Lockruf für verprellte CentOS-Nutzer: Was steckt hinter SUSEs freiem RHEL-Klon?

Mit Liberty Linux will SUSE bisherige CentOS-Nutzer als Kunden gewinnen. Martin Loschwitz erklärt, worauf sich wechselwillige Nutzer einstellen müssen.

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Red Hat Enterprise Linux
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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Gerhard Loschwitz
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Manche Schlagzeilen lösen Stirnrunzeln und ungläubiges Staunen aus – auch diese: SUSE hat eine neue Linux-Distribution namens Liberty Linux angekündigt. Laut Aussagen des Herstellers handelt es sich bei Liberty Linux allerdings nicht um eine völlige Neuentwicklung – sondern um einen freien Klon von Red Hat Enterprise Linux 8. Offensichtlich will SUSE verprellte CentOS-Nutzer ansprechen.

Grundsätzlich sei Liberty Linux zu RHEL vollständig kompatibel, verspricht SUSE. Das umfasse auch die berühmte Bug-Kompatibilität, also die Garantie für den Systemverwalter, dass Liberty Linux dieselben Fehler wie RHEL hat und im Falle eines Falles dieselben Workarounds verträgt.

Unterschiede dürfte es lediglich in zwei Bereichen geben: Das System kommt aller Voraussicht nach mit dem Kernel aus SLES daher, der deutlich neueren Datums als jener in RHEL ist. Obendrein werden Liberty-Linux-Nutzer von SUSE künftig kommerziellen Support für das System kaufen können.

Nun ist das mit den Kernel-Versionen bei Linux-Distributionen mit Langzeitsupport bekanntlich immer so eine Sache: Offiziell werkelt bei RHEL 8 ein uralter Kernel 4.18 unter der Haube; alle Distributoren reichern ihre Kernel aber mit Patches aus viel neueren Versionen an. Bei eingefleischten Sysadmins sind diese Frankenstein-Kernel berüchtigt, weil sie ohne Hilfe des Anbieters praktisch nicht sinnvoll zu debuggen sind. Und von eben diesem Umstand dürfte auch der SLE-Kernel 5.3.18, mit dem Liberty wahrscheinlich kommt, keine Ausnahme darstellen – denn der kommt ebenfalls mit einer Vielzahl von Patches daher. Wie groß der praktische Nutzen des neuen Kernels im Alltag tatsächlich ist, bleibt also fraglich. Das gilt umso mehr, weil SUSE den eigenen LTS-Kernel an die Eigenschaften von RHEL 8 anpassen musste. Treiber-Pakete für RHEL 8 werden mit einem SLE-Kernel im RHEL-Gewand ziemlich sicher nicht funktionieren; dafür aber jene für SLE. Abstriche werden Sysadmins mit SUSE-Erfahrung zudem bei den Dateisystemen machen müssen, denn RHEL setzt weiter konsequent auf XFS statt auf Btrfs.

Darüber hinaus unterscheide sich Liberty Linux von RHEL, so SUSE, aber in technischer Hinsicht nicht. Liberty-Linux-Nutzer hätten anders als seinerzeit bei CentOS allerdings die Option auf kommerziellen Support für das System. Preise nennt SUSE dabei noch nicht, doch ist kaum davon auszugehen, dass diese jene für SUSE Linux Enterprise stark unterbieten werden. SUSE hat schließlich kein Interesse daran, das eigene kommerzielle Zugpferd durch Konkurrenz aus den eigenen Reihen zu torpedieren.

Praktisch ist Liberty Linux eher ein Angebot an jene ehemaligen CentOS-Nutzer, die Red Hat durch die kürzlichen Veränderungen bei CentOS verprellt hat. Über Jahre hinweg war CentOS ebenfalls eine vollständig zu RHEL kompatible Distribution für jene Admins, die ein Red-Hat-basiertes System wollten, jedoch auf kommerziellen Support verzichteten. Ende 2021 wurde aus CentOS jedoch eine Art Entwicklungsdistribution für zukünftige RHEL-Versionen, und bestehende CentOS-Nutzer standen quasi über Nacht auf der Straße. Die Ankündigung der Änderungen immerhin hatte Red Hat bereits zu Jahresbeginn verlautbart, sodass die Community Zeit hatte, zu reagieren.

Was sie auch tat, denn mindestens zwei Distributionen nehmen für sich in Anspruch, direkte CentOS-Nachfolger zu sein: AlmaLinux und Rocky Linux. Mit der Ankündigung von Liberty Linux stellt SUSE klar, dass es vom Kuchen der CentOS-Anwender auch ein Stück abhaben möchte – und unterbreitet ein durchaus interessantes Angebot.

Technisch profitiert der Distributor dabei von bereits zuvor bestehender Infrastruktur: Der Open Build Service ist nämlich das technische Rückgrat von Liberty Linux und kann in kurzer Zeit den kompletten Paketsatz von RHEL 8 kompilieren.

Download-Links stellt der Anbieter derzeit noch nicht bereit, sodass ein Ausprobieren von Liberty Linux noch unmöglich ist. Ändert sich das kurzfristig, aktualisiert die iX diese Meldung um einen direkten Link zum Download.

[Update, 10. Februar 2022:] Bei Liberty Linux handelt es sich explizit nicht um eine Linux-Distribution. Der Einstieg in die Meldung spielt auf Schlagzeilen an, die dies behaupten, und weist sie zurück. Diese Formulierung führte jedoch mehrfach zu Missverständnissen.

(fo)