Präsenz von Wikingern in Amerika aufs Jahr genau datiert

Wikinger waren vor Kolumbus in Amerika. Forscher wollen nun den genauen Zeitpunkt herausgefunden haben, zu dem sie sich dort ansiedelten.

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Rekonstruiertes Wikingerhaus in der Nähe des Ausgrabungsgeländes von L’Anse aux Meadows.

(Bild: Glenn Nagel Photography)

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Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Vor genau 1000 Jahren, im Jahr 1021, haben Wikinger auf Neufundland Bäume gefällt. Einem internationalen Forschungsteam ist es jetzt gelungen, den schon länger bekannten Erstkontakt zwischen Europa und Amerika aufs Jahr genau zeitlich zu bestimmen. Dabei half ein ungewöhnlich starker Anstieg der kosmischen Strahlung im Jahr 993.

Die Überreste der Wikingersiedlung L’Anse aux Meadows an der Nordspitze der kanadischen Insel Neufundland wurden im Jahr 1961 durch die norwegischen Archäologen Helge und Anne-Stine Ingstad entdeckt und bislang auf die Zeit um das Jahr 1000 datiert. Wie das von Michael W. Dee (University of Groningen) geleitete Team in Nature berichtet, konnte der Zeitpunkt der Besiedelung auch mithilfe der Radiokarbonmethode nicht genauer bestimmt werden.

Die Daten zeigten eine große Variationsbreite, die teilweise auf Ungenauigkeiten der Messmethoden in den 1960er- und 1970er-Jahren zurückzuführen seien. Sie hingen aber auch damit zusammen, dass das biologische Alter der untersuchten Gegenstände zum Zeitpunkt ihrer Nutzung bereits bis zu mehrere hundert Jahre betragen haben könnte.

Diese Begrenzungen haben die Wissenschaftler jetzt durch die Kombination der Radiokarbonmethode mit der Dendrochronologie, der Altersbestimmung anhand der Jahresringe in Bäumen, überwunden. Das war möglich, weil es zeitnah zur Errichtung der Siedlung einen außergewöhnlichen Anstieg der kosmischen Strahlung gegeben hat.

Die kosmische Strahlung schafft gewissermaßen erst die Voraussetzung für die Radiokarbonmethode, da sie durch Wechselwirkung mit kohlenstoffhaltigen Molekülen wie Kohlendioxid in den oberen Schichten der Erdatmosphäre permanent das radioaktive Kohlenstoffisotop C-14 erzeugt. Da radioaktive Elemente mit einer spezifischen Rate, der Halbwertszeit, zerfallen, lässt sich das Alter von Gegenständen, in denen Kohlenstoff dauerhaft gebunden ist, anhand des Verhältnisses von C-14 zum stabilen Isotop C-12 bestimmen: Je geringer der Anteil von C-14, desto älter ist das Objekt. Die Halbwertszeit von C-14 beträgt 5730 ±40 Jahre, eine aufs Jahr genaue Altersbestimmung ist mit dieser Methode nicht möglich.

Während die Entstehungsrate von C-14 über die meiste Zeit weitgehend konstant ist, gab es in der Vergangenheit jedoch Jahre, in denen sie auf einmal steil anstieg. Der bislang stärkste dieser Anstiege ereignete sich in den Jahren 774/775, etwas schwächere wurden für die Jahre 660 v. Chr. und für 993/994 nachgewiesen und aufgrund eines gleichzeitig beobachteten Anstiegs von radioaktivem Beryllium (Be-10) auf starke Sonnenstürme zurückgeführt. Der C-14-Anstieg von 993 ließ sich nun für eine exakte Datierung nutzen, weil er in den Jahresringen von drei hölzernen Gegenständen identifiziert werden konnte, die mit Metallwerkzeugen bearbeitet worden waren. Solche Hilfsmittel standen den Ureinwohnern Amerikas damals nicht zur Verfügung. Die Datierung wird dadurch erhärtet, dass die Gegenstände von verschiedenen Bäumen stammen. Für zwei ließ sich durch mikroskopische Untersuchungen zudem zeigen, dass die Bäume im Frühling und im Spätsommer gefällt wurden.

Erste Wikinger in Amerika: Untersuchungen in L'Anse aux Meadows (3 Bilder)

Rekonstruiertes Wikingergebäude nahe L'Anse aux Meadows.

(Bild: Glenn Nagel Photography)

Ihr Ergebnis, schreiben die Forscher, "stellt das einzige sichere Kalenderdatum dar für die Präsenz von Europäern auf der anderen Seite des Atlantiks vor den Reisen von Columbus". Die isländischen Vinland-Sagas legten nahe, dass es zu einem kulturellen Austausch mit den Ureinwohnern Nordamerikas gekommen sei. Der hätte sich auch in einem Austausch von Krankheitserregern, der Ausbreitung fremder Pflanzen- und Tierarten sowie in einer Vermischung der Gene niederschlagen müssen, so die Forscher weiter. Bislang gebe es dafür keine Hinweise. Welche Rolle das Jahr 1021 in der gesamten transatlantischen Aktivität der Wikinger gespielt habe, müssten daher zukünftige Forschungen klären.

(olb)