Familienministerium hält an Zahlen zur Verbreitung von Kinderpornographie fest

Ein Sprecher Ursula von der Leyens bezeichnete Recherchen, wonach es nur in maximal 21 statt 95 Ländern keine rechtliche Handhabe zur Löschung kinderpornographischen Materials gibt, als "sehr interessant".

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Das Bundesfamilienministerium bleibt offiziell weiter bei der Einschätzung, dass es nur in rund 160 Staaten überhaupt eine Gesetzgebung gegen Kinderpornographie gibt. Es beruft sich dabei auf eine Studie (PDF-Datei) des US-amerikanische International Center for Missing and Exploited Children (ICMEC) aus dem Jahr 2006, in der Forscher die Rechtslage in 184 Interpol angeschlossenen Ländern untersuchten. Demnach stellten damals 95 der analysierten Staaten Kinderpornographie nicht explizit gesetzlich unter Strafe. Daraus folgerten die Studienleiter, dass in den ausgemachten Ländern der Sex mit Kindern legal sei.

Diese Auffassung und das entsprechende Zahlenmaterial verbreitete Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen öffentlich zuletzt vor einer Woche auf der von ihr initiierten "Konferenz zum Schutz vor sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mit Fokus auf neue Medien". Mit dem Hinweis darauf, wie wenig gut aufgestellt die internationale Staatengemeinschaft beim Kampf gegen die Verbreitung kinderpornographischer Materialien im Internet sei, setzte sich die CDU-Politikerin für Web-Sperren nach deutschem oder skandinavischem Vorbild in mehr Ländern ein. Die Täter zu stellen sei dagegen eine Sisyphos-Arbeit, erklärte die Ministerin. Wenn Server "in Afrika oder in Indien" stünden, die Kinderpornographie nicht einmal ächten würden, "dann kann man da auch nichts löschen".

Laut einer Überprüfung der ICMEC-Studie durch den IT-Berater Dirk Landau werden aus den dort erfolgten Fragestellungen aber falsche Ergebnisse abgeleitet. Anhand von Länderinformationen des Auswärtigen Amtes oder Pressemeldungen fand der Programmierer heraus, dass in 71 der 95 aufgeführten Länder, etwa in muslimischen Staaten, Pornographie insgesamt illegal sei. Folglich wäre seiner Ansicht nach eine Entfernung kinderpornographischer Inhalte von Servern in diesen Regionen, zu denen auch der indische Subkontinent zähle, unproblematisch zu gewährleisten.

Nur 12 Staaten erlauben laut Landaus Ergebnissen Pornographie generell und könnten somit tatsächlich als potenzielle "Kinderporno-Schurkenstaaten" hingestellt werden. Darunter befänden sich aber Länder wie Irak, Osttimor, Tschad oder Kongo, die sich in Krieg, Bürgerkrieg, Anarchie oder verfassungsgebender Phase befänden und wohl kaum über viele Internet-Server verfügen dürften. Für neun weitere Länder kam Landau zudem zu keinem klaren Ergebnis hinsichtlich der Rechtslage.

Ein Sprecher der Familienministerin bezeichnete die Recherchen Landaus auf Nachfrage von heise online nun als "sehr interessant". Allerdings seien die Angaben "nicht wissenschaftlich hinterlegt und daher auch in ihrer Entstehung fachlich nicht nachvollziehbar". Eine seriöse Bewertung seitens des Ministeriums sei so nicht möglich. Webseiten mit nach deutschem Recht als kinderpornographisch einzustufenden Inhalten würden nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamts (BKA) fast ausschließlich über Server im Ausland bereit gestellt und dort bevorzugt in Staaten mit geringer Kontrollintensität oder aber dort, wo keine diesbezügliche Gesetzgebung existiere oder die entsprechenden Regelungen nicht konsequent durchgesetzt und überwacht würden.

Gleichwohl sind nach Ansicht des Familienministeriums auch regelmäßig Staaten betroffen, auf die diese Kriterien nicht zutreffen. Besonders technisch und wirtschaftlich entwickelte Staaten mit intensiv ausgebauter Internet-Infrastruktur wie die USA hätten immer wieder mit den Missbrauch von Serveranlagen für die Verbreitung kinderpornographischer Inhalte zu kämpfen. Bei einer zugleich bestehenden Strafbarkeit und entsprechender Kontrolldichte sei aber davon auszugehen, dass entsprechende Angebote dort "einer besonderen Dynamik unterliegen und ihre Speicherung auf einer bestimmten Webseite häufig nur sehr kurzfristig erfolgt". Täterseitig werde einerseits die Infrastruktur genutzt, andererseits bestehe das Bestreben, das Strafverfolgungsrisiko zu minimieren.

Generell räumte der Sprecher des Familienministeriums noch einmal ein, dass die Bundesregierung nach wie vor "über keine rechtsvergleichenden Studien zur Strafbarkeit von Kinderpornographie in anderen Ländern verfügt". Klar sei nur, dass das Cybercrime-Abkommen des Europarates, das am 1. Juli 2004 in Kraft trat, Verpflichtungen zur Schaffung entsprechender Straftatbestände enthalte. Das Übereinkommen sei bis heute in 26 Staaten in Kraft getreten. Im Hinblick auf die EU-Mitgliedstaaten bestünde ein vergleichbarer Rahmenbeschluss.

Die Faktenlage, auf die sich das Familienministeirum derzeit stützt, ist allerdings generell unter Experten umstritten. Ein Schlag gegen Online-Kinderpornos in Italien führte beispielsweise Mitt Juni zu einem Server in Deutschland. Und auf der finnischen Kinderporno-Sperrliste etwa sind größtenteils in den USA gehostete Inhalte geführt, gefolgt von Australien, den Niederlanden und Deutschland. Zudem ergaben Tests, die sowohl die Kinderschutzorganisation Carechild als auch der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur durchführten, dass sich auch kinderpornografische Internetangebote im Ausland relativ einfach aus dem Netz löschen lassen.

Siehe dazu auch:

(Stefan Krempl) / (jk)