BGH: Pressespiegel dürfen elektronisch verbreitet werden

Nach höchstrichterlicher Einschätzung unterscheiden sich elektronische Auszüge aus Zeitungen nicht wesentlich von denen auf Papier.

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Von
  • Tim Gerber

Spitzenpolitiker wie Konzernlenker haben kaum Zeit für Zeitungslektüre -- sie lassen lesen. Zur allmorgendlichen Lagebesprechung bekommen sie ausgewählte Artikel in Kopie von ihrer Pressestelle vorgelegt. Die Kopien sind urheberrechtlich erlaubt, auch wenn es sich dabei nicht um Privatkopien handelt. In Paragraph 49 des Urheberrechtsgesetzes findet sich dafür eigens ein so genanntes "Pressespiegelprivileg". Behörden und Unternehmen, die solche Pressespiegel an ihre Mitarbeiter verteilen, zahlen lediglich eine Pauschale an die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort).

Die Verwertungsgesellschaft hatte vor einigen Monaten eine Vergütungsvereinbarung mit einem Unternehmen abgeschlossen, das seinen Pressespiegel nicht auf Papier, sondern -- zeitgemäß -- per E-Mail verteilt. Dagegen klagte die Berliner Zeitung, denn das Privileg beziehe sich nicht auf solche digitalen Kopien, argumentieren die Zeitungsverleger, die die fällige Vergütung durch alle Instanzen für sich beanspruchen und mit dieser Argumentation bis zum Oberlandesgericht Hamburg Erfolg hatten.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Entscheidung in einem gestern verkündeten Urteil aufgehoben. Elektronische Pressespiegel unterschieden sich nicht wesentlich vom Pressespiegel in Papierform, solange gewisse Bedingungen eingehalten seien, erklärten die Richter. Dabei ging der für Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat davon aus, dass auch Pressespiegel, die auf herkömmliche Weise, also in Papierform, verbreitet werden, schon heute häufig durch Einsatz eines Scanners elektronisch erstellt werden. Die vom Oberlandesgericht zu Recht angeführte Gefahr des Missbrauchs -- vor allem die Gefahr, dass im Zuge der elektronischen Erstellung des Pressespiegels gleichzeitig ein zentrales elektronisches Archiv angelegt werde -- bestehe unabhängig davon, ob der Pressespiegel in Papierform oder elektronisch übermittelt werde.

Der Besorgnis, der Endabnehmer könne aus den ihm elektronisch übermittelten Pressespiegeln ein eigenes dezentrales Archiv aufbauen, lasse sich dadurch begegnen, dass die Pressespiegel nicht als Text-, sondern als grafische Datei übermittelt würden. Außerdem müsse der Kreis der Bezieher überschaubar sein. Deshalb komme eine elektronische Übermittlung nur für betriebs- oder behördeninterne Pressespiegel in Betracht, nicht dagegen für kommerzielle Dienste, die Pressespiegel für andere anbieten und erstellen.

Mehrere große Zeitungsverlage hatten vor wenigen Monaten selbst versucht, der VG Wort mit einem solchen kommerziellen Pressedienst das Wasser abzugraben, waren damit aber beim Patent- und Markenamt aufgelaufen. Das Oberlandesgericht Hamburg muss nun beurteilen, ob die vom BGH festgelegten Grenzen für elektronische Pressespiegel im Falle des Frankfurter Unternehmens gewahrt sind.

Das Urteil stehe nicht im Widerspruch zur EU-Richtlinie über digitales Copyright, wurde heise online aus Gerichtskreisen bestätigt. Im Gegenteil biete deren Umsetzung in deutsches Recht dem Gesetzgeber die Möglichkeit, hier noch weitergehende Klarheit zu schaffen. Dafür aber gebe es derzeit keine Anzeichen -- welcher Gesetzgeber lege sich schon gerne mit den meinungsmächtigen Zeitungsverlegern an. (tig)