Zahlen, bitte! Mit 5 Cent zur Musikrevolution: Die erste Jukebox der Welt

1889 begann die Zeit der Jukebox. Sie sorgte nicht nur für die Beschallung des Wirtschaftswunders, sondern war Antreiber der Musikindustrie.

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Inhaltsverzeichnis

Die Jukebox hat ihre Wiege in San Francisco. Der Erfinder Louis T. Glass war General Manager der Edison General Electric Company. Der Untergebene von Thomas Alva Edison hatte die revolutionäre Idee, den 1878 vorgestellten Edison-Phonographen zu automatisieren: Für einen Nickel (fünf US-Cent, heute knapp ein Euro) konnte der Hörer im Lokal automatisiert der Musik lauschen.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Am 23. November 1889 führte Glass mit Geschäftspartner William S. Arnold im Palais Royal Saloon in der Sutter Street Nr. 303 in San Francisco den Apparat vor.

Mehrere Hörerinnen lauschen der Musik, die das Gerät abspielt.

Was heute in der allgegenwärtigen Musikbeschallung rückständig gilt, war damals eine Sensation. Schließlich kosteten die Phonographen noch viel Geld und an Radio war noch nicht zu denken. Jetzt gab es ein Gerät, welches jederzeit Musik spielen konnte, wenn die Musikfreunde fürs Hören bezahlten.

Damit nur diejenigen zum Hörgenuss kamen, die dafür ihre Pennys gaben, hatte das nach der einzuwerfenden Münze "Nickel-in-the-Slot" (frei übersetzt: Groschengrab) genannte Gerät keinen Lautsprecher, sondern vier Schläuche als eine Art Kopfhörer. Nach Hörgenuss reichten die Barbesitzer Handtücher, damit die Hörer die schwitzigen Ohren und Schläuche trocknen konnten. Die Stücke, anfangs noch in einer Walze, waren etwa zwei Minuten lang.

Der Ertrag der ersten 15 im Raum San Francisco platzierten Geräte konnte sich sehen lassen: Als Glass im Mai 1890 Bilanz zog, hatten seine Automaten 4019 US-Dollar eingespielt. Heutzutage wären das über 100.000 Dollar.

Kein Wunder, dass sich die Technik wie ein Lauffeuer über die USA verbreitete. Weitere Booster der Technologie waren die späteren Plattenspieler und die Schellack-Platten: In den neuen Geräten verschiedener Hersteller wurden die gespielten Musikstücke länger und klangen dabei deutlich besser. Außerdem profitierten die (offiziell Coin-operated-Phonograph genannten) Jukeboxen von der Prohibition und der Erfindung des Verstärkers 1927. In sogenannten "Speakeasies", illegalen Hinterhofkneipen, wurde das Alkoholverbot umgangen und die Juke-Boxen lieferten die Musik dazu.

Wurlitzer 1015 «bubbler» von 1946, Design Paul M. Fuller

(Bild: CC-BY SA 3.0, Arnaud_25)

Ihren Namen erhielten die Geräte durch die schwarze US-Bevölkerung. In speziellen Kneipen, sogenannten "Juke-Joints" („jook“ beziehungsweise „juke“ gilt als Slangausdruck für etwas verruchtem tanzen) feierten sie zu in von weißen Radiosendern boykottierter Musik. Jazz und Blues wurde von den Geräten gespielt und sorgte zu einer weiteren Verbreitung. Die Mafia spielte ebenfalls eine Rolle, indem sie den Markt der Musikboxen zeitweise in mehreren Bundesstaaten kontrollierte.

Die Firma Wurlitzer, gegründet 1851 von Franz Rudolph Wurlitzer, brachte im Jahr 1933 mit Debutante ihre erste Musikbox auf den Markt. Die 1946 veröffentlichte 1015 gilt als populärste Musikbox überhaupt. Und der Musikmarkt wurde von den Musikboxen geprägt: Zum einen ging ein Großteil der Single-Platten in die Geräte, zum anderen wurden zeitweise die Charts anhand der Abspielzahlen ermittelt.

In Deutschland wurden die Abspielgeräte nach dem Zweiten Weltkrieg populär. Die hier stationierten G.I.s brachten die Musikboxen mit: ab 1951 begann der Siegeszug in Deutschland. 1957 existierten in Deutschland bereits 12.000 Stück. In Clubs und Milchbars standen die Geräte und es fand unter deren Musikbeschallung so manche Ehe ihren Anfang. Und die Jukeboxen fanden Eingang in die Popkultur. Zu Spitzenzeiten fertigten Tonomat, Wiegandt, NSM-Löwen und Bergmann in Deutschland Musikboxen. Wurlitzer Deutschland entstand 1960.

Auch in der DDR wurden Musikboxen produziert.
Hier ein Typ 80C Polyhymat, produziert vom VEB Funkwerk Erfurt ausgestellt in "Technische Sammlungen Dresden".

(Bild: CC BY-SA 3.0 , Erfurth)

Das Fernsehen, die HiFi-Geräte für zu Hause, Kassettenspieler und nicht zuletzt die Diskotheken sorgten für den langsamen Abstieg der Musikautomaten. Und nicht zuletzt konnte die Frage, ob Peter Kraus oder Peter Alexander ausgesucht wurde, durchaus mal für handfesten Streit sorgen. Später konkurrierte die Musikbox zudem mit den aufkommenden Arcade-Automaten um den arg begrenzten Platz in der Kneipe.

In den USA sind Juke-Boxen noch immer populär. In deutschen Lokalen spielen sie nur noch eine untergeordnete Rolle, wobei: Ein American Diner wirkt ohne Musiktruhe irgendwie nackt. Sie lassen sich mieten und zudem sind sie seit dem Rock'n'Roll-Revival Mitte der 1980er hierzulande begehrte Sammlerstücke. Für etwa 9000 US-Dollar sind sogar noch aktuelle Geräte käuflich, mit WiFi und Smartphone-Steuerung.

Der Jukeboxpionier Glass wendete sich relativ schnell von seiner Erfindung ab und orientierte sich zum Telefonmarkt, auch weil innerhalb weniger Jahre die Preise purzelten: von den fünf Cent zum Anfang rutschte der Preis auf einen Cent. Der noble Palais Royal Saloon existiert auch nicht mehr: Er wurde mitsamt der Pioniergeräte ein Opfer des verheerenden Erdbebens in San Francisco von 1906.

Update: unkorrektes Foto ausgetauscht. (mawi)