Vergesst Tinder: Die Partnersuche im Netz läuft jetzt anders

Menschen, die auf der Suche nach einer Beziehung sind, haben die Nase voll von Apps und finden Inspiration bei Twitter, TikTok und sogar E-Mail-Newslettern.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 230 Kommentare lesen

(Bild: oatawa/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Tanya Basu
Inhaltsverzeichnis

Randa Sakallah gründete "Hot Singles" im Dezember 2020, um etwas gegen ihren eigenen Dating-Blues zu tun. Sie war gerade nach New York gezogen, um in der Tech-Branche zu arbeiten, und hatte "die Nase voll vom Swipen". Also erstellte sie mit der Plattform Substack einen E-Mail-Newsletter mit einer scheinbar einfachen Prämisse: Bewirb dich per Google-Formular, und wenn du aufgenommen wirst, wird dein Profil – und nur dein Profil – an ein Publikum von Tausenden gesendet.

Jedes Profil enthält die erforderlichen Informationen: Name, sexuelle Orientierung, Interessen und einige Fotos. Das Besondere ist die redaktionelle Bearbeitung: Manche Fragen von Sakallah und die E-Mail-Präsentation sind sehr ungewöhnlich. Der "Single dieser Woche" wird zum Beispiel gefragt, welches Tier er gern sein möchte; die Antwort liegt irgendwo zwischen einem Pfau und einem Seeotter.

Laut Sakallah besteht ein Teil des Reizes von Hot Singles darin, dass am Freitag nur das Profil einer Person per E-Mail zugestellt wird. Es sei eben keine Flut von Gesichtern, die auf Abruf zur Verfügung stünden, sagt sie. Dadurch könne man eine einzelne Person wirklich als menschliches Wesen und nicht als algorithmisch angebotene Statistik kennenlernen.

"Ich versuche, eine Geschichte zu erzählen und den Personen eine Stimme zu geben", sagt Sakallah. "Denn man soll wirklich die ganze Person betrachten."

Dating-Apps mögen schnell und einfach zu bedienen sein, aber Kritiker sagen, dass ihr Design und ihr Fokus auf Bilder die Menschen auf Karikaturen reduziert – ganz zu schweigen von unangenehmen und rassistischen Kommentaren, die ebenfalls zum schlechten Ruf beitragen.

Der Frust durch Dating-Apps hat mehrere Ursachen. Da ist zum einen das Paradoxon der Auswahl: Einerseits möchte man aus einer Vielzahl von Menschen wählen können, andererseits aber kann diese Vielfalt kann auch lähmen und überfordern. Außerdem engen die Angaben zum Wohnort, die bei solchen Apps typischerweise eingestellt werden, den Blick mehr ein als notwendig.

Alexis Germany, eine professionelle Heiratsvermittlerin, beschloss, während der Pandemie TikTok-Videos auszuprobieren, um Menschen zu präsentieren. Dabei stellte sie fest, dass die sehr beliebt sind – und insbesondere auch bei Menschen funktionieren, die nicht am selben Ort leben. "Warum glaubt jemand, dass die Person, die er sucht, in seiner Stadt leben muss?", fragt Germany. "Wenn sie nur eine Autofahrt oder einen kurzen Flug entfernt ist, könnte es trotzdem funktionieren."

Die Pandemie hat viele vorgefasste Meinungen über Faktoren wie Entfernung und Wohnorte verändert. Mit Homeoffice und flexiblen Zeitplänen haben die Menschen mehr Freiraum, wenn es darum geht, wo und wann sie sich treffen. Zudem sind diejenigen, die eine langfristige Beziehung anstreben, daran interessiert, sich Zeit dafür zu nehmen und sie gut zu nutzen. (Alle diese Initiativen sind kostenlos, obwohl Germany neben TikTok auch andere Partnervermittlungsdienste anbietet, die bei gut 250 Euro beginnen).

Natürlich ist es kein neues Konzept, sich selbst für ein Date zu bewerben oder sich von "jemandem, der jemanden kennt" verkuppeln zu lassen. Bevor Tinder und andere Apps bei der Suche nach potenziellen Partnern für Millionen von Menschen zur Normalität wurden, halfen Kontaktanzeigen auf den US-amerikanischen Anzeigenwebsites Craigslist und Missed Connections dabei. Während des ersten Lockdowns in der Pandemie wurde auch die Vermittlung über Zoom zum Trend.

Heute sind Dating-Apps im Großen und Ganzen immer noch die führende Strategie für Partnersuchende. Laut einer Studie des Pew-Forschungszentrums in Washington, nur einen Monat vor der Pandemie veröffentlicht, nutzen 30 Prozent der Amerikaner eine solche App. In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen sind es sogar 48 Prozent, und bei Homosexuellen sogar 55 Prozent. Und 20 Prozent der jungen Menschen und LGBT-Menschen sind eine langfristige Beziehung mit einem Menschen eingegangen, den sie auf diese Weise kennengelernt haben.

Nach der Pandemie stehen die Dating-Apps jedoch in einem anderen Licht. Die um die Jahrtausendwende Geborenen, die Beziehungen, Sex und Ehe durch die Nutzung der Apps revolutioniert haben, sind jetzt älter und suchen meist nach längerfristigen Beziehungen, die früher oft schwer zu finden waren.

Für Sakallahs Generation und die heranwachsende Generation Z sind Dating-Apps eher langweilig. Sie sehnen sich nach etwas Neuem, und das bedeutet zunehmend, dass sie sich für die Partnervermittlung der alten Schule entscheiden, allerdings vermittelt durch moderne Technologie.

Es sind nicht nur die hippen jungen Nutzer, die sich nach einer langsameren Art der Partnersuche sehnen. Laut Germany würde TikTok zwar meist mit Teenagern in Verbindung gebracht, aber ihre Kunden seien meist zwischen 30 und 45. "Superjunge Leute sind eigentlich selten", sagt sie. "Vielleicht liegt das daran, dass sie lieber mehr lockere Dates als feste Beziehungen suchen. Die Leute dagegen, die zu mir kommen, sind frustriert, weil sie in diesem Kreislauf feststecken und eine echte Beziehung wollen."

Und vielleicht ist das genau der Grund, warum Dating-Apps nicht zu verschwinden drohen: weil Dating-Portale für Menschen gut funktionieren, die sich einfach verabreden oder eine lockere Beziehung führen wollen, während Partnervermittlung von vornherein viel ernsthafter und zeitaufwendiger ist. "Wenn du heute Abend ein Date willst, kannst du das über eine Dating-App machen. Bei der Partnervermittlung geht das nicht", sagt Germany.

Das heißt jedoch nicht, dass Partnervermittlungen letztlich erfolgreicher sind. Sakallah sagt, sie kenne nur eine Handvoll Leute, die sich wirklich verabredet haben. Ebenso sind nur wenige Paare, die sich über Germanys Portal gefunden haben, zusammengeblieben. Aber beide sagen, dass das Interesse an ihren Projekten sprunghaft angestiegen sei: Sakallahs Newsletter hat über 2.000 Mitglieder, Germany eine Warteliste von 20.000 Personen.

(bsc)