Digitalmuffel: Volksvertreter offline

Ein träger Staat bringt in Deutschland die Digitalisierung nicht voran. Aber warum sollte er auch, solange Volk und Volksvertreter selbst Digitalmuffel sind?

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Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Tim Gerber

Nachdem ich im September in den Gemeinderat gewählt wurde, habe ich mich in den letzten Wochen ein wenig mit den Satzungen unserer Kommune befasst. Dabei stieß ich auf eine Regelung, die merkwürdig erscheint: Ratsmitglieder, die auf eine postalische Zustellung der Ratsunterlagen verzichten und sie stattdessen über ein elektronisches Informationssystem beziehen, erhalten dafür eine zusätzliche Aufwandsentschädigung von 20 Euro pro Monat.

Die Regelung kam mir vor wie aus dem vorigen Jahrhundert. Worin sollte denn mein Mehraufwand bestehen, wenn ich Einladungen zu den Sitzungen per E-Mail und die Beschlussvorlagen zum Download als PDFs zur Verfügung gestellt bekomme? Da neue Besen bekanntlich gut kehren, wollte ich anstelle der Zusatzvergütung einen Abzug für jene Ratsleute einführen, die noch immer auf eine postalische Zustellung bestehen. Schließlich sollte die elektronische Kommunikation heute Standard sein.

Die Reaktionen meiner Mitstreiter fielen jedoch alles andere als begeistert aus. Es stellte sich heraus, dass die große Mehrheit den elektronischen Zugang bisher nicht genutzt hatte. Und viele wollten unbedingt auch weiterhin Papier zugesandt bekommen. Sonst benötige man ein mobiles Endgerät, auf dem man die Beschlussvorlagen auch während der Sitzungen einsehen kann. Obwohl ein Gerät der 300-Euro-Klasse dazu sicher ausreicht, verfügt die im Rat versammelte bürgerliche Mitte offenbar nicht darüber.

Langsam verstehe ich, dass es die Kommunalverwaltung als zweite Gewalt im Ort nicht sonderlich eilig mit der Digitalisierung hat, wenn die erste Gewalt, die Volksvertretung, lieber berittene Boten beschäftigt. Leider ist die Volksvertretung damit womöglich sogar repräsentativ. Die geringe Nachfrage zur Nutzung des E-Perso oder von De-Mail zeigt: Nicht nur unser Staat, wir alle sind mehrheitlich ein Volk von eher trägen Digitalmuffeln. Wir müssen uns also über die schleppende Digitalisierung unserer Verwaltung nicht wundern. Schließlich bekommt jedes Volk genau die Digitalisierung, die es verdient.

Tim Gerber

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