Plastik-Popcorn: Wie Mikroplastik aus Abwasser gefischt werden kann

Ein Greentech-Start-up lässt Mikroplastik-Partikel in Kläranlagen mit wenigen Millilitern einer Spezialflüssigkeit verklumpen – und fischt sie einfach ab.

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(Bild: Screenshot Wasser 3.0)

Lesezeit: 3 Min.

Mikroplastik ist überall. Im Wasser, in der Erde, in der Luft. Wie schädlich es ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Einigkeit herrscht jedoch darin, dass Mikroplastik wieder aus der Umwelt heraus muss. Eine Möglichkeit, an Mikroplastik heranzukommen, bevor es in die Umwelt gelangt, sind Kläranlagen.

Ein gemeinnütziges Greentech-Start-up aus Karlsruhe namens Wasser 3.0 hat Hybridkieselgele entwickelt, die über einen physikochemischen Prozess Mikroplastik-Partikel an ihre Oberfläche binden. Sie bilden dabei fluffige Agglomerate, die wie Popcorn aussehen. Das Hybridkieselgel wirkt wie ein Klebstoff auf die Plastikpartikel. Dieses Mikroplastik-Popcorn schwimmt auf der Wasseroberfläche und lässt sich von dort einfach mit einem Sieb abfischen oder von der Oberfläche absaugen.

Je mehr Zeit das Kieselgel hat zu wirken, desto größer werden die Klumpen. Die Formulierungen für die Hybridkieselgele schneidern die Forschenden aus Karlsruhe für das jeweilige Abwasser nach Maß. Es soll auch möglich sein, Schadstoffe anderer Art an die Kieselgele zu binden und damit Wasser etwa von Arzneimittelrückständen, Pestiziden oder per- und polyfluorierten Chemikalien zu reinigen.

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Dass es für die Hybridkieselgele in Kläranlagen theoretisch viel zu tun gibt, zeigt eine Studie der "International Union for Conservation of Nature" (IUCN): Etwa 35 Prozent des Mikroplastiks in den Meeren stammen sozusagen aus unseren Waschmaschinen. Bei jeder Wäsche verlieren der kuschelige Fleece-Pulli, das Lauftrikot und alle anderen Wäschestücke aus Kunststoffen feine Fasern, die das Abwasser in die Kläranlagen spült. Dort werden zwar bis zu 99 Prozent des Mikroplastiks in den ersten drei Klärstufen herausgefiltert – der Rest fließt jedoch in die Meere. Und auch die abgefangenen Teilchen werden teilweise wieder in die Umwelt ausgebracht: Klärschlämme werden nach wie vor als landwirtschaftliche Dünger eingesetzt. Das im Klärschlamm angereicherte Phosphat ist ein unverzichtbarer aber rarer Nährstoff für Kulturpflanzen.

Dabei schätzt die WHO die Gefahren von Mikroplastik im Trinkwasser für Menschen zwar als gering ein. Die Europäische Kommission kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Gefahren durch Mikroplastik sehr komplex sind. Beispielsweise binden die unsichtbaren Mikroplastikpartikel besonders gut schwer abbaubare Umweltschadstoffe wie Pestizide. Meeresbewohner nehmen die Schadstoffsammler auf und bringen damit die Gifte in die Nahrungskette. Allerdings gibt es bislang noch keine Grenzwerte für Mikroplastik im Wasser.

Mit feinporigen Membranen, galvanischen Abscheideprozessen und Koagulation – etwa durch Ultraschall – könnte Mikroplastik zwar bereits jetzt nahezu restlos aus dem Abwasser entfernt werden. Allerding müssten Kläranlagen für alle diese Verfahren aufwändig umgebaut werden. Energie- und wartungsintensiv sind sie außerdem. Bei der Technologie von Wasser 3.0 muss dem zu reinigenden Wasser nur eine kleine Menge der Hybridkieselgel-Lösung zugegeben werden. Für einen 2.000-Liter Testreaktor reichen gerade einmal etwa 50 Milliliter Hybridkieselgel-Suspension.

Seit Sommer dieses Jahres wird die Methode von Wasser 3.0 in einem Langzeit-Pilotversuch erprobt. Zwölf Monate lang reinigen die Landauer ihr kommunales Abwasser in einer vierten Reinigungsstufe mit den Hybridkieselgelen. Dabei denkt das Team von Wasser 3.0 schon einen Schritt weiter: Sie sehen ihr Verfahren auch als Option für die Reinigung von Industrieabwässern, Flüssen, Seen oder auch dem offenen Meer.

(jsc)