Open-Source-Adventskalender: Der Element-Messenger und das Matrix-Protokoll

Von 1. bis zum 24. Dezember 2021 hat heise online jeweils ein "Kalendertürchen" mit dem Porträt eines Open-Source-Projekts geöffnet.

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(Bild: Semisatch/KOALA STOCK/Shutterstock.com/heise online)

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Von
  • Stefan Mey
Inhaltsverzeichnis

Der Element-Messenger und noch viel mehr das Matrix-Protokoll könnte radikal die Logik von Messengern verändern und eine offene Technologielandschaft entstehen lassen, wo heute die geschlossenen Silo-Welten von WhatsApp, Signal und Telegram sind.

Der Open-Source-Adventskalender

Schon beim Starten merkt man, dass bei Element etwas anders als bei den bekannten großen Messengern ist. Im ersten Screen der App soll man einen Server auswählen. Der Standardserver ist Matrix.org. Nimmt man den, gibt man einen Profilnamen sowie ein Passwort ein und muss eine E-Mail-Adresse zur Wiederherstellung angeben und verifizieren. Der Username, die Matrix ID, ähnelt im Aussehen einer E-Mail-Adresse und könnte beispielsweise StefanXYZ:matrix.org lauten.

Besonders ist, dass man beim Einrichten auch die Adresse einer anderen Datenbank eingeben kann. Element erlaubt es, die eigenen Chat-, Audio- und Videotelefonie-Daten einem selbst gewählten Anbieter anzuvertrauen. Im Netz kursieren Listen mit Servern, die für Element genutzt werden können. Die Organisation Digitalcourage empfiehlt beispielsweise eine Übersicht auf Hello-Matrix.net mit 14 verschiedenen Server, etwa Tchncs.de.

Der Messenger basiert auf dem Matrix-Protokoll, das gemeinsam mit Element entwickelt wurde, und auch anderen Messengern offensteht. Es gibt neben Element verschiedene andere Apps, die beispielsweise FluffyChat und SchildiChat heißen. Das Matrix-Protokoll ermöglicht Kommunikation über Messengergrenzen hinweg. Element sieht also vor, was die Politik gerade unter dem Stichwort Interoperabilität mühsam durchzusetzen versucht. Das Überwinden der Grenzen übernehmen Bots, die man in seinem Matrix-basierten Messenger integriert. Diese Bots docken an die Schnittstellen anderer Messenger an und fungieren als Brücken zwischen Element und Signal, Telegram, WhatsApp oder Slack.

Bei der Kommunikation über Messengergrenzen hinweg gibt es allerdings keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Hinter dem Element/Matrix-Kosmos steht eine für Open-Source-Projekte typische Konstruktion, bestehend aus Unternehmen, Stiftung und Community.

Die britische Firma New Vector Ltd. ist die Anbieterin der Open-Source-Messenger-App Element, die bis Juli 2020 Riot hieß. Außerdem entwickelt New Vector federführend das Matrix-Protokoll. 118 Angestellte und Freelancer arbeiten zurzeit für die Firma, erzählt Matthew Hodgson, einer der Gründer des Projekts und New Vector-Geschäftsführer. Das Unternehmen finanziert sich über ein Open-Source-Geschäftsmodell: Die Messenger-App ist kostenlos. Es gibt aber ein darauf aufsattelndes Bezahlmodell. Für monatlich fünf US-Dollar für einen Account oder zehn US-Dollar für bis zu fünf Accounts erhält man eine schnellere Serveranbindung, bereits integrierte Bridges oder eine personalisierte Subdomain für die Matrix-ID (in der Form von beispielsweise StefanXYZ.FamilieSchmidt:matrix.org).

Vor allem finanziert sich die Firma aber über Geschäftskunden. Die Preise bei Enterprise-Lösungen betragen drei bzw. vier US-Dollar monatlich pro aktivem Messenger-Account. Das würden bereits Tausende Unternehmen und Organisationen in Anspruch nehmen, so Hodgson, als Beispiel nennt er Mozilla, RedHat und die Wikimedia Foundation. Außerdem bietet die Firma Beratung und technische Unterstützung für selbstgehostete Messenger auf Matrix-Basis an. Das machen mittlerweile eine Reihe an staatlichen und öffentlichen Akteuren: der französische Staat mit seinem Regierungs- und Verwaltungsmessenger Tchap, die Bundeswehr mit ihrem BWMessenger und das deutsche Gesundheitswesen mit dem geplanten TI-Messenger.

Die Eigentumsverhältnisse der Firma sind im britischen Handelsregister öffentlich einsehbar. Laut einem Dokument von September 2021 halten die zwei Gründer:innen etwa ein Fünftel der Anteile (davon Matthew Hodgson 13 Prozent und die Mitgründerin Amandine Le Pape neun Prozent). Größter Anteilseigner ist das US-amerikanische Business-Software-Unternehmen Amdocs (14 Prozent). Jeweils 13 Prozent halten Automattic, das US-Unternehmen hinter Wordpress, sowie die Schweizer Status Research & Development GmbH, die einen Messenger auf Blockchain-Basis (Status.im) betreibt. Verschiedene auf Startup-Finanzierung spezialisierte Risikokapitalgeber halten dann noch kleinere Anteile.

Laut der Branchenwebseite Crunchbase hat Element bisher 48 Millionen US-Dollar an Finanzierung eingesammelt. Wie hoch die Umsätze der Firma sind, verrät Matthew Hodgson nicht. Er meint aber, es reiche, um New Vector in die Gewinnzone zu führen, ohne dass es neue Investoren braucht.

Dem Unternehmen steht als nicht-kommerzieller Gegenpart die Matrix.org Foundation gegenüber, die für das Matrix-Protokoll zuständig ist. Sie hat keine Angestellte. Laut britischem Handelsregister hatte die Stiftung im Jahr 2019 Einnahmen in Höhe von etwa 27.000 britischen Pfund. Die kamen durch Spenden und durch Verkauf von Merchandising zusammen. Im fünfköpfigen Vorstand sitzen Matthew Hodgson und Amandine Le Pape von New Vector sowie ein Informatikprofessor, ein Mitarbeiter eines Think Tanks und eine IT-Unternehmerin.

Eine dritte Säule neben dem Unternehmen und der Stiftung ist wie bei vielen Open-Source-Projekten die Community. Bei Matrix gebe es ein riesiges Ökosystem von Leuten, die Anwendungen für das Matrix-Protokoll bauen, so Hodgson. Sie entwickeln Messenger-Apps auf Matrix-Basis und Bots zur Überbrückung von Messengergrenzen oder sie bieten Server für die Chat-Daten an. Github listet 188 Forks auf und laut Hodgson gibt es etwa 80.000 Server für das Matrix-Protokoll. Die Arbeit am Code von Matrix leistet vor allem die New Vector Ltd.

Von den 118 Angestellten und Freelancern arbeiten etwa 50 Leute Vollzeit an Matrix. Hodgson schätzt, dass etwa 70 Prozent der Code-Beiträge für Matrix.org von Angehörigen der Firma stammen und 30 Prozent von der Community. Die Technologie, die die geschlossene Welt der Messenger langsam, aber radikal verändern könnte, steht erst an ihrem Anfang. Monatlich 1,1 Millionen Leute nutzen die Element-App mit dem voreingestellten Matrix-Server, schätzt der Gründer von Element und Matrix.org. Zwei bis drei Millionen Menschen würden insgesamt Element nutzen, also auch über andere Server. Und 42 Millionen verschiedene Matrix-IDs gibt es insgesamt.

Siehe auch:

Die Arbeit an der Artikelreihe basiert in Teilen auf einem "Neustart Kultur"-Stipendium der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vergeben durch die VG Wort.

(mho)