Zahlen, bitte! In 72 Tagen um die Welt - schneller als es Jules Verne beschreibt
Die US-Amerikanerin Nellie Bly war nicht nur eine umtriebige Investigativreporterin, sie traute sich 1890 auf eine Weltreise, die sie in 72 Tagen absolvierte.
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Ein flammender Leserbrief war der Startpunkt ihrer umtriebigen journalistischen Karriere. Elizabeth Jane Cochran(e) Seaman, besser bekannt unter ihrem Pseudonym Nellie Bly, war unerschrocken und vielseitig. Nicht nur, dass sie als Undercover-Journalistin manch Skandale aufdeckte – sie trat zudem eine Weltreise an, wie sie in Jules Vernes Bestseller "In 80 Tagen um die Welt" beschrieben ist und unterbot die Reisezeit um satte acht Tage. Außerdem war sie Kriegsberichterstatterin im Ersten Weltkrieg und sogar unternehmerisch tätig und ein Vorbild für viele Frauen.
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Elizabeth Jane Cochran(e) wurde am 5. Mai 1864 als drittes von fünf Kindern in Cochran’s Mills, im US-Staat Pennsylvania geboren. Ihr Vater war bereits zum zweiten Mal verheiratet und hatte mit der ersten Frau bereits 10 Kinder.
Tod des Vaters sorgt für schwierige Familienverhältnisse
Ihr Vater starb 1871 als Elisabeth sechs Jahre alt war und stürzte damit die Familie ins Unglück: Dadurch, dass er kein Testament hinterließ, wurden die Güter unter den Hinterbliebenen aufgeteilt. Zwar erwarb der Vater als Unternehmer und beigeordneter Richter einen gewissen Wohlstand, da das Erbe aber unter den vielen Angehörigen und Kindern aufgeteilt wurde, hatten die einzelnen Erben nicht viel davon.
Der Mutter blieb nur übrig, neu zu heiraten. Der Stiefvater war Bürgerkriegs-Verteran mit einem Alkohol-Problem, der die Familie tyrannisierte. Nach fünf Jahren ließ sich die Mutter von dem brutalen Ehemann scheiden und sie zogen nach Pittsburgh. Elizabeth prägte diese Abhängigkeit ihrer Mutter von einem Mann so sehr, dass sie sich vornahm, unbedingt auf eigenen Beinen zu stehen.
Auf der State Normal School wollte sie daher eine Ausbildung zur Lehrerin machen. Allerdings musste sie bereits nach einem Semester ihr Vorhaben aufgeben – die finanziellen Mittel reichten nicht aus.
Die publizistische Initialzündung war eine misogyne Kolumne im Pittsburgh Dispatch. Im Jahr 1885 fragte ein besorgter Vater von fünf Töchtern die Zeitung, wie deren Zukunft aussähe und was sie ihm raten würden.
Erasmus Wilson antwortete als Kolumnist, dass berufstätige Frauen "Monster" seien und dass der richtige Platz für das schöne Geschlecht sich ausschließlich im Haus befinde.
Engagierter Leserbrief macht den Verleger neugierig
Auf diese zutiefst frauenverachtenden Artikel reagierte Elizabeth mit einem Leserbrief – wie damals als Frau üblich – unter einem Pseudonym. Als "Lonely Orphan Girl" (Einsames Waisenmädchen) formulierte sie einen Leserbrief, der als flammender Appell der Gleichberechtigung gilt. Sie richtete die Antwort nicht einmal an den frauenfeindlichen Kolumnisten, sondern an bürgerliche, privilegierte Frauen, die abschätzig arme Frauen betrachteten.
Sie kannte schließlich beide Seiten: Sowohl das behütete, wohlhabende Leben als ihr Vater noch lebte, wie auch den Kampf, den ihre Mutter kämpfen musste, um die Familie später durchzubringen. Die Entschlossenheit und Wortgewandtheit beeindruckte Chefredakteur George Madden dermaßen, dass er Elizabeth auf ein Gespräch einlud.
Daraufhin erschien die 20-Jährige im Verlag und bekam spontan ein Jobangebot als Redakteurin. Ihr erster Text war eben die Replik auf die Kolumne. In weiteren Artikeln beschrieb sie die schlechten Arbeitsbedingungen von Frauen in Fabriken, was von den betreffenden Unternehmen nicht gern gesehen wurde. Sie beschwerten sich beim Zeitungsverlag und der Verleger wollte Nellie dazu bringen, nur über "frauentypische" Themen zu schreiben, wie Gartenarbeit, Mode oder Kunst.
Auslandsbericht aus Mexiko
Diese Arbeit langweilte sie, daher ging sie für ein halbes Jahr nach Mexiko und schrieb Artikel, die später auch in ihrem Buch "Six Months in Mexico" Eingang fanden. Die kritischen Berichte sorgten für Proteste der mexikanischen Regierung. Nachdem sie nach der Rückkehr als Frau auf Ablehnung gestoßen war, verließ sie 1887 den Pittsburgh Dispatch und zog nach New York.
Sie bewarb sich bei der New York World, die Joseph Pulitzer Jahre zuvor übernommen und renoviert hatte. Gleich ihr erster Auftrag hinterließ Eindruck: Sie ging Hinweisen nach, dass in in Blackwell’s Island Asylum, einer Heilanstalt, schlimme Zustände herrschten und Menschen misshandelt werden. Mit einer geschickten Vorspieglung einer Geisteskrankheit ließ sich Bly als Nellie Brown für zehn Tage in die Anstalt einweisen und brachte schlimme Zustände ans Licht. Blys Bericht sorgte dafür, dass die Unterbringung reformiert wurde. Und sie prägte den Begriff des "Girl Stunt Reporter" und war damit eine Pionierin des investigativen Journalismus.
Mit Entschlossenheit zur Weltreise
Im Jahr 1888 kam ihr ein anderer Stunt in den Sinn: Sie wollte die Weltreise des Romans "In 80 Tagen um die Welt" in Wirklichkeit durchführen und die Reisezeit unterbieten. Pulitzer äußerte die Bedenken, die unzählige andere Frauen schon zu hören bekamen, wenn ein Mann sie aufgrund ihres Geschlechts nicht für geeignet hielt: Sie bräuchte für die Fahrt einen Beschützer, zu viel Gepäck, sie spricht nur Englisch, also könne das nur ein Mann durchführen.
Ihre Antwort packte Pulitzer in der Verlegerehre: "Na gut. Lassen sie den Mann starten und ich werde am gleichen Tag für eine andere Zeitung starten und ihn schlagen!" Wohlwissend, dass sie das so auch durchziehen würde, und ihm ein Scoop entginge, sicherte er Bly zu, dass sie infrage käme.
Und ein Jahr später war es so weit: Mit leichtem Handgepäck, robuste, wenige Stunden vor Abfahrt geschneiderten Reisebekleidung und Wechselunterwäsche trat sie die Reise an. Am 14. November 1889, um 9:40 legte das Schiff Auguste Victoria der Hamburg-Amerika-Linie mit dem Ziel England ab. Von dort aus ging die Reise nach Frankreich. Jules Verne besuchte Bly in seinem Wohnort Amiens. Über Italien ging es weiter nach Colombo im heutigen Sri Lanka. Von da aus nach Hong Kong, China, Japan, Singapur und über San Franciso nach New York
Folgende Zahlen-Bitte-Folgen bieten weitere Hintergründe und Spezialwissen zur aktuellen Episode:
- 31 Begriffe für das erste Kreuzworträtsel der Welt – Wie die New York World das Kreuzworträtsel erfand
- In 175 Tagen mit dem Flugzeug um die Welt – Zwar mehr als hundert Tage länger als Nellie Bly's Reise, aber dafür im eigenen Motor
- 1800 Meilen zum nächsten Piep – das viktorianische Internet – Ohne Telegrafenverbindung wäre die Reise bedeutend schwieriger geworden.
Kontakt nach Hause über Telegrafen und Post
Nellie Bly hielt die Redaktion in der Heimat mit Telegrafennachrichten auf dem Laufenden. Längere Texte mussten über die Post versendet werden, was zu der damaligen Zeit oftmals mehrere Wochen dauerte. Während der Fahrt erfuhr sie, dass durch die Modezeitschrift Cosmopolitan die Journalistin Elisabeth Bisland auf die gleiche Reise geschickt wurde, um Bly zu schlagen. Anfangs war die Konkurrentin schneller unterwegs, aber letztlich kam sie vier Tage später an.
Da die New York World täglich erschien, die Cosmopolitan viel seltener war auch das mediale Aufkommen einseitig verteilt. Am 25. Januar 1890, um 15:51 Ortszeit fuhr der von Pulitzer gecharterte Zug in New Jersey ein. Nach 72 Tagen, 6 Stunden, 11 Minuten und 14 Sekunden endete die bis dahin schnellste Weltreise. Die Reise wurde ein medialer Hype und ihr touristischer Reisebericht als "Around The World in 72 Days" ein Bestseller. Später kam darüber Kritik auf, dass sie insbesondere andere Kulturen mit einer sehr kolonialen, undifferenzierten Sichtweise beschrieb.
Verschiedene Jobwechsel nach der Weltreise
Sie verließ kurze Zeit später die New York World, um Unterhaltungsbücher zu schreiben, was sie aber nicht erfüllte - sie ging 1893 wieder zu ihrer einstigen Wirkungsstelle zurück. 1895 wechselte Bly zum Chicago Herald. Auch privat änderte sich einiges: Sie heiratete den 70-jährigen New Yorker Stahlmagnat Robert L. Seaman und übernahm die Betriebsleitung nach seinem Tod im Jahre 1904.
Sie erwirkte viele Mitarbeiterangebote wie Sportangebote, eine Bibliothek sowie eine Sozialversorgung. Jedoch geriet das Unternehmen durch Betrügereien innerhalb des Betriebes in finanzielle Schieflage und musste Bankrott anmelden. Das brachte Nellie Bly zurück zum Journalismus. Sie schrieb ab 1912 wieder verschiedene Artikel und arbeitete dabei mehrere Jahre als Kriegsberichterstatterin von der Ostfront in Europa.
Nellie Bly starb 27. Januar 1922 im Alter von nur 57 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.
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(mawi)