NASA-Sonde Dart: "Die ESA achtet hauptsächlich auf die kleineren Asteroiden"

Die NASA testet mit einer Sonde ein Szenario für die Asteroidenabwehr. Im Interview erklärt ein ESA-Experte, wie weit wir bei der planetaren Verteidigung sind.

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(Bild: ImageBank4u/Shutterstock.com)

Lesezeit: 21 Min.
Von
  • Peter Michael Schneider
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Am Mittwoch soll die Dart-Sonde der NASA starten, die in neun Monaten auf einem Asteroiden einschlagen soll. Der soll damit minimal auf seiner Bahn – um einen zweiten Asteroiden – abgelenkt werden. Mit dem Test möchte die US-Weltraumagentur herausfinden, ob so auch verhindert werden könnte, dass ein gefährlicher Asteroid auf der Erde einschlägt. Im Interview erklärt Detlef Koschny, der Chef des Planetary Defence Office der ESA, wie es um die planetare Verteidigung bestellt ist.

Wann muss man einen Asteroiden entdecken, damit man noch vernünftig reagieren kann?

Es kommt auf die Größe an. Bei einem Asteroiden von 20 Meter, wie der 2013 von Tscheljabinsk in Russland, reichen ein paar Tage vorher. Alles, was wir da machen würden, wäre die Katastrophenschutzbehörden zu informieren und zu sagen "Da kommt ein Asteroid, macht eine Durchsage im Radio, damit sich die Leute nicht hinter geschlossene Fensterscheiben stellen, sondern auf die Straße gehen und sich die Show anschauen!"

Detlef Koschny

(Bild: ESA)

In Tscheljabinsk waren die Leute aber nicht informiert, haben sich hinter die geschlossenen Fenster gestellt und haben dann Glas ins Gesicht bekommen. Das war die Ursache für die meisten Verletzten. Wenn das Objekt größer ist, über 50 Meter, denken wir drüber nach, ob wir es ablenken können – oder müssen. Außerdem ist es umso leichter, ein Objekt abzulenken, je mehr Zeit zur Verfügung steht. Wobei mehr Zeit bedeutet, dass wir es Jahre vorher wissen sollten. In der Tat können wir viele Asteroiden auch in diesem Zeitraum vorhersagen.

Wie wahrscheinlich ist so ein Einschlag in den nächsten 50 bis 100 Jahren?

Auch die Einschlagwahrscheinlichkeit ist direkt an die Größe geknüpft. Die kleinsten Asteroiden, die wirklich Schaden anrichten könnten, wären 10 bis 20 Meter groß, also wie der von Tscheljabinsk. So einer schlägt durchschnittlich alle paar 10 Jahre irgendwo auf unserem Planeten ein. Wenn so etwas über dem Südpazifik passiert, merken wir es vielleicht noch nicht einmal.

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Größere Objekte, wie beispielweise das 40 Meter große Objekt beim Tunguska-Ereignis von 1908 in Sibirien, würden eine ganze Stadt zerstören. Das ist schon weniger wahrscheinlich und passiert typischerweise alle paar hundert Jahre. Objekte von 70 oder 80 Metern erscheinen alle paar tausend Jahre. Und so geht das exponentiell weiter.

Lässt sich sagen, wie groß ein Objekt sein muss, damit es den Erdboden erreicht?

Ja, die Mindestgröße liegt zwischen 20 und 40 Meter. Außerdem kommt es auf seine Zusammensetzung an. Ich denke immer in Beispielen. 1937 schlug in Sibirien ein nur wenige Meter großer Asteroid ein, aber einer aus Eisen. Die Trümmer haben die Erde erreicht und einen Krater von 20 Meter Durchmesser ausgehoben.

Das Objekt von Tscheljabinsk hingegen war aus Gestein. Die Schockwelle in der Atmosphäre hat es in viele kleine Stücke zerbrochen. Das größte Objekt von Tscheljabinsk war ein etwa ein Meter großer Felsbrocken. Der Rest waren nur kleine Millimeter bis Zentimeter große Stücke, das ist dann nicht tragisch.

Die Gefahr geht nicht nur von großen Objekten aus, sondern von den Kleinen, die wir nicht sehen, wie der von Russland. Richtig?

Ja. Wir haben das vor ein paar Jahren abhängig von Zerstörungskraft und Häufigkeit berechnet. Es handelt sich um eine bimodale Verteilung mit einem Schadens-Peak bei 40 bis 50 Meter großen Asteroiden und einem zweiten Peak bei ganz großen Objekten.

Bei Asteroiden unter 10 Meter passiert nichts, die desintegrieren einfach in der Atmosphäre. Aber über 10 Meter kann es passieren, dass eine Schockwelle Schaden anrichtet. Hier kommt also der erste Peak bei den Schäden. Bei den 100 bis 200 Meter großen Objekten geht die Kurve wieder runter, weil sie seltener sind. Hinterher geht die Schadenskurve wieder hoch. Objekte größer als 200 bis 300 Meter treffen zwar ganz selten auf die Erde. Aber wenn sie treffen, dann erzeugen sie sehr viel Schaden.

Wobei die großen Objekte fast alle erkannt worden sind und die Kleineren nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein 50 Meter-Objekt auf der Erde einschlägt, ist also deutlich höher. Und wenn der in ein besiedeltes Gebiet fällt, ist der Schaden groß.

Das ist genau der Punkt. Das Planet Defence Office der ESA achtet daher hauptsächlich auf die kleineren Objekte. Wenn ein zwei Kilometer großes Objekt da draußen wäre, könnten wir eh nicht viel machen. Das ist dann halt so. Dann können wir nur noch beten, das kann ich nicht mehr ablenken, das kriegen wir mit unseren Technologien nicht hin. Aber die sind so unwahrscheinlich, dass ich mir da überhaupt keine Sorgen mache.

Asteroiden werden häufig von Jupiter aus ihrer Bahn geschubst, richtig?

Ja, aber nicht Jupiter ist das Problem, sondern die Erde selbst. Erdnahe Asteroiden heißen nicht umsonst so. Wenn sie die Bahn des Asteroiden anschauen, der am 13. April 2029 die Erde passieren wird, lässt sich erkennen, wie er durch die Erde abgelenkt werden wird. Der kommt auf 13.000 Kilometer an die Erde heran, und hinterher fliegt er auf einem völlig anderen Orbit. Das ist bei jedem Objekt so, das der Erde nahekommt.

Das ist der Grund, warum wir die erdnahen Asteroiden permanent beobachten. Wir können also nicht sagen: "Okay, wir haben seine Bahn jetzt charakterisiert, die ist 100 Jahre in die Zukunft bekannt". Stattdessen müssen wir immer wieder neue beobachten, wenn ein Asteroid an der Erde vorbeifliegt. Sonst multiplizieren sich die Ungenauigkeiten derart auf, dass wir nicht wissen, wo er ist.

Ist die Zahl der erdnahen Asteroiden stabil oder entstehen ständig neue?

Wir gehen im Moment davon aus, dass es eine Art Gleichgewicht gibt. Das heißt, es werden so viele nachgeliefert, wie beispielsweise in die Sonne stürzen.

Wir erforschen das noch, aber in unserem Lebensraum, beziehungsweise über die nächsten 100 Jahre ist das konstant. Reden wir von Veränderungen, dann würden wir sie in Hunderttausenden oder Millionen von Jahre merken.

Wie viele der erdnahen Asteroiden kennen Sie?

Das Spannende bei den bekannten Asteroiden: Die Großen bis einen Kilometer Durchmesser kennen wir alle. Danach werden es immer weniger. Wenn wir runtergehen bis 10 Meter, dann ist es nur noch ein Bruchteil eines Prozents. Von den Tscheljabinsk-artigen Objekte, so 20 Meter, kennen wir ungefähr ein halbes bis ein Prozent. Wenn wir mehr beobachten, wird sich diese Rate hoffentlich erhöhen.

Das Problem ist aber, dass es immer noch größere Objekte gibt, die sich praktisch hinter der Sonne verstecken. Wenn so ein Objekt eine ähnliche Umlaufbahn hat wie die Erde, könnte es 10 Jahre lang immer nur am Taghimmel zu sehen sein – bis es plötzlich auch nachts sichtbar wird. Auf der anderen Seite ist das gut, weil wir viele Jahre Zeit haben, bis es der Erde wirklich nahekommt.

Das ist also eine gute Nachricht für die Menschheit und eine schlechte für Regionen. Planetenkiller werden entdeckt, aber kleine Asteroiden könnten durchrutschen?

Ich will das nicht 100%-ig ausschließen, jeder Wissenschaftler lässt sich eine Hintertür offen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass was Großes kommt, was wir noch nicht gesehen haben.