Kongress zu Gewalt und Hass im Internet

Der Streit um das Sperren von Nazi-Webseiten ist heute in eine neue Runde gegangen.

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  • Monika Ermert

Der Streit um das Sperren von Nazi-Webseiten ist heute in eine neue Runde gegangen. Wenn die Verwaltungsgerichte in Nordrhein-Westfalen der Düsseldorfer Bezirksregierung in ihrem Streit gegen Internet Service Provider Recht geben, "dann werden auch andere Verwaltungsbehörden entsprechende Maßnahmen ergreifen", sagte der Chef der Düsseldorfer Bezirksregierung Jürgen Büssow bei der Konferenz "Gewalt und Hass im Internet" heute in Düsseldorf. Die Bezirksregierung hatte in der vergangenen Woche den Sofortvollzug der Sperren bei zwölf widerspenstigen ISP gefordert.

Betroffen davon sind nicht nur klassische Access-Provider, sondern auch reine Carrier wie die in Dortmund ansässige Worldcom, denen allerdings auch der anwesende Rechtsexperte Peter Mankowski von der Universität Hamburg bescheinigte, dass sie als TK-Provider zumindest nicht dem von der Bezirksregierung als Rechtsgrundlage herangezogenen Mediendienstestaatsvertrag unterliegt. Worldcom klagt wie elf weitere Provider gegen die Sperrverfügungen. Vor allem befürchten die Provider längere Sperrlisten. Zudem wird es für die Provider immer unübersichtlicher, wenn sie sich in Kürze neben Sperrverfügungen auch noch um die "Selbstregulierungsauflagen" des neuen Jugendmedienschutzstaatsvertrags kümmern müssen.

Die Verfassungsschutzämter rechnen nach Aussagen von Wolfgang Cremer, Direktor beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln, nach einem Rückgang 2001 auf 920 Seiten für das laufende Jahr möglicherweise wieder mit einem Zuwachs auf eine Zahl von 1200 Seiten. Rund 15 Prozent davon seien strafrechtlich relevant, unter Jugendschutzgesichtspunkten allerdings weitere bedenklich. Wenn die Bezirksregierung Recht bekomme, sagte der Jurist Mankowski, könnten es schon noch mehr Seiten werden, die die Provider sperren müssen. Die Erfolgsaussichten vor Gericht mochte Mankowski allerdings keineswegs vorauszusagen.

Was der Musikindustrie recht ist, sollte seiner Bezirksregierung nur billig sein, sagte Büssow. Die Musikindustrie begründe immerhin ihre Klagen auf Sperrung ausländischer Musikpiraten mit ähnlichen Argumenten wie er seine Sperrverfügungen gegen die Internet Service Provider in Nordrhein-Westfalen. "Dabei gehe es dabei nicht etwa um den Schutz von Minderheiten vor Straftaten, sondern allein um die Profitsicherung." Tatsächlich fürchten Kritiker wie der CCC, odem.org und die neue Aktionsgemeinschaft DAVID genau diese Entwicklung.

Zustimmung bekam Büssow von Jean Jaques Gomez, Richter am Cour de Cassation in Paris: "Wenn die Provider etwas machen wollen, können sie es auch." Gomez hatte im Jahr 2000 das Aussperren französischer Nutzer von Naziverkaufsseiten des US-Anbieters Yahoo verfügt. Der Mediensprecher der FDP im Düsseldorfer Landtag, Stefan Grüll, verwies in der Debatte allerdings auch darauf, dass in den USA trotz der weiten Auslegung der Meinungsfreiheit durch starke NGO und Konsumentenbewegung gegen Rechts solche Anbieter größere Schwierigkeiten hätten als hierzulande.

"Eigentlich müsste die Veranstaltung ja "Gegen Gewalt und Hass im Internet" heißen, sagte der kurzfristig für Michel Friedmann eingesprungene Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, in seiner Ansprache. Spiegel zeigte sich empört über die auf der Veranstaltung präsentierten antisemitischen Seiten, Nazi-Computerspiele und Tonausschnitte. Ein Gesetz, mit dem das Internet so gesäubert werden könne, dass dort "Menschen miteinander wie Menschen umgehen", gebe es leider noch nicht. Wie das technisch oder juristisch gemacht werden könne, das wisse er zwar nicht, sagte Spiegel, beschwor allerdings die Zuhörer, das Problem als ein gesamtgesellschaftliches zu sehen.

Genau als solches wollte auch Norbert Machinek, Pädagoge und EDV-Berater aus Düsseldorf, das Problem Rechtsextremismus behandelt sehen. Er beschwerte sich bitter darüber, dass man in der Jugendarbeit in ein großes Dilemma gebracht werde. Einerseits würden Nazis im Netz weggeblockt, andererseits dürften sie ihre Hassparolen bei realen Demonstrationen in Düsseldorf unter Polizeischutz verbreiten. "Wie sollen man den Jugendlichen das erklären?"

Die Düsseldorfer Bezirksregierung will von 17 Uhr 15 bis ca. 18 Uhr 30 einen Live Stream von der Veranstaltung im Internet zur Verfügung stellen -- eine Video-Aufzeichnung des gesamten Kongresses soll später im Archiv online gestellt werden. (Monika Ermert) / (wst)