Wie virtuelle Wesen ihren Körper verändern, um Probleme zu lösen

Eine neue KI-Forschungsarbeit zeigt, dass sogenannte Unimals besser mit ihrer Umwelt umgehen können als Objekte mit einer festgelegten Körperkonfiguration.

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(Bild: Agrim Gupta, Silvio Savarese, Surya Ganguli & Li Fei-Fei)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Will Douglas Heaven
Inhaltsverzeichnis

Eine scheinbar unendliche Vielfalt virtueller Kreaturen huscht über das Display, kämpft sich durch einen Hindernispark oder schleppt Bälle zu einem vorgegebenen Ziel. Diese Tiere im Computer sehen aus wie halbfertige Krabben, die aus Würstchen geformt sind – oder vielleicht das "Thing", jene körperlose Hand aus der "Addams Family". Doch diese "Unimals", wie sie von den Forschern genannt werden (das steht für "Universal Animals", also "universelle Tiere"), könnten der KI helfen, eine General-Purpose Intelligence zu entwickeln, also eine äußerst anpassungsfähige künstliche Intelligenz, nach der die Forschung seit Jahrzehnten strebt.

Agrim Gupta von der Stanford University und seine Kollegen (darunter Fei-Fei Li, der das Stanford Artificial Intelligence Lab mit leitet und für die Entwicklung der Bilddatenbank ImageNet verantwortlich war) nutzten die Unimals, um zwei Fragen zu untersuchen, die in der KI-Forschung oft übersehen werden: wie Intelligenz mit der Art und Weise zusammenhängt, wie Körper aufgebaut sind – und wie neue Fähigkeiten durch die darwinsche Evolution entwickelt und erlernt werden können.

"Die Arbeit ist ein wichtiger Schritt in einem jahrzehntelangen Versuch, die Beziehung zwischen Körper und 'Gehirn' bei Robotern besser zu verstehen", sagt Josh Bongard, der an der Universität von Vermont evolutionäre Robotik untersucht und nicht an der Arbeit beteiligt war. Wenn Forscher Intelligenz in Maschinen nachbilden wollen, könnten sie dabei Dinge übersehen, sagt Gupta. In der Biologie entsteht Intelligenz durch das Zusammenspiel von Körper und Geist. Aspekte des Körperbaus – wie die Anzahl und Form der Gliedmaßen – bestimmen, was Tiere tun und was sie lernen können. Man denke nur an das Fingertier, einen Lemuren, der einen verlängerten Mittelfinger entwickelt hat, um tief in Astlöchern nach Larven zu suchen.

Die künstliche Intelligenz konzentriert sich in der Regel nur auf den geistigen Teil, d. h. auf die Entwicklung von Maschinen für Aufgaben, die auch ohne Körper bewältigt werden können. Dazu gehört die Verwendung von Sprache, das Erkennen von Bildern und das Spielen von Videospielen. Doch dieses begrenzte Repertoire dürfte bald veraltet sein. Wenn man KI in einen Körper packt, der an bestimmte Aufgaben angepasst ist, könnte es für sie einfacher werden, eine Vielzahl neuer Fähigkeiten zu erlernen. "Eines haben alle intelligenten Tiere auf diesem Planeten gemeinsam: ihren Körper", sagt Bongard. Diese "Verkörperung" des Geistes sei die einzige Hoffnung der Menschheit, "Maschinen zu bauen, die sowohl intelligent als auch sicher sind".

Unimals haben einen Kopf und mehrere Gliedmaßen. Um herauszufinden, was sie tun können, entwickelte das Team eine Technik namens Deep Evolutionary Reinforcement Learning (DERL). Die Unimals werden zunächst mit Hilfe des Verstärkungslernens darauf trainiert, eine Aufgabe in einer virtuellen Umgebung zu erfüllen, z. B. über verschiedene Arten von Gelände zu laufen oder ein Objekt zu bewegen. Die virtuellen Tiere, die am besten abschneiden, werden dann ausgewählt und "mutieren". Ihre Nachkommen werden wieder in die Umgebung gesetzt, wo sie dieselben Aufgaben von Grund auf neu lernen. Dieser Prozess wiederholt sich Hunderte von Male: mutieren und lernen, mutieren und lernen.

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Die Mutationen, denen die Unimals unterworfen sind, umfassen das Hinzufügen oder Entfernen von Gliedmaßen oder die Veränderung der Länge oder Flexibilität. Die Zahl der möglichen Körperkonfigurationen ist enorm: Es gibt 10^18 einzigartige Varianten mit 10 Gliedmaßen oder weniger. Im Laufe der Zeit passen sich die Körper dieser virtuellen Eintagsfliegen an verschiedene Aufgaben an. Einige Unimals haben sich so entwickelt, dass sie sich über flaches Gelände bewegen können, indem sie sich nach vorne fallen lassen; andere haben einen echsenähnlichen Watschelgang entwickelt; wieder andere haben Zangen entwickelt, um eine Kiste zu greifen.

Die Forscher testeten auch, wie gut sich die weiterentwickelten virtuellen Tiere an eine Aufgabe anpassen konnten, die sie zuvor noch nicht kannten, ein wesentliches Merkmal allgemeiner Intelligenz. Diejenigen, die sich in komplexeren Umgebungen mit Hindernissen oder unebenem Gelände entwickelt hatten, lernten schneller neue Fähigkeiten, z. B. einen Ball zu rollen, anstatt ihn wie eine Kiste zu schieben. Die Forscher sahen auch, dass DERL Körperformen auswählte, die schneller lernten, obwohl es keinen Selektionsdruck dafür gab. "Ich finde das spannend, weil es zeigt, wie eng Körperform und Intelligenz zusammenhängen", sagt Gupta.

"Es ist bereits bekannt, dass bestimmte Körperformen das Lernen beschleunigen", sagt Bongard. "Diese Arbeit zeigt, dass die KI nach solchen Körpern suchen kann." Bongards Labor hat Roboterkörper entwickelt, die an bestimmte Aufgaben angepasst sind, wie z. B. eine schwielenartige Beschichtung der Füße, um die Abnutzung zu verringern. Gupta und seine Kollegen erweitern diese Idee, sagt Bongard. "Sie zeigen, dass der richtige Körper auch die Veränderungen im Gehirn des Roboters beschleunigen kann."

Letztlich könnte diese Technik die Art und Weise, wie wir über den Bau physischer Roboter denken, komplett verändern, sagt Gupta. Anstatt mit einer festen Körperkonfiguration zu beginnen und den Roboter dann für eine bestimmte Aufgabe zu trainieren, könnte man DERL verwenden, um den optimalen Körperbau für die Aufgabe im Rechner zu entwickeln und diesen dann so herzustellen.

Guptas Unimals sind Teil eines umfassenden Wandels in der Art und Weise, wie Forscher über KI denken. Anstatt die Systeme für bestimmte Aufgaben zu trainieren, wie z. B. das Spielen von Go oder die Analyse eines medizinischen Scans, beginnen Forscher damit, Bots in virtuelle Spielplätze zu setzen – wie z. B. POET, die virtuelle Versteckspiel-Arena von OpenAI, oder den virtuellen Sandkasten XLand von DeepMind – und sie lernen zu lassen, wie sie mehrere Aufgaben in sich ständig verändernden, offenen Trainings-"Dojos" lösen können. Anstatt eine einzelne Aufgabe zu meistern, erlernen die auf diese Weise trainierten KIs allgemeine Fähigkeiten. Für Gupta ist die freie Erkundung der Schlüssel für die nächste Generation von KIs. "Wir brauchen wirklich offene Umgebungen, um intelligente Agenten zu schaffen", sagt er.

(bsc)