher kein Fernseher mehr?

Handelt es sich bei dem brandneuen Glass TV von Sky überhaupt um einen Fernseher? Bob Raikes hat da seine Zweifel.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Robert Raikes
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Jüngst hat die britische Comcast-Tochtergesellschaft Sky UK ihren neuen Glass TV vorgestellt. Aber ist das Glass TV wirklich ein TV-Gerät? Auf einer Website, die sich mit TVs befasst, heißt es: "Das sind ganz gewöhnliche Fernseher". Dem kann ich nicht zustimmen.

Bob Raikes

Bob Raikes ist Gründer der Meko Ltd., ein Marktforschungsunternehmen aus Großbritannien. Dort ist Bob Herausgeber und Chefredakteuer von Display Daily, ein täglicher Blog und jeder Menge News rund um die Displaytechnik.

Seit den Anfängen der TV-Industrie war die Trennung zwischen Bildquelle und Bildschirm Teil der Vereinbarung. Das "'tele" im Namen kommt aus dem Griechischen und bedeutet "fern". Das deutsche Wort für ein Television ist Fernseher (wobei ich mich frage, warum die Franzosen, die so gerne ihre eigenen Begriffe haben, nicht loinvoir oder ähnliches haben).

Um 1969 half ich beim Aufräumen einer Scheune für eine gemeinnützige Veranstaltung und fand dort ein Buch aus dem Jahr 1934: "Newnes Television and Short Wave Handbook". Ich fand es faszinierend und der Scheunenbesitzer sagte, ich könne es behalten. Ich habe es immer noch. Das Fernsehen wurde darin nur als eine Erweiterung des Radios gesehen. Die Kathodenstrahlröhre war noch ein recht exotisches wissenschaftliches Gerät, und das Buch enthielt sogar eine Anleitung, wie man mit Motoren und Spiegeln einen eigenen Fernseher bauen konnte. Aber man brauchte einen Tuner, um ein Signal zu empfangen, denn Videokameras waren seinerzeit ebenfalls noch sehr exotische Geräte.

Anleitung zum Bau eines eigenen Fernsehers ohne Röhre aus Newnes Television & Shortwave Handbook 1934.

Viele Jahre lang war Funk die einzige Möglichkeit, Fernsehsignale ins Haus zu bekommen. Man brauchte eine Antenne. Beim Kabelfernsehen benötigt man zwar keine Antenne, aber es war immer noch Funk, nur wurde es über ein Koaxialkabel und nicht über die Luft übertragen. (Kabelfernsehen, das über Glasfaserkabel nach Hause geliefert wird, hat kein Funkelement, ist aber noch nicht universell. Der letzte Teil meines Kabelanschlusses ist immer noch RF über Coax). In den 60er Jahren kamen Videorecorder auf, die aber bis zum Erscheinen des kostspieligen U-Matic-Systems von Sony im Jahr 1970 nur Rundfunksignale aufzeichneten. Philips und andere entwickelten weitere Systeme, doch erst VHS ermöglichte es, Videos ohne Rundfunkübertragung in viele Haushalte zu bringen, und das zu einem massenmarkttauglichen Preis.

Dann kam die Satellitenübertragung: Satellite Broadcast Ltd. (später Sky One) wurde im April 1982 eingeführt. Aber auch dieses System basierte auf Funksignalen, die von einem Satelliten zurückgeworfen wurden. In Großbritannien avancierte die Sky-Schüssel für den Empfang des Dienstes in einigen Gemeinden zum Statussymbol – und in malerischen englischen Dörfern war sie eher Gegenstand des Abscheus.

Es gab also drei Möglichkeiten für den Fernsehempfang: eine herkömmliche Antenne, ein Kabelanschluss und Satellit. Die Hersteller von Fernsehgeräten entwickelten Geräte, die alle drei Arten von Tunern enthielten. Es war eine echte Herausforderung, dafür zu sorgen, dass diese in allen Regionen funktionierten, in denen ein Fernseher verkauft werden konnte. Ich erinnere mich an Erzählungen über Reisen von Fernsehingenieuren in Kleinbussen, die mit Geräten beladen waren: Sie wollten sicherstellen, dass neue Tuner-Designs in den verschiedenen Ländern, in denen das Gerät verkauft werden sollte, ordnungsgemäß funktionieren würden.

Die Entwicklung eines Fernsehgeräts, insbesondere in dem äußerst komplexen europäischen Rundfunkumfeld, erforderte eine Menge Technologie, Know-how und Erfahrung. Das war eine große Hürde für potenzielle Marktteilnehmer aus dem außereuropäischen Ausland – und wohl auch der Grund, warum Vizio oder irgendeine andere "neue" TV-Marke auf dem europäischen Fernsehmarkt nie erfolgreich waren.

Warum brauchten die Geräte alle drei Tuner? Fernsehkäufer sind sehr konservativ. Sie dachten bisher, sie würden ein Gerät für zehn Jahre (oder länger) kaufen. Und sie wollten keines, das bei einem Wechsel des TV-Anbieters obsolet werden könnte. Also bauten die Hersteller alle Tuner in den Fernseher ein.

In einigen Ländern wurde ab dem Jahr 2000 IPTV eingeführt, bei dem Fernsehen über ADSL bereitgestellt und durch digitale Komprimierungstechnik ermöglicht wird. Dabei wurde kein Funk verwendet, aber ich glaube nicht, dass jemals ein Fernsehgerät mit integrierter IPTV-Technologie hergestellt wurde – die Übertragung erfolgte immer über eine externe Settop-Box.

Sky Glass TV: Ein Fernsehgerät, das keine TV-Signale empfängt.

Eines Tages stellte ich fest, dass ich zwar einen Flachbildfernseher mit vielen Tunern besaß, diese aber nie benutzt hatte. Als ich meinen ersten HD-Flachbildfernseher bekam, stieg ich sofort auf eine Sky-Box um, die über HDMI angeschlossen wurde. Mein DVD-Player wurde über HDMI verbunden, ebenso meine Spielkonsole. Obwohl in meinem Haus ein Antennensystem mit mehreren Ausgängen verkabelt war, habe ich es nie benutzt.

Zu dieser Zeit führte der Herausgeber von Display Daily, Meko Ltd, umfangreiche Marktforschungen auf dem TV-Markt durch und wir sprachen regelmäßig mit den TV-Herstellern und OEMs. Ich habe diesen Kunden oft vorgeschlagen, dass es auf dem Markt Platz für ein Gerät mit einem wirklich großartigen Bildschirm gibt, bei dem die Tuner einfach weggelassen werden und das viele HDMI-Anschlüsse besitzt. Man könnte dann eine separate Settop-Box oder einen HDMI-Dongle verwenden, wenn man wirklich TV-Empfang wünscht. Auf diese Weise entstanden übrigens die ersten Plasma-TVs.

Einige Gerätehersteller hielten das für eine interessante Idee, aber der Widerstand der Einzelhändler in Europa (und das waren damals wahrscheinlich nur drei wichtige Einzelhändler: Dixons, MediaMarkt und FNAC) war enorm. Die Händler wollten keinen Fernseher ohne Tuner verkaufen, weil sie befürchteten, dass die Nutzer später zurückkommen und sich beschweren würden, dass sie kein Fernsehen empfangen konnten.

Der Sky Glass TV sieht aus wie ein Fernseher, trägt aber ziemlich dick auf, um die gesamte Elektronik und die Soundbar unterzubringen.

Für einen kurzen Moment sah es so aus, als könnte es sogar noch besser laufen, denn es hieß, dass ein Gerät ohne Tuner nach den Zollbestimmungen kein Fernsehgerät sei und daher bei der Einfuhr nach Europa nicht mit 14 Prozent verzollt werden müsse. Monitore für die IT waren davon ausgenommen. Die Europäische Kommission änderte jedoch ihre Definition, um dies zu verhindern – ging dabei aber zu weit und erhob den Zollsatz von 14 Prozent nicht nur auf Fernsehgeräte, sondern auch auf viele echte Monitore. Das ist eine lange Geschichte, die schließlich in einem WTO-Rechtsstreit gipfelte, den die Kommission verlor.

Wie dem auch sei, ohne die Unterstützung der Einzelhändler haben die Gerätehersteller die Idee nicht aufgegriffen, obwohl MMD, der Lizenznehmer für Philips-Monitore und Teil von TPV, seine großen Momentum-Monitore für den Einsatz im Wohnzimmer bewarb, allerdings ohne eigene "smarte" Funktionen, um Streaming-Dienste direkt anzuzeigen.

Die große Veränderung der letzten Jahre war natürlich das Videostreaming übers Internet ohne die für IPTV erforderlichen, abgeschotteten Netzwerke. Das Fernsehen wird immer häufiger über Dienste wie Prime oder Netflix (und andere) empfangen. Sky hat seinen eigenen Dienst Sky Now, um Inhalte für diejenigen zu streamen, die keinen Satellitenanschluss besitzen, und Sky Deutschland stellt eine Box für den Zugang zu Sky-Inhalten über das Internet zur Verfügung (obwohl Sky UK dies derzeit nicht anbietet).

Das Sky Glass TV integriert die Box (und einen DVB-T2-Receiver, der laut Sky aber nur für Notfälle gedacht ist). Obwohl dies nicht in den Spezifikationen aufgeführt ist, gibt es Berichte, dass das Gerät über eine Festplatte fürs Videorecording (PVR) verfügt und mit Sky-"Pucks" verbunden werden kann, um im Haus Inhalte zu verteilen. Das Gerät soll in der Lage sein, Programmführer von Streaming-Diensten und von Sky zu integrieren. So ist zum Beispiel Gray's Anatomy auf Amazon Prime, Disney + und Sky verfügbar und Sky Glass soll diese Dienste in einer einzigen Wiedergabeliste kombinieren.

Das Glass TV nutzt ein lokal dimmbares FALD-Backlight; es sollte damit satte Kontraste für HDR-Videos erzielen.

(Bild: Sky UK)

Die Geräte, die von TP Vision hergestellt werden – obwohl früher gemunkelt wurde, dass sie von Hisense stammen –, scheinen ein vernünftiges Display zu haben. Wenn man dem Bild auf der Website glauben kann, besitzt es ein Backlight mit 16 × 28 separat dimmbaren Segmenten, also 448 Zonen für Full Array Local Dimming (FALD), farbverstärkende Quantenpunkte (QD) und ein VA-LCD-Panel mit 60 Hz – und falls nicht, wird das Unternehmen wahrscheinlich Ärger mit den britischen Werbebehörden bekommen. Die Glass-Geräte verfügen über integrierten Dolby Atmos-Sound und werden in den Größen 43", 55" und 65" in fünf verschiedenen Farben erhältlich sein.

Der Glass Fernseher kann bei Sky direkt oder über den Fachhandel gekauft oder mit einem monatlichen Vertrag erworben werden. (Dank der direkten Beziehung zu seinen Kunden hätte Sky den Betrieb auch fortsetzen können, wenn die Einzelhändler beschlossen hätten, das Gerät nicht zu verkaufen. Das ermutigt die Einzelhändler natürlich dazu, mitzumachen, da ihnen sonst ein Geschäft entgehen würde). Voraussetzung für den Kauf des Geräts ist ein Sky-Vertrag, der mindestens 26 Pfund (30 €) pro Monat kostet, und eine Breitbandverbindung von mindestens 10 MBit/s voraussetzt. Die Geräte kosten 649 Pfund (765 €) für das kleinere 43-Zoll-Modell, 849 Pfund (1000 €) für das 55-Zoll-Modell und 1049 Pfund (1236 €) für das 65-Zoll-Modell. Das ist nicht günstig, und der angesehene Kommentator Chris Forrester nannte seinen Bericht "Ugliest TV Ever?".

Insbesondere wenn es gegen Samsungs QLEDs antritt, ist das Glass TV alles andere als billig. Aber es integriert Dolby Atmos-Lautsprecher, was für andere Geräte hinzu käme. Atmos wird wahrscheinlich zusätzliche Kosten verursachen, außerdem sollte das Glass TV erhebliche CPU-Leistung und viel Speicherplatz bieten. Diese Zusatzkosten könnte einige oder sogar alle Einsparungen durch den Wegfall der Tuner auffressen.

Dieser Beitrag erschein zuerst auf Display Daily.

(uk)