Zahlen, bitte! 8 Schicksalstage am 9. November

9.11: Der neunte November ist der Schicksalstag der Deutschen. Doch nur Wenige nehmen die Sicherheitsgesetze in die Aufzählung auf.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Spätestens seit dem "Fall der Mauer" im Jahr 1989 wird der 9. November als Schicksalstag der Deutschen bezeichnet. Dieser Tag wird als letzter großer Schicksalstag an einem 9. November benannt. Das ist nicht gerecht. Wir sollen uns auch an den 9. November 2001 erinnern, als im Deutschen Bundestag in der 199. Sitzung die Antiterrorgesetze "vorübergehend" eingeführt wurden. Oder an den 9. November 2007, als ein deutsches Parlament die Vorratsdatenspeicherung beschloss. Doch Zahlenwerk ist Menschenwerk und so blicken wir heute auf eine hübsch komplizierte Zahlenfolge.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Die Zählung der Schicksalstage der Deutschen beginnt in aller Regel mit dem Jahr 1848, als im Revolutionsjahr der ersten demokratischen Nationalversammlung der deutsche Politiker Robert Blum in Wien trotz Immunität im Schnellverfahren als Aufrührer verurteilt und standrechtlich erschossen wurde. Tag Nummer 2 war dann der 9. November 1918, als die erste deutsche Republik ihre ersten Schritte Richtung Zukunft machte.

Schon über den 9. November 1923 gibt es Kontroversen, als der Hitler-Putsch in München an der Feldherrenhalle scheiterte. Unstrittig wiederum ist der 9. November 1938 als Tag der deutschen Niedertracht, von den Nationalsozialisten später als Reichspogromnacht gefeiert.

Die Erinnerung an diesen Tag der Schmach wurde erst ab 1958 wach gehalten, vorher war man ja mit dem "Aufräumen" beschäftigt. Damals sagte Bundespräsident Theodor Heuss die heute etwas umständlich klingenden Worte: "Dieses Tags zu gedenken, ist sonderliche Pflicht zu einem Zeitpunkt, da die Zahl derer wächst, die sich in die Annehmlichkeit des Vergessen-Wollens flüchten möchten oder bereits geflohen sind."

Das Erinnern an die Pogrome ist jedoch ohne den 9. November 1969 nicht vollständig. An diesem Tag wollten jüdische Mitbürger in Westberlin in ihrem Gemeindehaus in Charlottenburg an die Opfer von 1938 denken. Eine Bombe im Gemeindehaus sollte das Gedenken "aufmischen". Die Bombe, die glücklicherweise nicht detonierte, kam von den Westberliner Tupamaros.

9. November - Schicksals- und Gedenktag der Deutschen (8 Bilder)

Robert Blum (* 10. November 1807 in Köln; † 9. November 1848 in der Brigittenau bei Wien)
Der deutsche Politiker und Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung nahm am Oktoberaufstand 1848 Teil auf Seiten der Revolutionäre. Er wurde nach der Niederschlagung des Aufstands standgerichtlich zur Hinrichtung verurteilt und am 9. November 1848 in Wien erschossen.

Die letzten Schicksalstage der Deutschen Nation mögen in dieser Aufzählung verblassen, sind aber auf ihre Weise Schwergewichte, die bürgerliche Freiheiten einschränken: am 9. November 2001 debattierte der Bundestag das Anti-Terror-Gesetz mit umfangreichen Sicherheitsüberprüfungen an den Flughäfen, der Aufnahme biometrischer Merkmale in Ausweise, der Möglichkeit zum Verbot von extremistischen Religionsgemeinschaften und der Einrichtung einer Antiterror-Datei.

Am 9. November 2007 wurde das "Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen" mit 366 zu 156 Stimmen angenommen. Die Antiterrorgesetze sollten befristet sein, die Vorratsdatenspeicherung sollte evaluiert werden, doch beides unterblieb.

Die Vorratsdatenspeicherung wurde am 2. März 2010 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, die Anti-Terror-Gesetze wurden 2011 vverlängert und erschärft. Im Gegensatz zum gerne gefeierten "Fall der Mauer" am 9. November 1989, der von Günther Schabowski mit den Worten "nach meiner Kenntnis .. sofort, unverzüglich" in der DDR und "Die Tore in der Mauer stehen weit offen" in der Bundesrepublik eingeleitet wurden, werden die einschneidenden Gesetzesänderungen nicht gefeiert.

Zum 20. Jahrestag fordert darum das Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, dass alle Maßnahmen der Anti-Terror-Gesetze auf den Prüfstand gehören:
"Es ist dringend nötig unabhängig zu überprüfen, welche Wirkung die bestehenden Regelungen überhaupt hatten und ob sie noch notwendig und angemessen sind. Solange diese grundlegende Bestandsaufnahme nicht abgeschlossen ist, sollte die Verabschiedung neuer Sicherheitsgesetze zunächst einmal ausgesetzt werden", erklärt Hendrik Hegemann vom IFSH.

Vielleicht ist das endlich einmal eine Chance, über diese Gesetze nachzudenken.

(mawi)